Im mittelbadischen Ortenaukreis wurde Karl Lauterbachs Krankenhausreform schon vorweggenommen. Sieht so die Zukunft der Regionalkliniken aus?
Die „Fahndungsplakate“ klebten an Christian Kellers Gartenzaun, sie hingen in der ganzen Nachbarschaft. „Wanted: Klinikschließer Christian Keller. 1.500.000.000 Euro“, stand darauf. Unbekannte auf der Straße beobachteten sein Haus. Wer Krankenhausreformen vorantreibt, lebt gefährlich. Keller, Geschäftsführer des mittelbadischen Ortenau-Klinikverbunds, musste es ebenso erfahren wie der Landrat Frank Scherer. Beide hoben vor sechs Jahren die „Agenda 2030“ aus der Taufe, der Plan: die Zentralisierung und der Ausbau der Krankenversorgung an drei Regionalkliniken, dazu die Schließung von vier kleinen Häusern. Die Kosten: 1,3 Milliarden Euro.
Wellen des Protests schlugen ihnen entgegen. Bürgerinitiativen demonstrierten durch die Städte, starteten Petitionen, klagten vor Gericht. Einige Kreisräte, die für den Strukturwandel waren, wurden abgewählt. Drohungen häuften sich, gekritzelt auf Zettel im Briefkasten: „Mögen deine Kinder verrecken.“ Aber die Planung schreitet voran.
Und erlaubt mithin einen Blick in die Zukunft der deutschen Krankenhauslandschaft, die jetzt umgepflügt werden soll. Im Ortenaukreis wurden die Ziele von Karl Lauterbachs größtem Reformprojekt längst ins Visier genommen: weniger Krankenhäuser, weniger Betten, bessere Behandlungsqualität. Obwohl es kaum Widerspruch gegen die Grundprinzipien der Krankenhausreform gibt, sind alle verunsichert. In der Bevölkerung, bei Kommunalpolitikern und in den Belegschaften geht die Angst um: Wird das Krankenhaus vor Ort überleben? Wie weit wird der Weg zur nächsten Notaufnahme?
Methodik Regionale Kliniken 2024
Auch in der Ortenau gibt es die Befürchtungen, der Klinikverbund erwirtschaftete zuletzt 30 Millionen Euro Defizit. Und trotzdem ist sie ein Beispiel, wie die Reform gelingen kann: flächenmäßig einer der größten Landkreise Deutschlands, dünn besiedelt, medizinisch nur schwer zu versorgen. Sie erstreckt sich von der Rheinebene hoch in den Schwarzwald, schmale Straßen schlängeln sich vorbei an Weinbergen und Obstwiesen, durch Flusstäler und Fachwerkdörfer. Wenn man das entlegenste Krankenhaus in Wolfach, 80 Betten, Innere, Chirurgie, Intensivstation, schließen würde, wäre die nächste Notaufnahme mindestens 43 Minuten entfernt, 30 Minuten sollten nach gesetzlichen Vorgaben nicht überschritten werden. Deshalb bleibt Wolfach erhalten.
Zwischen Sparmaßnahmen und Investitionen
Anders das Krankenhaus der Kreisstadt Oberkirch, das im Jahr 2021 geschlossen wurde. Für schwere Notfälle hatte das kaum Konsequenzen. „Herzinfarktpatienten zum Beispiel konnten nicht leitliniengerecht versorgt werden, die haben wir schon vor der Schließung nach Offenburg gebracht“, sagt Michael Haug, Geschäftsführer des DRK-Rettungsdienstes Ortenau. Dort wird das Krankenhaus aufgerüstet, ein Neubau entsteht, an dem Medizin auf Uniklinik-Niveau betrieben werden soll. Die Ortenau kriegt einen Maximalversorger, ihre Landkreisbewohner gewinnen an Versorgungsqualität – auch wenn das seinen Preis hat: „Im Jahr 2016 hatten wir 1805 Krankenhausbetten, für das Jahr 2030 steuern wir 1300 an“, sagt Keller.
Im ehemaligen Krankenhaus Oberkirch gibt es heute ein medizinisches Versorgungszentrum mit Notfallsprechstunden am Abend, die Ärzte sind Angestellte des Landkreises. Auch „Genesungsbetten“ werden betrieben. Hinter der Wortneuschöpfung verbirgt sich ein Pilotprojekt: Sie sind für Menschen, die nur vorübergehend pflegerische und medizinische Beobachtung brauchen. Ein Krankenhaus light sozusagen.
Das gibt es auch in Lauterbachs Reformprojekt. 300 ambulant-stationäre Zentren könnten nach einer Erhebung des Gesundheitsökonomen Boris Augurzky an ehemaligen Krankenhausstandorten entstehen. Er saß in der Regierungskommission zur Krankenhausreform. Die Zahl der Mini-Krankenhäuser mit Basis-Notfallversorgung würde fast halbiert von 650 auf 350, dafür könnte die Zahl der Krankenhäuser mit einer „erweiterten Notfallversorgung“ – mehr Fachabteilungen, bessere technische Ausstattung – steigen, von 261 auf 350.
An Deutschlands Regionalkliniken wird also gespart, gleichzeitig wird investiert. Sie bleiben eine tragende Säule der Medizin im breiten Feld zwischen Basis- und Maximalversorgung. Keller selbst wird das Reformprojekt, das er angefangen hat, nicht vollenden. Zum Jahresende verlässt er den Ortenau-Klinikverbund, um sich als Winzer auf Mallorca zu versuchen: „Der ständige Kampf ist auf Dauer anstrengend. Im Alter von 51 Jahren bin ich jung genug, was Neues zu machen.