Archäologie: Fischotter, Venus, Geierflöte: Eiszeitkunst von der Schwäbischen Alb

Vor über 40.000 Jahren breitete sich der moderne Mensch in Europa aus. In süddeutschen Eiszeithöhlen entdecken Archäologen immer wieder Mammutelfenbein-Schnitzereien aus dieser Zeit.

Ursprünglich kamen die Jäger und Sammler aus Afrika: Vor 40.000 Jahren breiteten sich die ersten anatomisch modernen Menschen in Europa aus. Dieser Homo sapiens wanderte entlang der Donau von Ost nach West durch eiszeitliche Tundra, links eine Höhlenhyäne, rechts ein Fellhaarnashorn. Einige dieser Jäger ließen sich in den Karsthöhlen der Schwäbischen Alb nieder. Nach und nach verdrängte der Homo sapiens den in Europa ansässigen Neandertaler.

Die frisch eingewanderten Jäger wussten nicht nur, wie man Mammut, Bär und Rentier erlegt, sondern auch, wie man aus ihren Knochen Kunst macht. So fanden Archäologen in sechs Höhlen im Lone- und Achtal in der Nähe von Ulm inzwischen über 30 Figuren aus Mammutelfenbein. Sie gelten als die ältesten Kunstobjekte der Menschheitsgeschichte.

PAID Eiszeitkunst Interview

Die Jäger schnitzten vor allem Figuren, die wilde Tiere der Eiszeit darstellten: Löwe, Bär, Mammut oder Nashorn. Aber sie formten auch ihr eigenes Ebenbild. So fanden Archäologen bei Ausgrabungen eine etwa sechs Zentimeter große Frauenfigur. Diese „Venus vom Hohle Fels“ gilt als die früheste Darstellung eines Menschen weltweit. Ebenso spektakulär ist der Fund eines Löwenmenschen, erster Nachweis eines Mischwesens. Manche Experten vermuten, dass dieses erstaunliche Fabelwesen in schamanischen Ritualen genutzt wurde.

Flötenkonzert in Eiszeithöhle

Die Steinzeitjäger erschufen nicht nur stumme Objekte aus Elfenbein. Sie brachten ihre Umwelt auch zum Klingen. So fand man in einer der Höhlen auch eine Flöte aus den Flügelknochen eines Gänsegeiers. Die Flöte ist 35.000 Jahre alt und gilt als das älteste Musikinstrument der Welt. Sie erreichte vermutlich einen Tonumfang von zwei Oktaven – genug, um die schwäbischen Eiszeithöhlen mit melodiösem Wohlklang zu erfüllen.

Oftmals finden die Archäologen bei ihren Grabungen im Sediment der Höhle nur einzelne Bruchstücke. So dauert es manchmal Jahre, bis ein solches Eiszeit-Puzzle vollständig ist und die Figuren zusammengesetzt werden können. All diese Statuetten eint ein verblüffender Realismus, eine große Liebe zum Detail und ein ausgeprägter Sinn für stimmige Proportionen. Sie gehören zu den Meisterwerken der Kulturstufe des so genannten „Aurignaciens“.

Tatsächlich gibt es einzelne Höhlengemälde, die noch älter sind als die Figuren aus den süddeutschen Eiszeithöhlen – allerdings nicht in Europa. So fand man auf der Insel Sumatra eine Felsmalerei, die über 50.000 Jahre alt ist. Aber nirgendwo fand man bislang ältere Kunstobjekte als in den Karsthöhlen an der Donau. So kann man sagen, dass die dreidimensionale Kunst zum Anfassen und Begreifen ihren Ursprung auf der Schwäbischen Alb hat.

Folgerichtig verlieh die Unesco im Jahr 2017 den Höhlen Hohle Fels, Geißenklösterle und Sirgenstein im Achtal und den Höhlen Bockstein, Hohlenstein und Vogelherd im Lonetal den Status Unesco-Welterbe.

Wir können nicht wissen, wie der Steinzeitmensch dachte oder fühlte. Aber in einem können wir ihm näherkommen: Offensichtlich fand er dieselben Dinge schön wie wir.