Gegen Ende des Mittelalters kamen Prozesse gegen Tiere in Mode. Häufig landeten Schweine wegen Mordes vor Gericht. Aber auch eine missbrauchte Eselin musste den Scheiterhaufen fürchten.
1379 kam es zu einem Aufruhr in einem französischen Kloster. Zwei Schweinerotten gerieten in Wut – in dem Getümmel töteten die Schweine einen Mann, Perrinot Muet. Nach der Bluttat – die man nicht ungesühnt lassen konnte – wurden die Schweine ergriffen und vor Gericht gestellt. Nicht nur die drei Tiere, die den Mord verübt hatten, sondern alle, die sich am Aufruhr beteiligt hatten.
Das Urteil konnte nur auf Tod lauten. Mit lauten Rufen zeigten die Zuschauer im Gerichtssaal ihre Zufriedenheit, dass die tierischen Malefikanten ihrer gerechten Strafe nicht entrinnen konnten. Das Standwerk zum Thema „Tiere im Gerichtssaal“, „The Criminal Prosecution and Capital Punishment of Animals“, stammt von 1906. Dort stellt E. P. Evans fest, dass Schweine häufig Probleme mit dem Gesetz hatten. Er analysierte: „Die Häufigkeit, mit der Schweine vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt wurden, hing mit der Freiheit, mit der sie auf den Straßen laufen durften, und ihrer immensen Zahl zusammen“.
Der Abt Humbert de Poutiers fürchtete nach dem Urteil, sein Kloster werde ruiniert. Die Mönche müssten Hungers leiden, wenn all ihre Schweine durch die Hand des Scharfrichters fielen. Also schrieb er an den mächtigen Herzog von Burgund und bat, doch die Mitläufer zu begnadigen und nur die drei Mörder-Schweine hinzurichten. Der Herzog „hörte auf das Flehen und befahl, die Strafe zu erlassen und die Schweine freizulassen“, berichtete E. P. Evans . Der Briefwechsel verhinderte, dass der Schweine-Prozess in Vergessenheit geriet.
Schweine häufig vor Gericht
Schweine können ziemliche Biester sein. Wie der Mensch sind sie Allesfresser, verschmähen daher auch kein Fleisch. Zudem sind sie klug und arbeiten kooperativ in der Gruppe. Meist waren Kinder ihre Opfer.Grab Franken Merowinger 15.02 Uhr
In der Rechtsprechung des Mittelalters sind heutige Fragen wie erlittene Traumata oder eine schwere Kindheit irrelevant. Strafmildernd oder strafverschärfend konnten hingegen Ort- und Zeit der Missetat sein. Evans berichtet von einem Schwein, welches ein Kleinkind verspeist hatte – schlimm genug. Der arglistigen Charakter des Tieres wurde den Zeitgenossen aber durch einen anderen Umstand deutlich gemacht: Das Schwein fraß das Kind am Freitag, einem Fastentag.
Im Jahr 1386 kam es zu einem Volksfest in Falaise. Eine „riesige und bunte“ Menge wollte die Hinrichtung eines Mörders begaffen. Die Bürger erschienen in ihren besten Kleidern. Sterben sollte mal wieder ein Schwein. Weil es „der bösen Neigung, Säuglinge auf der Straße zu essen, nachgegeben hatte“. Der Prozess wurde geführt, als ginge es um das Leben eines Menschen. Und so sollte auch die Hinrichtung ablaufen. Der Henker kaufte extra neue Handschuhe, die er der Stadt in Rechnung stellte. Vor dem Tod sollte das Schwein an Kopf und Vorderbein verstümmelt werden. Dem Anlass angemessen, konnte das Schwein nicht nackt erscheinen, es wurde festlich eingekleidet. Das ganze erhabene Spektakel wurde in einem Fresko festgehalten. Im 19 Jahrhundert wurde den Bürgern die Posse offenbar peinlich, 1820 tünchte man die Wand über.
Insgesamt listet Evans etwa 200 überlieferte Fälle auf, die meisten in Frankreich. In Marseille wurden 1596 sogar zwei Delfine vor Gericht gestellt und hingerichtet – ihr Vergehen ist leider unbekannt.Ritter Fitness
Prozesse wie gegen Menschen
Tatsächlich dürften auch im Mittelalter Prozesse gegen Tiere eher eine kuriose Besonderheit als der Alltag vor Gericht gewesen sein. Kam es aber zu einem Gerichtsverfahren, wurde der gesamte Justizapparat eingesetzt – diese Prozesse waren umständlich, kompliziert und sehr teuer. Vor allem, wenn wie bei den Tieren, bei den Verurteilten nichts zu holen war. Evans berichtet etwa von einer Sau und einer Eselin, die beide zum Hängen verurteilt wurden. Aber ihr Anwalt gab sich mit dem Urteil nicht geschlagen, er ging in die Berufung. In der nächsten Instanz wurde die Strafe gnädig gemildert. Die Tiere kamen mit ihrem Leben davon und ihnen wurde nur einmal auf den Kopf geschlagen.
Auch eine missbrauchte Eselin hatte 1750 Glück. Das Gericht erkannte, dass das brave Langohr Opfer einer Gewalttat gewesen sei. Auch das Kloster, dem die Eselin gehörte, bescheinigte, dass sich die Eselin in vier Jahren des Dienstes „immer tugendhaft und brav zu Hause und in der Fremde betragen hatte“. Ein Glück, denn wegen Sodomie landete man schnell auf dem Scheiterhaufen.Zombie
In diesem Rechtsverständnis ist das Tier ein moralisches Wesen, das durchaus eigene Entscheidungen zum Guten und zum Bösen treffen konnte. Das auch leiden konnte und darum schlimme Strafen erleiden musste. Ein ähnliches Muster findet sich in den populären Heiligen Geschichten des Mittelalters. Viele Heilige verstanden die Sprache der Tiere und stets trafen sie auf vernunftbegabte Gesprächspartner. Der heilige Romedius zum Beispiel musste feststellen, dass ein wilder Bär sein Pferd gefressen hatte. Mitten in der Wildnis. Der heilige Mann erklärte dem Bären, dass er dringend nach Turin müsse. Der Bär verstand seine Notlage und ließ sich umstandslos satteln und trug Romedius in die Stadt.
Showveranstaltungen der Obrigkeit
Der Historiker Peter Dietzenbacher warnt davor, die Menschen des Mittelalters für dumm zu halten. Seiner Meinung nach kommt es vor allem in sehr angespannten Zeiten zu diesen Prozessen. Zeiten, „in denen extreme Maßnahmen zur Gewährleistung von Recht und Ordnung als notwendig erachtet wurden“.
So gesehen sind die Prozesse erstaunlich modern, es sind Schauprozesse. Die Obrigkeit greift zu diesem Mittel, um tatkräftig zu erscheinen. Es sind Inszenierungen, „die der Gemeinschaft helfen, mit einer Bedrohung fertig zu werden – nicht weil sie wirklich funktionieren, sondern weil sie den Eindruck erweckten, dass die Behörden eifrig und entschieden für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung sorgten.“ Ohnehin sind diese Prozesse keine Phänomene des Mittelalters. Im frühen und hohen Mittelalter sind sie unbekannt. Erst als Juristen an Universitäten ausgebildet wurden, breiteten sich ab dem dreizehnten Jahrhundert aus. Und blieben bis zur Aufklärung in Mode. Neuere Fälle, wie der eines mazedonischen Bären, der 2008 verurteilt wurde, weil er einem Imker Honig gestohlen hatte, haben einen eher humoristischen Hintergrund.
Einkommenssicherung für Juristen
Nach dem Ende des Mittelalters kamen Prozesse gegen Plagen und Schädlinge in Mode. Tatsächlich konnten die staatlichen und kirchlichen Gewalten gegen diese Drangsale überhaupt nichts unternehmen. Genau dieser Eindruck der Hilflosigkeit musste aber unbedingt vermieden werden. Also wurden Ratten und Käfer vor Gericht gebracht.
In Frankreich gerieten die Ankläger an den gerissenen Juristen Bartholomew Chassené der die Schädlinge mit Vehemenz vertrat. Für den Verteidiger der Tiere war ein solcher Prozess eine Maschine zum Gelddrucken. Ratten und Käfer konnten nicht zahlen, also musste die Stadt ihm seine notwendigen Kosten erstatten. In Chassenés Schreiben kann man die ganz verstiegene Wortklauberei der damaligen Justiz bewundern. Die Klage gegen die Ratten müsse abgewiesen werden, argumentierte er. Denn „aufgrund der Länge und Schwierigkeit der Reise und der schweren Gefahren, die die Ratten mitmachten, wegen der unermüdlichen Wachsamkeit ihrer Todfeinde, der Katzen, die alle ihre Bewegungen beobachteten und mit gefällter Absicht an jeder Ecke und Passage auf sie warteten“, könne man den Nagern den tödlichen Marsch ins Gericht nicht zumuten.
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