EU-Bericht: Ungarn verstößt weiter massiv gegen Rechtsstaatlichkeit

Ungarn verstößt laut einem EU-Bericht weiter massiv gegen die Rechtsstaatlichkeit. In Ungarn gebe es ein „systemisches Problem“ mit den Grundrechten, sagte Justizkommissar Didier Reynders am Mittwoch in Brüssel. Dazu zählen unter anderem Korruption und Verstöße gegen die Pressefreiheit. Der Slowakei drohte die EU-Kommission wegen Rechtsstaatsmängeln mit einem Verfahren.

In ihrem fünften Rechtsstaatsbericht gibt die Kommission nach Angaben eines EU-Beamten eine „Rekordzahl“ von acht Empfehlungen an die Regierung von Viktor Orban ab. Das ist politisch brisant, denn Ungarn hat in diesem Halbjahr den rotierenden EU-Ratsvorsitz inne.

Verstöße gibt es in Ungarn nach Angaben von Vizekommissionspräsidentin Vera Jourova bei allen vier Säulen der Rechtsstaatlichkeit: im Justizsystem, bei den Maßnahmen gegen Korruption, bei der Pressefreiheit sowie der Gewaltenteilung. 

In dem EU-Länderbericht zu Ungarn heißt es, einige „Korruptionsfälle auf hoher Ebene“ würden zwar inzwischen juristisch verfolgt, es fehlten aber Nachweise über das Ausmaß der Strafverfolgung und endgültige Urteile gegen hohe Beamte. Zudem müsse die Orban-Regierung die „redaktionelle Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien“ stärken und Gesetze aufheben, welche die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen einschränken.

Bereits vor einem Jahr hatte Justizkommissar Reynders dem Land „sehr große Abweichungen bei der Rechtsstaatlichkeit“ bescheinigt. Die EU hatte deshalb in den vergangenen Jahren verschiedene Verfahren gegen Ungarn eingeleitet und Fördermittel auf Eis gelegt. Wegen Grundrechtsverstößen – etwa beim Asylrecht – sind derzeit noch gut 20 Milliarden Euro an EU-Hilfen für Ungarn eingefroren, wie Reynders betonte.

Mit zunehmender Sorge sieht die EU-Kommission auch die Lage in der Slowakei unter dem Russland-freundlichen Regierungschef Robert Fico. Vizekommissionspräsidentin Jourova verwies auf die „Pflicht, Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, wenn wir sehen, dass nationale Gesetze nicht mit den EU-Regeln übereinstimmen“.

Eine laufende Strafrechtsreform in der Slowakei gibt laut dem Länderbericht „Anlass zur Sorge beim Kampf gegen die Korruption, insbesondere der Korruption auf hoher Ebene“. Wie bereits im Falle Ungarns fürchtet Brüssel, dass EU-Gelder in dunklen Kanälen versickern könnten. Damit könnte auch der Fico-Regierung ein förmliches Rechtsstaatsverfahren drohen, das als Sanktion das Einfrieren von Fördergeldern ermöglicht.

Mit Sorge sieht Brüssel daneben auch den Umbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Slowakei. Die Organisation Reporter ohne Grenzen hatte vor einem „harten Schlag“ gegen die Pressefreiheit gewarnt, ähnlich wie bereits in Ungarn.

Europaabgeordnete forderten erneut ein härteres Vorgehen gegen Rechtsstaats-Sünder: Der FDP-Abgeordnete Moritz Körner verlangte, „Viktor Orban in die Schranken zu weisen und Ungarn das Stimmrecht in der EU zu entziehen“. Das Europaparlament hatte dazu bereits 2018 ein sogenanntes Artikel-sieben-Verfahren gegen Ungarn eingeleitet. Einem Stimmrechtsentzug im EU-Rat müssten außer Ungarn alle anderen 26 Mitgliedsländer zustimmen, dies ist jedoch weiter nicht in Sicht.

Der Europaparlamentarier Daniel Freund (Grüne) rief die kürzlich wiedergewählte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf, „frühzeitige Finanzsanktionen“ bei Verstößen zu prüfen, etwa gegen die Slowakei und Italien. Auch in Italien hatten Journalisten zuletzt über Einschränkungen bei der Pressefreiheit unter der ultrarechten Regierungschefin Giorgia Meloni geklagt.

In ihrem Rechtsstaatsbericht wies die Kommission auch auf Mängel in Deutschland hin: Keine Fortschritte habe es zuletzt etwa bei dem Koalitionsversprechen für ein Auskunftsrecht der Presse gegenüber Bundesbehörden gegeben. Zudem müsse die Bundesregierung stärker gegen die Einflussnahme von Lobbyisten auf die Politik vorgehen.