Grünen-Politiker Robert Habeck hat, wenig überraschend, Interesse an der Kanzlerkandidatur bekundet. Doch es ist vor allem eine Ansage an seine Partei.
Der Schmerz saß tief. Eigentlich wollte Robert Habeck schon bei der vergangenen Bundestagswahl unbedingt der Kanzlerkandidat der Grünen sein. Doch musste er seiner damaligen Co-Parteichefin Annalena Baerbock den Vortritt lassen. Wie sehr ihn das wurmte, daran ließ er damals keinen Zweifel: „Nichts wollte ich mehr, als dieser Republik als Kanzler zu dienen.“
Weil Baerbock, inzwischen Außenministerin, vor rund einem Monat verkündete, 2025 nicht erneut eine Kanzlerkandidatur anzustreben, ist der Weg für den heutigen Wirtschaftsminister frei. Habecks Freude müsste groß sein. Oder?
Robert Habeck alternativlos? „Ich sehe gerade niemand“
Es gibt bei den Grünen eigentlich keinen anderen, der Habeck die Position streitig machen könnte. Nach Baerbocks Rückzug sagte Parteichefin Ricarda Lang bereits auf die Frage, ob es außer Habeck überhaupt jemand anderen für den Job geben könne: „Ich sehe gerade niemand.“ Habeck muss nun nur noch sagen, dass er will.
Warum sollte er nicht wollen?
In der Tat veröffentlicht am Donnerstag das Magazin „Politico“ einen Podcast, in dem Habeck sein Interesse an einer Kanzlerkandidatur bekundet.
„Ich möchte mich gerne in die Verantwortung nehmen lassen“, sagt Habeck da.
Der Satz geht noch weiter: „für Deutschland in die Verantwortung nehmen lassen, für meine Partei, für das Projekt, für die Demokratie, für die feste Überzeugung, ja, das Wissen würde ich sagen, dass nur die Gestaltung der Zukunft das Land zukunftsfähig macht“. Es ist ein beachtlicher Satz (nicht nur, weil er so lang und verschachtelt ist).
So klar wie nie zuvor spricht der 54-Jährige öffentlich über seine mögliche Kanzlerkandidatur. Schon seit Monaten wird er ständig danach gefragt. Es ist auch ein typischer Habeck: „Für Deutschland“, „für die Demokratie„. Das ist die Flughöhe, darunter verhandelt der Grüne, dessen Partei in den Umfragen im Moment auf zwischen 10,5 und 13 Prozent kommt, diese Frage nicht.
Ich will, aber…
Also alles klar? So einfach ist es nicht. Man kann dieser Tage einen nachdenklichen Vizekanzler erleben. Da ist keiner, der euphorisiert ist von der Aussicht. Klar, grundsätzlich will der Flensburger es nach wie vor. Doch die Lage hat sich seit der vergangenen Bundestagswahl gedreht. Und er scheint zumindest eine leise Unsicherheit zu haben, ob das in dem Zusammenspiel funktionieren kann – er als Kanzlerkandidat, dieser Partei. Es lohnt sich deshalb, auch die anderen Habeck-Sätze aus dem Gespräch genau zu betrachten.
„Es ist jetzt nicht so, und das ist ja der Unterschied zu 2021, dass man sagt, oh, da ist ein Feld bereitet, bitte lass mich den Elfmeter schießen“, sagt Habeck.
Will heißen: Ja, damals, 2022, war der Weg ins Kanzleramt im Prinzip mit Rosenblüten ausgelegt, damals lag der Ball auf dem Elfmeterpunkt, man hätte ihn nur noch blindlings ins freie Tor schießen müssen. Man darf das getrost als kleine Spitze gegen Annalena Baerbock lesen, die sich in der K-Frage gegen Habeck durchgesetzt hatte – und es wundersamer Weise am Ende nicht bis ins Kanzleramt geschafft hat.
Richtig ist dennoch die Feststellung, dass es bei diesem Mal deutlich schwerer werden dürfte, ein Tor zu erzielen, um im Bild zu bleiben. Statt Elfmeter müsste schon ein wahrer Trickschuss gelingen, aus spitzem Winkel, in Holzpantinen. Der 20 Prozent-Umfragesockel ist in der Regierungszeit weiter zerbröselt. Die Grünen gehen nicht mehr als unschuldige Publikumslieblinge an den Start. Bei vielen Wählen sind sie inzwischen derart unbeliebt, dass die Konkurrenz vorsorglich jede Koalitionsabsicht bestreitet.
Wie gesagt, kein Elfmeter. Sondern?
„Sondern du wirst eingewechselt, und es steht 4 zu 0 gegen dich“, sagt Habeck.
Noch so ein Satz, der eine Analyse wert ist. Im ersten Teil erklärt sich Habeck – friendly reminder: aktuell Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland – mal eben zum Einwechselspieler, als käme er von der Bank, wo er bislang hilflos und Haare raufend mitansehen musste, wie die Spieler auf dem Feld einen Ball nach dem anderen verschossen. Teil zwei des Satzes („es steht vier null gegen dich“) ist natürlich trotzdem völlig richtig. Nur hat dieser Rückstand sehr wohl auch mit dem Spieler Habeck zu tun, mit seiner Perfomance als Heizungsreformer möglicherweise auch.
Aber nehmen wir für den Moment an, Spieler Habeck zieht jetzt erst die Jacke aus und die Stutzen hoch und steht nun an der Seitenlinie bereit – was dann?
„Wenn man sagt, jetzt drehe ich das Spiel um, dann müssen alle ihre Laufwege kennen“, sagt Habeck. „Und davon hängt sehr vieles ab.“
Das ist vor allem eine Ansage an die eigene Partei. Was er meint: Dann dürfen die Mitspieler ihm, bitteschön, nicht in die Quere kommen. Dann wird nach Habecks Taktik gespielt. Dann darf es keine gekränkten Eitelkeiten geben, keine Alleingänge und vor allem keinen Streit. Wenn es nach Habeck geht, müssten sich alle unterordnen – von Annalena Baerbock über Cem Özdemir bis zu Toni Hofreiter. Zumindest das hatte im letzten Bundestagswahlkampf gut funktioniert. Aber damals ritten sie noch die Welle des Erfolgs.
Habeck steht für den pragmatischen Kurs
In der Regierungszeit aber gaben die Grünen immer wieder ein zerstrittenes Bild ab, etwa in der Frage der Migration. Die Schlappe bei der EU-Wahl Anfang Juni hat den altbekannten Richtungsstreit in der Partei zwischen Realos und linkem Flügel neu aufflammen lassen. Soll man pragmatischer auftreten? Oder wieder mehr die Anliegen des eigenen grünen Klientels in den Blick nehmen?
Wofür Habeck steht, daran gibt es keinen Zweifel.
„Zu sagen: Leute, wir hören zu, wir verstehen, wir lernen, wir sind bereit, unsere Positionen zu korrigieren, aber grabt ihr euch auch nicht ein in euren Positionen.“
Der Oberrealo steht wie kein zweiter für einen pragmatischen Kurs der Partei. Er will die Grünen weiter konsequent an der Mitte ausrichten, mit Positionen, die im Idealfall eine große Mehrheit der Gesellschaft mittragen kann. Unbedingt verhindern: dass man als Partei auch nur den Anschein erweckt, sich ideologisch und besserwisserisch hinter den eigenen Überzeugungen zu verschanzen.
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Für viele im linken Flügel der Partei ist der Habeck-Kurs schmerzhaft, dort sehen ihn nicht wenige in der Regierung als zu kompromissbereit, generell als zu pragmatisch. Vor Baerbocks öffentlicher Absage an eine Kanzlerkandidatur hätten einige „Fundis“ lieber sie erneut in der Position gesehen.
Das weiß auch Habeck.
„Darüber werden wir noch ein bisschen reden müssen und wenn es soweit ist, dass wir genau wissen, wie wir es machen, dann melden wir uns“, sagt Habeck.
Was er damit auch meint: Er wird in nächster Zeit die entsprechenden Signale sehen wollen, Signale, dass sich seine Partei auf ihn einlassen, ihm inhaltlich folgen, ihm „Beinfreiheit“ gewähren will. Mitte November findet der reguläre Parteitag der Grünen statt, es könnte Habecks Krönungsmesse werden. Aber nur unter dieser Bedingung. Das hat Habeck jetzt klar gemacht.