Der Auschwitz-Prozess zeigte vor fast 60 Jahren das Grauen der KZ. Mit modernen Mitteln und einem alten Text will Regisseur RP Kahl die Erinnerung wachhalten.
Sie zeigen vier Stunden lang, wie Schauspieler auf einer Bühne, die einen Gerichtssaal darstellt, den fast 60 Jahre alten Text „Die Ermittlung“ von Peter Weiss über den Auschwitz-Prozess vortragen. Was fügt dieser Film der bisherigen Rezeption hinzu?
Der Film hat eine sehr moderne Anmutung – und das ist der größte Unterschied zu dem, was es bisher gibt. Wenn man den Text liest, dann ist er noch immer stark und packend. Aber die Umsetzungsformen, die man bisher kennt – also vor allem Theater- und Fernsehaufzeichnungen – verbleiben in der Ästhetik und der sprachlichen Handhabe in der Zeit. Dadurch kann man sie leicht weit von sich weghalten. Ältere Leute in komischen Anzügen sprechen komisch. Wir wollten das ästhetisch und sprachlich so darstellen, dass es eine klare Anbindung an das jetzt hat. Die Zuschauer sollen spüren, dass das etwas mit ihnen zu tun hat.
Für die Schauspieler muss das extrem schwierig gewesen sein. Denen wurde gesagt: Der alte Text bleibt genau so, aber macht bitte alles neu.
Das war eine riesige Herausforderung. Deshalb habe ich nach Darstellern gesucht, die eine sehr starke Ausstrahlung haben. Und zwar nicht nur durch ihr Spiel, sondern durch ihre Persönlichkeit. Zum Zweiten habe ich gesucht nach Schauspielern, die ein Talent für den Umgang mit Text haben und eher nicht psychologisch oder intuitiv an ihre Rollen herangehen. Gedreht haben wir dann in Berlin-Adlershof in einem Studio, in dem sonst Produktionen wie „Wer stiehlt mir die Show?“ stattfinden – übrigens mit vielen Mitarbeitern, die auch sonst da beschäftigt sind. Wir haben uns viele Gedanken um Farben und Licht gemacht, mit acht Kameras gleichzeitig gedreht. Die filmische Umsetzung sollte modern und innovativ sein.
RP Kahl Zur Person
Gleichzeitig feiern Sie Weiss‘ alten Text als perfektes Drehbuch. Ist das nicht auch eine traurige Erkenntnis, dass dieser alte Text heute noch so gut passt wie vor 60 Jahren als im Frankfurter Prozess der Nachkriegsgesellschaft vor Augen geführt wurde, was in Auschwitz passiert ist?
Ich fange mal positiv an: Es spricht für den Text von Peter Weiss. Das kennen wir von guter Literatur, dass sie die Zeit überdauert. Aber inhaltlich stimmt es, dass die Themen nichts von ihrer Relevanz verloren haben. Es geht zum Beispiel um Opportunismus und um den schmalen Grat zwischen Terrorregime und Rechtsstaat. Wir sind als Gesellschaft natürlich nicht 1965 stehen geblieben. Aber wir schrecken immer wieder auf und merken: Irgendwie scheint dem Menschen ein Hang zum Opportunismus innezuwohnen und auch eine Neigung, dem starken Anführer zu folgen.
Sehen Sie eine Gefahr, dass von Auschwitz am Ende ein klassisches Drama überbleibt, das irgendwie immer passt, um einen Abend zu füllen.
Ich glaube, wir entgehen dieser Gefahr dadurch, dass wir das Monströse vermitteln. Deshalb ja auch die Dauer von vier Stunden, weil es eben anders nicht darstellbar ist – auch wenn manche Leute sagen, das ist zu viel, das halte ich nicht durch. Ich hoffe, dass wir einen Weg gefunden haben, Auschwitz beschreibbar zu machen. Es hat Auschwitz gegeben, Menschen haben es getan – also muss man es auch beschreiben können. Und die Aufgabe ist dann, daraus einen Aufruf zu machen, aus der Geschichte zu lernen.
Sie erreichen diese Beschreibbarkeit im Film gerade dadurch, dass eben keine unerträglichen Bilder aus dem Lager gezeigt werden, sondern Überlebende über ihre Erfahrungen und ihr Leid vor Gericht sprechen. Erst das Fehlen der Bilder macht den Film so möglich.
Es entstehen natürlich trotzdem Bilder im Kopf der Zuschauer. Wir überlassen ihnen nur, wie stark und wie konkret diese Bilder sind. Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich ein so textbasiertes Werk zu einem Film mache, weil ja ziemlich offensichtlich ist, dass wir uns auf ein Zeitalter des Bildes zubewegen. Aber trotzdem hat das Wort immer noch einen großen Wert. Damit künstliche Intelligenz Bilder generieren kann, muss ich zuerst Worte eingeben. Unser Weg war, durch Worte Bilder zu erzeugen. Und ich glaube, dass das der richtige Weg ist, da wir Menschen noch so ticken.
Der Schatten ihres Vaters Tochter von Auschwitz-Kommanda… (2192314)
Wenn wir in die USA schauen, habe ich da meine Zweifel: Das Bild von Donald Trump mit blutverschmiertem Gesicht und gereckter Faust ist pure Politik. Sie kommt ohne Worte aus. Das Bild übernimmt die Macht und die Sprache fällt hintenrunter.
Da widerspreche ich nicht. Dieses Bild kann wahlentscheidend sein. Aber wenn man es betrachtet, dann sieht man, dass es die Ambivalenz nicht erzählt. Trump ist zu sehen als verwundeter Kämpfer. Nur ist das ja nicht die ganze Geschichte. Sein Verhältnis zur Gewalt ist viel komplexer, da müssen Sie nur an den Sturm auf das Capitol denken. Und da komme ich zurück zu Peter Weiss, der eben auch Sachen erzählt, die wir gar nicht hören wollen, etwa die Ambivalenzen in den Opferbiografien, die ja ganz schwer auszuhalten sind. Den Opfern wurde ihre Menschlichkeit genommen, und sie konnten sich zum Teil selbst nicht mehr menschlich verhalten und haben Schuld auf sich geladen. Das wollten wir auch im Film zeigen. Und dafür braucht es das Wort.
Haben Sie keine Sorge, dass diese Herangehensweise nur die erreicht, die Worte besonders schätzen und ohnehin nicht gefährdet sind durch Populisten und Hassprediger?
Ich verstehe das Argument. Aber schauen Sie sich den sechsten Gesang an, da geht es um Unterscharführer Stark, einen der Angeklagten. Den spielt ein junger Mann, den man sympathisch finden kann und dem man leicht abnehmen kann, dass er angeblich keine Wahl hatte, dass ihm der Nationalsozialismus schon als Kind in der Schule gepredigt wurde und dass er eigentlich auch eher Opfer ist. Aber der tolle Typ hat eben Menschen erschossen, nachdem er vorher noch mit anderen Häftlingen wie in der Abiturklasse über Nietzsche gesprochen hat. Da glaube ich schon, dass es dem Menschen innewohnt zu wissen, dass das falsch ist. Dass auch ein politisch nicht so gefestigter Zehntklässler erkennt: Das geht nicht. Der Mann ist ein Mörder. Da glaube ich an die Intelligenz und Intuition von Zuschauerinnen und Zuschauern.