US-Wahlkampf: Bilanz-Ballast der Vizepräsidentin: die sechs Baustellen der Kamala Harris

Von der Hoffnungsträgerin über die graue Maus zur Hoffnungsträgerin: Kamala Harris will nächste US-Präsidentin werden. Doch ihr Versäumnis-Rucksack ist nicht ganz leicht.

Vielleicht hatte Joe Biden seine Ankündigung, eine „Brücke für die nächste Generation“ zu sein, tatsächlich einmal ernst gemeint. Damals im Wahlkampf vor vier Jahren. Doch als gewählter Präsident der Vereinigten Staaten fühlte sich der Sessel im Oval Office schnell so bequem an, dass er ihn lieber nicht seiner designierten Nachfolgerin überlassen wollte. Jedenfalls nicht so schnell. 

Außerdem war es ja auch nicht so, dass sich das Land nach Kamala Harris verzehrt hätte. Eher im Gegenteil. Gerade einmal 35 Prozent der Amerikaner standen im Jahr zwei ihrer Vizepräsidentschaft noch hinter ihr. Damit untertraf sie nicht nur Bidens maue Umfragewerte, sondern auch noch die ihres ungeliebten Vorgängers Mike Pence. 

Am Anfang war sie fast Co-Präsidentin

Die erste Frau und Nicht-Weiße in dem Amt galt zu Beginn 2021 noch als eine Art Co-Präsidentin, doch sie agierte so unglücklich und graumäusig, dass Joe Biden schon bald in ihr keine Alternative mehr sah. Bis zum 27. Juni 2024: An diesem Donnerstag verbaselte der 81-Jährige das TV-Duell gegen Donald Trump und zeigte der ganzen Nation, das ihm kein Staat mehr zu machen ist. PAID IV USA bereit für Kamala Harris? 12.51

Es dauerte noch drei Wochen, bis er zähneknirschend auf eine erneute Präsidentschaftskandidatur verzichtete. Und plötzlich war Kamala Harris wieder da. Die Frau, auf die zuvor kaum jemand einen Cent gegeben hätte. Bis zu Bidens Rückzug kursierten als mögliche Irgendwann-Einmal-Nachfolger Namen wie Gretchen Whitmer, Gouverneurin aus Michigan, Gavin Newsom, Gouverneur aus Kalifiornien oder Pete Buttigieg, US-Verkehrsminister. Selbst über den ins Querdenker-Lager gewechselten Ex-Demokraten Robert F. Kennedy Jr. wurde mehr geredet als über Kamala Harris.

Kamala Harris sechs Baustellen

Ihre mäßige Beliebtheit hat viele Gründe, und die dürften als schlecht zu verbergende Baustellen ihren Wahlkampf begleiten:

Die Grenzsicherung: Das Thema illegale Einwanderung treibt die Amerikaner seit vielen Jahren um. Die Konservativen sprechen von einer „Invasion“ an der Grenze zu Mexiko, an der Donald Trump einst einer Mauer bauen lassen wollte. Als Joe Biden ins Weiße Haus einzog, übertrug er Kamala Harris den Job, sich darum zu kümmern – ein undankbareres Projekt ist in der US-Politik kaum denkbar. 

Mit einer ihrer ersten Amtshandlungen machte Harris auch gleich alle Hoffnungen zunichte, dass sie sich mit Ruhm bekleckern würde: Als frisch ernannte US-Vizepräsidentin reiste sie nach Mittelamerika, traf dort auf jene Menschen, die in den USA Schutz vor Krieg und Gewalt suchen und sagte mahnend den Satz: „Don’t come!“ „Kommt erst gar nicht.“ 

Danach stieg die Zahl der Grenzübertritte weiter an, bis Joe Biden das Thema an sich nahm und in diesem Frühjahr einen deutlich verschärften Einwanderungskurs ankündigte. Kamala Harris‘ schlechte Bilanz bei einem so wichtigen Thema dürfte ihre größte Bürde im Wahlkampf werden.

Lachforscher, US-Wahl 16.39

Die Nicht-Wahlkämpferin: Bei der letzten Präsidentschaftswahl hatte Kamala Harris sich noch selbst für das höchste Amt des Landes beworben. Nach einem aufsehenerregenden Start aber versandete ihr Wahlkampf schnell. Der Juristin fehle die Fähigkeit, „klare Botschaften“ zu vermitteln, hieß es damals. Noch immer hängt ihr der verpatzte Wahlkampf nach. 

Die Quoten-Nicht-Weiße: Obwohl es Harris bei den 2020 nicht einmal auf den Vorwahlzettel der Demokraten geschafft hatte, wurde sie von Joe Biden zu seiner Vizepräsidenkandidaten ernannt. Aus Gründen der „Vielfalt“, wie er sagte. Rechte Kreise werfen ihr deshalb bis heute vor, nur aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Herkunft (ihr Vater ist Jamaikaner, ihre Mutter Tamilin) Vizepräsidentin geworden zu sein. Diese Debatte dürfte auch dieses Jahr wieder Fahrt aufnehmen, da sie sich wieder nicht über die Vorwahlen qualifizieren musste.

Wahlrechtsreform: Das Wahlrecht, da sind sich die allermeisten Amerikaner ausnahmsweise einig, ist arg renovierungsbedürftig. So gibt es etwa kein Recht auf Briefwahl, manche fordern, den Wahltag zu einem Feiertag zu machen. Um dieses Projekt sollte sich Kamala Harris ebenfalls kümmern. In knapp einem Jahr war sie weit gekommen. Es wurden die richtigen Leute ins Boot geholt und der Kongress entsprechend vorbereitet. Doch am Ende waren es ausgerechnet zwei demokratische Senatoren, ihre eigenen Leute, die ihr ihre Unterstützung versagten. Und so stand die Vizepräsidentin wieder mit leeren Händen da.

Mitarbeiterverschleiß: Das Politikbusiness in den USA ist schnelllebig, Job-, Projekt- und Teamwechsel sind an der Tagesordnung. Und doch wirft es ein schlechtes Licht auf die Führungsfiguren, wenn sie ihre Leute zu häufig austauschen. Genau darunter litt der Stab von Kamala Harris nach Beginn ihrer Amtszeit. Zu den Gründen hieß es, die Chefin selbst sei angesichts ihrer Aufgaben schlecht gelaunt, ihr Team gefrustet und zudem schlecht organisiert. Mittlerweile läuft ihr Büro wieder rund, doch ihr Ruf als miese Chefin ploppt immer wieder auf.

Ihr Lachen: Natürlich ist es absurd und unfair, eine Politikerin wegen ihres Lachens zu schmähen, aber im extrem auf gefälliges Funktionieren ausgerichteten US-Wahlkampf kann selbst das gegen die Kandidaten verwendet werden. Eine „irre Lache“ unterstellte ihr Kontrahent Donald Trump, und ganz gewiss ist Harris keine Herumschmunzlerin, sondern jemand, die gerne, viel und laut lacht. 

Ist es beherzt und lebensbejahend oder, wie manche unken, übergeigt, wie so vieles, dass aus ihrer Heimat Kalifornien kommt? „Menschen, die viel lachen, erleben sich selbst als stark und kompetent und fürchten sich nicht vor sozialen Konflikten. Insofern wird Kamala Harris für Donald Trump eine sehr unangenehme Gegnerin sein“, sagt der Lachforscher Michael Titze im stern-Gespräch. Sicher ist, dass der Republikaner bislang noch jede Bedrohung mit noch heftigerer Gegenbedrohung beantwortet hat.Newsblog US-Wahl 2024 11:23

Harris setzt wie Donald Trump auf Attacke

100 Tage hat die 59-Jährige noch Zeit, ihre Baustellen zu beackern – und all jene, die die Republikaner bis Anfang November noch öffnen werden. Wie sie das anstellen wird, deutet sich langsam an. In einem großen Porträt in der US-Zeitschrift „The Atlantic“ sagte Harris selbst, ihre Stärke sei es nicht, „schöne Reden“ zu halten. Aber dafür kann die frühere Staatsanwältin Attacke – ganz wie ihr Gegner.

Als Staatsanwältin, so Harris neulich, habe sie zu tun gehabt mit Verbrechern, „die Frauen missbraucht, Betrüger, die Verbraucher abgezockt und Schwindler, die Regeln zu ihrem eigenen Vorteil gebrochen haben. Hört mir also zu, wenn ich sage, dass ich Typen wie Donald Trump kenne“.

Quellen: Axios, „The Atlantic„, Reuters, AP, „Die Zeit„, Deutsche Welle, „Taz“, FiveThirtyEight, „Frankfurter Allgemeine Zeitung„, RND