In Sachsenheim eskaliert ein Nachbarschaftsstreit so heftig, dass am Ende ein Mann tot ist. Kein Einzelfall – immer häufiger enden Streits am Gartenzaun in Gewalt. Was sagen Experten dazu?
Eine Hecke, die zu weit über den Zaun wuchert, laute Musik bis spät in die Nacht, überfüllte Mülltonnen, die im Weg stehen: Unter Nachbarn kann es schnell mal zu Konflikten kommen. Immer häufiger enden Streitigkeiten am Gartenzaun aber auch in Gewalt. Nach Angaben des baden-württembergischen Innenministeriums wurden im vergangenen Jahr bei Straftaten unter Nachbarn 4160 Menschen verletzt. Das waren gut fünf Prozent mehr als noch im Jahr zuvor und gut 13 Prozent mehr als noch vor fünf Jahren.
Die große Mehrheit der Fälle endete mit leichten Verletzungen, 68 Menschen mussten aber mindestens eine Nacht stationär ins Krankenhaus. Zehn Menschen kamen ums Leben. Auch Bedrohungen erfasste die Polizei in den letzten fünf Jahren immer häufiger.
In Heilbronn muss sich von heute an ein 45-Jähriger vor dem Landgericht verantworten, weil er seinen Nachbarn im Streit um eine Ruhestörung mit einer Art Mistgabel erschlagen haben soll. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann Totschlag vor. Er soll nach Angaben des Gerichts im Februar in Sachsenheim im Landkreis Ludwigsburg seinen 58 Jahre alten Nachbarn mit einer sogenannten Grabegabel, ähnlich einer Mistgabel, angegriffen und erschlagen haben. Auslöser für die Tat war laut Anklage ein Streit über eine Ruhestörung.
Psychologe: Konflikte haben meist eine längere Geschichte
Früheren Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft zufolge soll es vor der Tat immer wieder Polizeieinsätze wegen des Verhaltens des 45-Jährigen gegeben haben. Dieser soll seine Nachbarn – darunter auch das spätere Opfer – immer wieder angepöbelt und beschimpft haben.
Aus Sicht von Psychologen ist das eine typische Entwicklung bei der Eskalation von Nachbarschaftsstreit. „Konflikte mit solch dramatischen Ausgängen passieren nicht von jetzt auf gleich, sondern haben in der Regel eine längere Geschichte“, erklärt Psychologe Ulrich Wagner, der als Professor an der Universität Marburg lehrte.
Zur Eskalation könne es dann kommen, wenn es nicht gelinge, den Konflikt zum Thema zu machen. „Wir versuchen uns unsere Welt zu erklären und suchen Gründe, warum der Nachbar uns mit seinem Lärm immer wieder aus dem Schlaf reißt“, erklärt Wagner. „Dadurch schreiben wir ihm schlechte Eigenschaften zu, werten ihn ab. Dasselbe passiert möglicherweise auf der anderen Seite, wo der Nachbar sich in seiner Freiheit eingeschränkt sieht.“ Schaukelten sich diese Bilder immer weiter hoch, genüge oft ein nichtiger Anlass, der zu einem völligen Ausbruch führen könne.
Gespräch mit Vertrauten kann weiterhelfen
Je früher man den Konflikt thematisiere, desto eher könne eine Eskalation verhindert werden. „Es kann sehr helfen mit anderen Menschen, die einem wichtig sind, über den Konflikt zu reden. Manchmal neigt man dazu, sich in völlig nichtige Themen hineinzusteigern“, rät Wagner. Vertraute könnten bei der Einordnung helfen, ob ein Thema wirklich so groß sei, wie es empfunden werde.