Er war so widersprüchlich wie seine Stadt selbst: Der Wiener Baumeister und Society-König Richard Lugner ist im Alter von 91 Jahren gestorben
Es ist über 25 Jahre her, dass Mörtel Lugner einmal für mich in die Bresche sprang. Ich war Co-Gastgeber eines Clubbings, wie man die Partynächte im Wien der Neunziger nannte. Eine illustre Gesellschaft hatte sich in der mondänen Volksgarten-Säulenhalle direkt gegenüber der neuen Hofburg versammelt. „Fuck, I’m a VIP“ hieß die Veranstaltung, und Lugner samt seiner Mausi genannten Gattin bewiesen so viel Humor, als Ehrengäste anzutanzen und sich sogar das Motto des Abends an die Brust zu heften.
Eine Mitternachtseinlage sollte es auch geben, und diese war bewusst skurril angelegt. Ich stieg also im Frack auf ein Podest und begann das „Lied des Prinzen Orlofsky“ aus der Operette „Die Fledermaus“ zu schmettern, während livrierte Diener mit kleinen Sahnetörtchen nach mir warfen. Alle kapierten den Spaß – außer Mörtel, der aufgeregt versuchte, die Törtchenwerfer abzuhalten. „Heans, so geht ma doch ned mit einem Künstler um!“ rief er aufgeregt und stellte sich dazwischen.
So war er, der Mörtel: impulsiv, eitel, das Herz am rechten Fleck
So war er, der Mörtel, impulsiv, humorvoll, manchmal unerträglich eitel, aber das Herz am rechten Fleck. Der Technische Rat und Baumeister Richard Lugner war den meisten Menschen als Gastgeber von Hollywooddiven und Busenwundern bekannt, die er für beträchtliche Honorare in Frack und Zylinder in seine Opernball-Loge lud. Am Nachmittag vor der Ballnacht mussten die Damen in sein arg in die Jahre gekommenes Einkaufs-Center „Lugner City“ am Neubaugürtel, um dort tausendfach Autogramme zu geben.
Er war ein Selfmademan. Der 1932 als Sohn eines Rechtsanwaltes geborene Lugner zeigte früh Interesse an Architektur und Bauwesen und entschloss sich, in diesem Metier groß und erfolgreich zu werden. Tatsächlich sollte er das Wiener Stadtbild prägen, nicht nur durch seine schillernde Präsenz, sondern auch mit wichtigen Bauten. Davon hatte er einige in seinem Repertoire.
So kannte ihn die ganze Welt: Richard Lugner 2009 als Logen-Gastgeber auf dem Wiener Opernball
© Alexander Tuma
Die 1962 gegründete Lugner Bau- und Immobiliengesellschaft schuf nicht nur das 1990 eröffnete Einkaufszentrum in Rudolfsheim-Fünfhaus, er baute das frühere Hoch- und Deutschmeister-Palais für die OPEC um, errichtete Tankstellen, Kinos und Parkhhäuser, baute eine Moschee in Wien-Floridsdorf und restaurierte den jüdischen Stadttempel in der Seitenstettengasse. Sobald es etwas zu eröffnen gab, wurde auch gefeiert. Lugner unterhielt ein eigenes Kabinett prominenter Gesellschafter, der frühere Bürgermeister Helmut Zilk und dessen Gattin, Operettenstar Dagmar Koller, gehörten dazu, oder die notorisch aufgedonnerte Society-Lady Jeannine Schiller.
Und natürlich er selbst. Lugner entdeckte früh, dass der beste und vor allem stets und kostengünstig verfügbare Prominente nur er selbst sein konnte. Und wurde zum Baumeister seiner eigenen schillernden Prominenz.
Der König des Opernballs und seine Diven
Lugner selbst war keine besonders eindrucksvolle oder charakterlich einnehmende Persönlichkeit, also lud er solche ein und sich selbst mit Bedeutsamkeit auf: Joan Collins, Sophia Loren, Grace Jones, Ivana Trump, Pamela Anderson, Kim Kardashian, Sarah Ferguson, zuletzt Priscilla Presley – sie alle reisten für unbekannte Unsummen zur Ballsaison nach Wien und sorgten für internationale Aufmerksamkeit und große Aufmacher in den Klatschspalten. Nur LIz Taylor widerstand den zahlreichen Avancen und Angeboten Mörtels.
Lugners Selnstinszenierung war stets hart an der Grenze, manchmal auch drüber. Nach dem Ende seiner ersten Ehe mit Jugendliebe Christine Gmeiner, mit der er zwei Söhne hatte, heiratete er „Mausi“. Die von 1990 bis 2007 währende Ehe wurde in aller Öffentlichkeit geführt. Es kamen und gingen Nachfolgerinnen, die wie eine Expedition ins Tierreich klangen: „Hasi“, „Katzi“, „Spatzi“, „Bambi“, „Hasi“ und „Kolibri“, noch im Juni ehelichte er eine 42-Jährige mit dem Kosenamen „Bienchen“.
Lugner ließ sich in seiner Partnerwahl öffentlich von einer berühmten Radio-Astrologin beraten, die diversen Beziehungen wurden in Doku-Soaps verfilmt und mancher Ehekrach live ins Fernsehen übertragen. Ob Krebsdiagnose, Blutwäsche oder F.-X.-Mayr-Kur, keine Episode aus Lugners Leben, die ihm selbst keine Nachricht wert gewesen wäre.
Manchmal war es nicht einfach zu erkennen, was amüsante Selbstinszenierung und was vielleicht doch ernstgemeint sein könnte. 2016 kandidierte Richard Lugner als Bundespräsident und erhielt nicht nur die nötigen 6000 Unterstützungserklärungen, sondern auch beachtliche 9,91 Prozent der Wählerstimmen. Aufgrund einer Abtreibungsklinik in seinem Gebäude legte er sich öffentlich mit einem ultrakonservativen katholischen Bischof an, er vermietete auch an die Scientology-Sekte und wünschte dem Präsidenten der L. Ron-Hubbard-Stiftung „für die Zukunft alles Gute“. FPÖ-Chef Herbert Kickl wollt er in die Ukraine schicken, „damit sie ihn erschießen.“ Als Begründung gab er an, die rechtspopulistische FPÖ würde nicht genug „gegen die überbordende Zuwanderung“ tun.
Immer in der Glanzrolle: Präsidentschaftskandidat und Hofnarr
Das Sympathischste an Lugner war seine Fähigkeit, innerhalb seiner geradezu narzistisch anmutenden Selbstinszenierung auf gewisse Weise uneitel zu sein. Für den queeren Life Ball verkleidete er sich als Drag Queen, für die satirische Talk-Show „Wir sind Kaiser“, bei der Prominente zur Audienz mit einem fiktiven Kaiser gebeten wurden, saß er im Vorzimmer und bettelte selbstironisch und stets erfolglos, vorgelassen zu werden.
Mit Richard Lugner verliert Wien eine Persönlichkeit, die so widersprüchlich war, wie die Stadt selbst: selbstverliebt, liebevoll und grantelnd, humorvoll, schillernd und bodenständig, manchmal auch ordinär, immer ein bisschen beschwipst. Wie es schon damals im „Lied des Prinzen Orlofsky“ hieß: „‚S’ist mal bei mir so Sitte, chacun à son goût!!“
Am Montag, den 12. August ist Richard Lugner im Alter von 91 Jahren im Beisein seiner Familie in Döbling gestorben. Über die Beerdigung ist noch nichts bekannt, doch es kann eigentlich nur ein herrliches Fest werden.