Tagelang hat das Kanzleramt geschwiegen, jetzt äußert sich Olaf Scholz selbst: Er blickt anders auf die Haushalts-Gutachten als sein Finanzminister.
Aus dem Urlaub schaltet sich Bundeskanzler Olaf Scholz in den neuen Streit zum Bundeshaushalt 2025 ein – und er zieht andere Schlüsse aus zwei Gutachten als sein Finanzminister. „Es war sinnvoll, die Handlungsoptionen der Bundesregierung gutachterlich überprüfen zu lassen, wie Deutsche Bahn und die Autobahnen im Haushalt finanziell gestärkt werden können. Klares Ergebnis des juristischen Gutachtens: Das geht“, sagte der SPD-Politiker „Zeit Online“. Die Bundesregierung werde jetzt vertraulich die nächsten Schritte beraten.
Scholz fügte hinzu: „Es bleibt ein Mysterium, wie das eigentlich klare Votum des juristischen Gutachtens vorübergehend grundfalsch aufgefasst werden konnte.“ Das kann als Seitenhieb auf FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner verstanden werden. Im Finanzministerium hatte man nach Veröffentlichung der Gutachten geplante Vorhaben für rechtlich riskant beziehungsweise nicht rechtzeitig umsetzbar erklärt.
Gutachten wegen rechtlicher Bedenken
Hintergrund sind drei Maßnahmen, die die Finanzierungslücke im Etat für das kommende Jahr um zusammen acht Milliarden Euro reduzieren sollten. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte rechtliche und wirtschaftliche Bedenken an den Ideen geäußert, die ihm zufolge aus der Feder des SPD-geführten Kanzleramts stammen. Deshalb hatte er zwei Gutachten zur Bewertung der Pläne in Auftrag gegeben.
Der Bielefelder Rechtsprofessor Johannes Hellermann und der unabhängige wissenschaftliche Beirat des Finanzministeriums äußerten daraufhin übereinstimmend Zweifel an der Idee, bei der KfW liegende, ungenutzte 4,9 Milliarden Euro für die Gaspreisbremse im Haushalt für andere Zwecke zu nutzen.
Probleme mit Darlehen an Bahn und Autobahn?
Weniger eindeutig fielen dagegen die Bewertungen zum Vorhaben aus, der Bahn und der Autobahngesellschaft Darlehen statt Zuschüsse zu zahlen. Unter bestimmten Voraussetzungen sei das rechtlich umsetzbar, erklärte Hellermann. Der wissenschaftliche Beirat sieht in beiden Fällen allerdings Probleme, weil möglicherweise weder Bahn noch Autobahn das geliehene Geld aus eigenen Einnahmen zurückzahlen könnten. Die bundeseigene Bahn ist bereits hoch verschuldet, die Autobahngesellschaft hat aktuell überhaupt keine eigenen Einnahmen. Dies könnte gesetzlich aber geändert werden, meint Hellermann.
Lindners Ministerium hatte argumentiert, die nötigen Reformen bei der Autobahngesellschaft seien aufwendig, politisch umstritten und vor einem Haushaltsbeschluss nicht umsetzbar. Im Fall der Bahn lasse sich das Problem dagegen über eine Eigenkapitalspritze lösen. Politiker der SPD und der Grünen warfen ihm vor, die Haushaltseinigung zu torpedieren – denn Lindner meldete sofort neuen Beratungsbedarf an und brachte auch Einschnitte bei Sozialausgaben ins Spiel.
Wie groß ist die Finanzierungslücke?
Bis Mitte August wollen Scholz, Lindner und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) nun erneut Lösungen suchen. Dann soll der Haushaltsentwurf an den Bundestag weitergeleitet werden, der viel Zeit zur Beratung braucht.
Lindner bezifferte die noch bestehende Finanzierungslücke auf rund fünf Milliarden Euro. Nicht berücksichtigt ist dabei, dass er außerdem darauf wettet, dass neun Milliarden Euro von den Ministerien ohnehin nicht ausgegeben werden. Eine solche „globale Minderausgabe“ einzuplanen, ist üblich und hat sich in den vergangenen Jahren stets bewahrheitet. Diesmal allerdings könnte es aus Sicht der Union anders laufen. Angesichts der aktuell schrumpfenden wirtschaftlichen Entwicklung sei mit steigenden Ausgaben zu rechnen, vor allem im Sozialbereich, argumentierte Fraktionsvize Mathias Middelberg (CDU).
„Wirtschaftsweise“: Mit Haushalt nicht angreifbar machen
Im ZDF-Sommerinterview betonte Lindner, er werde nicht das Risiko eingehen, einen verfassungswidrigen Haushalt aufzustellen. Er habe sich schon einmal auf einen wackligen Kompromiss eingelassen, der dann im vergangenen Herbst vom Verfassungsgericht kassiert wurde. Damals ging es um Corona-Kredite in Höhe von 60 Milliarden Euro, die für Klimaschutz und den Umbau der Wirtschaft genutzt werden sollten. „Das passiert mir kein zweites Mal“, betonte Lindner.
Rückendeckung bekommt der FDP-Chef dabei von der „Wirtschaftsweisen“ Veronika Grimm. „Gerade in der aktuellen Lage sollte die Regierung unbedingt vermeiden, einen angreifbaren Haushalt aufzustellen“, sagte die Ökonomieprofessorin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Könnte gegen den Haushalt wieder in Karlsruhe aussichtsreich geklagt werden, würde dies die Unsicherheit zusätzlich erhöhen und brächte auch die Akteure in Verruf.“ Grimm nannte mehrere Möglichkeiten, die nötigen Milliarden einzusparen: Weniger Subventionen und dafür mehr Anreize beim Klimaschutz, Anpassungen bei der Rente mit 63 und bei der Witwenrente sowie stärkere Sanktionen im Bürgergeld.