Im Haushaltsstreit zeigen sich Teile von SPD und Grünen erzürnt über den Finanzminister. Von einem Bürgerdialog in Potsdam dürfte Christian Lindner für sich aber Rückenwind mitnehmen.
Bis zwei Minuten vor Schluss muss Christian Lindner warten, um zu erfahren, wie die Anwesenden das betrachten, was das politische Berlin im Sommerloch umtreibt: den Haushalt. Selbst angesprochen hat „Mister Schuldenbremse“ das Thema beim „Bürgerdialog“ nicht. Er habe sich vorgenommen, so sagt der Bundesfinanzminister und FDP-Vorsitzende eingangs, dass es um das gehen solle, was die rund 60 Anwesenden so interessiere und umtreibe.
Für die Bürgerinnen und Bürger in der Potsdamer Schinkelhalle ist dies dann eher nicht der aktuelle Haushaltsstreit, sondern die schleppende Digitalisierung der Schulen, die Schwierigkeiten der Rentenversicherung, der angespannte Wohnungsmarkt, das umstrittene Tempolimit oder die zu komplizierten Steuererklärungen.
Dabei ist seit vier Tagen wieder offen, ob Lindner solche Fragen überhaupt weiter in dieser Bundesregierung angehen kann. Alles hängt daran, ob sich die Ampel im Bundestag auf den Haushalt einigt – oder ob sie daran scheitert.
Haushaltsstreit: „Grenze des Erträglichen“
Eigentlich schien das Problem gelöst: Anfang Juli hatten SPD-Kanzler Olaf Scholz, der grüne Vizekanzler Robert Habeck und Lindner nach wochenlangen Verhandlungen einen Kompromiss zum Haushalt präsentiert, der eine Lücke von mindestens 30 Milliarden Euro stopfen sollte. Seit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts im vergangenen November war offensichtlich, dass nach dem Haushalt für 2024 auch der für 2025 ein Kraftakt werden würde. Mit der Einigung wollten die Spitzen der Koalition die Zweifler eines Besseren belehren.
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Nur wenige Wochen später aber ist klar, dass die Koalition ihr Haushaltsproblem längst nicht beseitigt hat. Lindner ließ mehrere der Maßnahmen aus dem Haushaltsentwurf von Experten bewerten. Nach diesen Prüfungen kam sein Finanzministerium zu dem Schluss, dass einige geplante Tricks nicht tragbar seien und die mühsam erzielte Einigung nachverhandelt werden müsse. Lindner sieht nun eine Lücke von fünf Milliarden Euro.
Bei einem Haushalt von 480 Milliarden Euro klingt das nach vergleichsweise wenig, doch hat dies den Streit in der Koalition wieder aufflammen lassen. Teile von SPD und Grünen werfen dem Finanzminister vor, den Haushaltskompromiss einseitig aufgekündigt zu haben. Aus den Gutachten ergebe sich keineswegs zwangsläufig eine Notwendigkeit zur Neuverhandlung des Haushalts, sagte SPD-Chefin Saskia Esken. Dass Lindner diese Bewertung „ohne jede Abstimmung in der Regierung“ vorgenommen und öffentlich gemacht habe, überschreite für sie „die Grenze des Erträglichen in einer Koalition“.
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Auch Andreas Audretsch, Fraktionsvize der Grünen, sagte: „Es gibt keinen Grund, neu zu verhandeln.“ Klar sei außerdem, ein „Kaputtsparen beim sozialen Zusammenhalt und beim Klimaschutz“ werde es nicht geben. Die FDP hingegen erwartet Vorschläge für Einsparungen von SPD und Grünen. Aus Kreisen des Finanzministeriums verlautet, dies könnten auch Maßnahmen „zur Stärkung der Treffsicherheit der Sozialausgaben“ sein.
Bürgerdialog: „Danach kann nichts mehr kommen“
Für die Koalition also ein großes Streitthema – das allerdings in Potsdam erst kurz vor Ende der Veranstaltung zur Sprache kommt. Er habe eigentlich keine Frage, sagt ein Mann mit Glatze und strahlend blauem Polohemd, sondern wolle einmal seinen Dank und einen Wunsch aussprechen. „Ich find’s ganz toll, dass Sie diesen Haushaltsentwurf haben prüfen lassen.“ Besonders, dass diese Prüfung geschehen sei, bevor man die Maßnahmen verabschiede. Und er wünsche sich, „dass Sie da stabil bleiben“, sagt er zu Lindner.
Er selbst habe zwar keine Kinder, doch das Thema Generationengerechtigkeit treibe ihn um. Deshalb sei auch die Schuldenbremse so wichtig. Da müssten Lindners FDP und auch er selbst „stark bleiben“, so der Mann. Es ist das einzige Mal während der Veranstaltung, dass im Saal applaudiert wird.
So schön hätte sich Lindner seinen „Bürgerdialog“ vielleicht nicht einmal erträumt: „Danach kann nichts mehr kommen“, sagt der Finanzminister denn auch und beendet die Veranstaltung. Nach ein paar Selfies im Saal nimmt er den Rückenwind der Unterstützung wenig verhohlen mit zu den Pressevertretern, die mit Kameras und Aufnahmegeräten auf ihn warten – und im Gegensatz zu den Bürgerinnen und Bürgern nur Fragen zum Haushalt haben.
Die Antworten Lindners sind routiniert. Neben der Tatsache, dass die Steuern für die „arbeitende Mitte“ nicht erhöht werden dürften, sei auch klar, dass es keine Ausnahme von der Schuldenbremse geben dürfe, etwa auf Basis eines Notlagenbeschlusses. „Das kam ja hier bei der Veranstaltung auch zum Ausdruck“, sagt er: „Dass es eine große Priorität ist, dass wir nachhaltige Staatsfinanzen haben.“
Damit bekräftigt Lindner seine Absage an die SPD, die nach wie vor darauf setzt, wegen des Ukraine-Krieges eine Notlage zu erklären und zusätzliche Kredite aufzunehmen. Es mag wenig überraschen, und doch wird auch in Potsdam klar: Der Finanzminister wird sich in diesen Fragen nicht bewegen. Christian Lindner will offenbar, wie es der Bürger sagte, „stabil bleiben“.