Hautpilz-Infektionen häufen sich. Schuld an der Verbreitung sollen vor allem Barbershops sein. Ist da was dran? Prof. Dr. Hans-Jürgen Tietz ist Experte für Pilzkrankheiten. Dem stern hat er die wichtigsten Fragen beantwortet.
Die Meldungen kursieren seit Wochen. Der Hautpilz Trichophyton tonsurans breitet sich aus, er kann zu fiesen Abszessen und dauerhaftem Haarverlust führen. Haupttreiber der Infektionswelle sollen Barbershops sein, wo durch kontaminierte Rasierklingen Pilzsporen von einem zum nächsten Kunden weitergegeben werden sollen. Spekuliert wird, dass dort zu wenig desinfiziert werde, die Kundentaktung zu hoch sei und das Personal zu ungeschult.
Der Ruf nach einer infektionshygienischen Überwachung durch Gesundheitsämter wird lauter. Dabei gibt es weder eine offizielle Dokumentation der Infektionszahlen, noch hundertprozentige Belege dafür, dass die Infektionen in Barbershops stattgefunden haben. Werden die Barbershops hier zum Sündenbock gemacht oder haben die Schuldzuweisungen tatsächlich eine Berechtigung? Prof. Dr. Hans-Jürgen Tietz kennt sich mit Hautpilzen aus. Er leitet die mycoclinic, ein Institut für Pilzkrankheiten, in Berlin. Er spricht im Zusammenhang mit der Berichterstattung zu Trichophyton tonsurans von „erschreckender Panikmache“. Dem Stern hat er die wichtigsten Fragen zum Thema beantwortet.
Ist der Hautpilz Trichophyton tonsurans ein neues Problem?
Nein.
Neu ist Trichophyton tonsurans nicht. In Deutschland verbreitet sich der Fadenpilz seit den 90er-Jahren. Er sei einst als Mitbringsel von Ringkämpfern eingeschleppt worden, die diese von Wettkampfreisen aus den Vereinigten Staaten mitbrachten, weshalb der Pilz auch Ringerpilz oder Mattenpilz genannt wird, erklärt Prof. Dr. Hans-Jürgen Tietz dem „Stern“. „Im deutschen Ringersport ist Trichophyton tonsurans bis heute ein ungelöstes Problem. Man kann sagen, die ganze Bundesliga ist infiziert“, so der Experte für Mykologie.
Verbreitet wird er dort über sehr intensiven Hautkontakt oder kontaminierten Boden. Zuletzt beobachteten Experten wie Tietz aber eine Häufung von Betroffenen, die keine Kampfsportler sind. In den Fokus rücken Barbershops.Aber der Ringersport ist nicht die einzige Quelle. Der Pilz wandere auch auf den Köpfen von Kindern aus Afrika ein. Des Weiteren gebe es Hinweise, dass der Pilz in der türkischen Population weit verbreitet ist. Exakte Zahlen gebe es aber auch hierzu nicht, so Tietz.
Infiziert man sich leicht?
Nein.
Trichophyton tonsurans ist anthropophil, was heißt, dass er von Mensch zu Mensch übertragen wird. „Der Pilz ist ansteckend, aber nicht hochansteckend“, ordnet Prof. Tietz ein. Zum Vergleich: Sich durch normalen Hautkontakt mit Trichophyton tonsurans zu infizieren sei laut Prof. Tietz unwahrscheinlich. Anders verhalte es sich beispielsweise bei einem anderen Hautpilz, dem Katzenpilz. „Wenn man auf Mallorca eine Katze streichelt, reicht schon leichter Hautkontakt für eine Infektion. Der Katzenpilz ist sehr ansteckend“, so der Experte.
Der Facharzt für Mikrobiologie und Spezialist für Infektionskrankheiten der Haut geht davon aus, dass eine Hautverletzung, sozusagen als eine Art Einlasstor, für eine Infektion unabdingbar ist. Dazu zählen bereits kleine Kratzer oder Schnitte, wie sie auch im Barbershop oder Frisörsalon entstehen können. Sind die benutzten Geräte nicht ausreichend gereinigt, ist es möglich, dass es über die Rasierklingen zur Übertragung von Pilzsporen kommt. PAID Gesund Leben 2020_05 Meine Haut, mein Schlachtfeld_13.10Uhr
Von wie vielen Infizierten sprechen wir aktuell?
Weiß man nicht.
Seit 2001 müssen Pilzinfektionen den Gesundheitsämtern nicht mehr gemeldet werden. „Und wenn es keine Meldepflicht gibt, gibt es auch keine Zahlen – weder zum Fußpilz, Vaginalpilzen oder eben Trichophyton tonsurans“, sagt Mykologe Tietz. Die Zahlen könnten nur geschätzt werden. Tietz selbst beobachte die Zunahme der Infektionen bereits seit drei, vier Jahren. Er ist nicht allein. Fast jeder Hautarzt, mit dem er sich austausche, berichte von Fällen.
„In Deutschland gibt es etwa 4000 Hautärzte, wenn jeder zwei bis drei Fälle hat, kommen wir auf etwa 10.000 Fälle. Und das ist eine niedrige Schätzung“, sagt er. Die Uniklinik Erlangen meldet Fälle von Trichophyton tonsurans inzwischen an das zuständige Gesundheitsamt. Die Oberärztin der dortigen Hautklinik, Dr. Petra Wörl, spricht im Gespräch mit der „ApothekenUmschau“ von einer Verzehnfachung der Fälle. Dermatologe Martin Schaller von der Uniklinik Tübingen sagte dem „Spiegel“, dass dort der Hautpilz im Vergleich zu vor fünf Jahren drei- bis fünfmal so oft nachgewiesen werde. Er spricht von einer „europaweiten Epidemie“.
Muss eine Infektion mit dem Hautpilz Trichophyton tonsurans behandelt werden?
Ja.
Der Erreger dringt natürlich in die Haut ein oder wird in die Haut eingebracht, beispielsweise durch ein Rasiergerät oder einen Kamm. Nach etwa zehn Tagen zeigen sich auf der Haut kreisrunde Flecken, sogenannte Hexenringe, die jucken. Die Symptome würden zwar oftmals mit einer bakteriellen Ursache verwechselt, seien aber ein Zeichen für einen Hautpilz, erklärt Tietz. „Werden die Symptome ignoriert, kann das im nächsten Stadium dazu führen, dass der Pilz in die Haarwurzel eindringt und die Haarfollikel befällt.“
In Folge fallen an dieser Stelle die Haare aus, es entsteht eine kreisrunde kahle Stelle. Wird der Pilz nicht behandelt, können diese Stellen dauerhaft kahl bleiben. Es kann auch passieren, dass der Pilz sich ausbreitet und irgendwann der komplette Kopf kahl ist oder andere Körperstellen betroffen sind. Prof. Tietz spricht sich daher für eine rasche Diagnostik aus.
Denn, so der Experte: „Die gute Nachricht: Man kann den Pilz zum Beispiel mit Tabletten sehr gut behandeln. Dann bleibt auch der Haarausfall nicht.“ Durch eine gründliche Therapie werde die Infektkette sofort unterbrochen, so dass es zu keiner Weitergabe des Erregers kommt – an die Umwelt oder andere Personen. Eine Therapie kann mehrere Wochen dauern, in der Regel sind Betroffene nach etwa einer Woche nicht mehr ansteckend. Das Problem: Viele Patienten gehen erst Wochen oder gar Monate nach der Infektion zum Arzt.
Zuletzt seien auch Fälle aufgetreten, in denen es zu eitrigen Abszessen am Kopf gekommen sei. Solche Entzündungen seien zuvor kein Symptom des Pilzes gewesen. Der Facharzt für Mikrobiologie geht daher davon aus, dass sich der Hautpilz transformiert habe, es sich inzwischen um eine neue unangenehmere Variante von Trichophyton tonsurans handeln könne.
Kann der Pilz auch innere Organe befallen?
Nein.
Der Pilz verursacht vornehmlich auf der Kopfhaut Entzündungen, kann aber auch den ganzen Körper befallen. Dann nennt sich das Tinea capitis. Da sich der Pilz wie alle Hautpilze von Keratin ernährt und das im Inneren des Körpers nicht vorkommt, könne er allerdings niemals das ganze System befallen.
Kommt es in Barbershops tatsächlich häufiger zu Hautpilz-Infektionen?
Sehr wahrscheinlich.
Laut Prof. Tietz kommen in Barbershops gleich mehrere Faktoren zusammen, die eine Infektion mit dem Pilz begünstigen: Einerseits seien dies Orte der sozialen Zusammenkunft, die meist hochfrequentiert sind. Je mehr Kunden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass einer dabei ist, der als Infektionsquelle gesehen werden kann. Andererseits können durch die Arbeit an einem Kunden mit Hautpilz die Instrumente kontaminiert werden. Dazu kommt, dass es durch die feine Rasur zu Verletzungen kommen kann, die wiederum eine Infektion begünstigen. STERN PAID UV-Schutz Yael Adler Interview 8.26
Auszumachen, wo eine Infektion stattgefunden hat, ist schwierig. Dass viele der aktuell Infizierten den Pilz im Nacken hinterm Ohr haben, hält Prof. Tietz aber nicht für einen Zufall. „Das ist zwar noch immer kein hundertprozentiger Beweis, dass die Infektion in einem Barbershop stattgefunden hat, aber es liegt doch nahe“, so der Experte. Er vermutet: „Der Pilz hat den Sprung von der Matte in den Barbershop beziehungsweise die Frisörläden geschafft.“ Forschende aus Duisburg hatten bereits 2020 in einer Untersuchung festgestellt, dass eine Übertragung des Pilzes durch kontaminierte Haarschneidegeräte möglich ist.
Ist mangelnde Hygiene bei der Weitergabe der Hautkrankheit ein Faktor?
Ja.
Um eine Weitergabe der Pilzsporen zu vermeiden, ist eine Desinfektion der Instrumente zwischen dem Kundenwechsel notwendig. In Barbershops, aber beispielsweise auch in herkömmlichen Frisörsalons. Ob das in der Praxis immer so stattfindet, wagt Experte Tietz zu bezweifeln. Obschon das Desinfizieren in Frisörsalons zumindest theoretisch und anders als in Barbershops Teil der deutschen Meisterordnung ist.
Gibt es eine Lösung für das aktuelle Hautpilz-Problem?
Jein.
Die einfache Antwort: Die benutzten Instrumente sollten nach jedem Kunden desinfiziert werden. Wie umsetzbar das im Arbeitsalltag ist und wie überprüfbar für den Kunden, ob eine Desinfektion sachgemäß stattgefunden hat, ist fraglich. Allerdings könnten Gesundheitsämter die Shops gesundheitshygienisch überwachen. Kunden, die auf Nummer sicher gehen wollen, können noch zu einer anderen Maßnahme greifen. „Die Idee ist etwas hanebüchen, aber lebensnah. Prinzip ‚Die Pille danach‘. Wer ängstlich ist, aber auf die Haarschneidekunst im Barbershop nicht verzichten möchte, kann sich prophylaktisch im Anschluss zuhause mit einem Anti-Pilz-Shampoo die Haare waschen“, meint Prof. Tietz.