Ein eigentümlicher Gegensatz zeichnet das Nachleben von Ernest Hemingway aus: Während sein Einfluss auf die gegenwärtige Literatur größer ist denn je, will der Mensch nicht mehr in unsere Zeit passen. Vor 125 Jahren wurde er geboren.
Ein Mann der in Kriege zieht, auf Großwildjagd geht, vom Stierkampf schwärmt, in Macho-Manier Frauen vernascht, säuft und mit all dem noch prahlt – so jemand ist eigentlich nicht mehr vermittelbar. So verwundert es nicht, dass der amerikanische Schriftsteller Ernest Hemingway mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod denkbar unzeitgemäß erscheint. Denn auch sein Werk erzählt genau davon: Männer, die das Abenteuer suchen, im Krieg, auf der Jagd, beim Hochseefischen – und dabei immer wieder dem Tod ins Auge sehen.
Gleichzeitig – und das ist das Interessante an Hemingway – ist sein Einfluss auf heutige Schriftstellergeneration größer denn je. Insbesondere die deutsche Literatur hat dem Amerikaner viel zu verdanken. Für den Schriftsteller Michael Kleeberg, selbst von Hemingway geprägt, gibt es „kaum einen zweiten Schriftsteller, der in der ersten Zeit des Neubeginns der westdeutschen Literatur einen solchen Einfluss auf seine Kollegen ausübte“, wie er 2010 schrieb.
Schriftsteller wie Heinrich Böll, Siegfried Lenz, Wolfgang Borchert oder Alfred Andersch kopierten und plagiierten gerade in ihrer Anfangsphase nach ’45 das Hemingway’sche Frühwerk. Das schien für den Neuanfang aus zwei Gründen geeignet. Zum einen war da ein Autor, der vom Krieg erzählte – der prägenden Erfahrung dieser jungen Generation. Das tat er aber ganz anders als dies in der unter den Nationalsozialisten geduldeten Heldenprosa geschah.
Lakonischer, schnörkelloser Stil
Ernest Hemingway schrieb klar und nüchtern, ohne jedes Pathos. Er verwendete kurze, knappe Hauptsätze, mit starken Verben und wenigen Adjektiven. Es ist ein lakonischer, schnörkelloser Stil, frei von sentimentalen Tönen. Schon 1931 gab der deutsche Schriftsteller Hans Fallada eine hellsichtige Beschreibung Hemingways Kunst: „Erzählen ist Weglassen. (…) Weglassen aller Gefühle, es gibt keinen Autor: Und aus all dem steigt Traurigkeit auf, die Verlorenheit im Leben, unsere Ziellosigkeit, Ausgeliefertsein an das Schicksal. (…) Er zeichnet nur ein paar Striche, gerade die Striche, die notwendig sind für die Kontur. Das andere überlässt er seinen Lesern.“
1954 bekam Hemingway den Literatur-Nobelpreis für „Der alte Mann und das Meer“ verliehen. Bei seiner Dankesrede fand er ein eigenes Bild für seinen Stil: „Ich versuche immer nach dem Prinzip des Eisbergs zu schreiben. Sieben Achtel davon liegen unter Wasser, nur ein Achtel ist sichtbar. Alles, was man eliminiert, macht den Eisberg nur noch stärker. Es liegt alles an dem Teil, der unsichtbar bleibt. Wenn ein Schriftsteller etwas auslässt, weil er etwas nicht weiß, dann ist ein Loch in der Geschichte.“
Das war das Besondere seiner Bücher: Ernest Hemingway strich jedes überflüssige Wort, war immer auf der Suche nach dem „wahren Satz“. Damit entschlackte er die Sprache, die gerade in Deutschland durch die zwölf Hitler-Jahre Pathos-beladen war.
Der Realismus der Hemingway-Carver-Schule
Kleeberg zufolge kam „Hemingways Siegeszug durch die deutsche Literatur“ Ende der 60er Jahre zum Erliegen, doch im 21. Jahrhundert ist er hierzulande präsenter denn je. Vor allem über das 1995 wieder gegründete Deutsche Literaturinstitut Leipzig wird sein Erbe weitergegeben. Die dort ausgebildeten Schriftsteller wie Clemens Meyer, Saša Stanišić oder Juli Zeh prägen die junge deutsche Literatengeneration maßgeblich. Das an der Schule vorherrschende Dogma beschreibt Daniel Kehlmann in seinen Poetikvorlesungen als „das knapp minimalistische Erzählen, den Realismus der Hemingway-Carver-Schule“. Namentlich Clemens Meyer, der 2008 den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt, beruft sich explizit auf Hemingway. In einem Interview sagte er: „Regelrecht beeinflusst hat mich Ernest Hemingway mit seinen Kurzgeschichten und Prosastücken, wie sie stilistisch filigraner nicht sein könnten.“Ernest Hemingway: „Paris, ein Fest fürs Leben“, gelesen von Matthias Habich, ist bei Audible als Download erhältlich.
© steinbach sprechende bücher
Dass Hemingway zu verschiedenen Zeiten eine solche Bedeutung gewinnen konnte hat sicher viel mit den prägenden Jahren zu tun, in denen der Journalist das Schriftstellerhandwerk lernte: Seinen Schliff holte er sich Mitte der 20er Jahre in Paris, wo er in Künstlerkreisen mit F. Scott Fitzgerald, Gertrude Stein und Ezra Pound verkehrte. Sein 1927 veröffentlichter Roman „Fiesta“ machte ihn schlagartig berühmt – er galt fortan als „Sprecher der verlorenen Generation“, jener jungen Männer, die mit zerstörten Illusionen aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrt waren. Sein lakonischer Stil transportierte genau diese Weltanschauung. Das war auch der Grund, warum er in Deutschland nach ’45 so einschlug. Und weshalb sich sein „Sound“ auch für die junge Generation des 21. Jahrhunderts eignet, die nach dem Zusammenbruch des Sozialismus und dem Bankrott des Kapitalismus ebenfalls Probleme hat, an etwas zu glauben.
Und so ist der Hemingway-Stil auch in seinem Heimatland nach wie vor sehr einflussreich – über dessen Epigonen Raymond Carver, Kehlmann zufolge ein Erbe Hemingways, „der dessen Technik aus dem Urwald und dem Krieg holte und heimbrachte ins Privatleben der Vorstädte“. Auf diese Weise adaptierte Carver Hemingways Diktion in die Gegenwart. Wie erfolgreich Carver damit war, lässt sich daran ablesen, dass die „FAZ“ ihn vor wenigen Jahren „einen der wichtigsten und einflussreichsten Autoren der amerikanischen Literatur der letzten fünfundzwanzig Jahre“ nannte, die „Süddeutsche Zeitung“ bezeichnete ihn als „Schriftsteller mit dem größten Einfluss auf die amerikanische Gegenwartsliteratur“.
„Ernest Hemingway hat mich regelrecht umgehauen“
Hat Ernest Hemingway damit auf ganzer Linie gesiegt? Der Schriftsteller Matthias Politycki sieht den Einfluss Hemingways auf die junge Autorengeneration durchaus kritisch, wie er 2011 im Gespräch mit dem stern sagte. Er selbst hat Hemingway zwar auch schon als 20-Jähriger gelesen, aber erst vor einigen Jahren für sich entdeckt: „‚Der alte Mann und das Meer‘ hat mich dann regelrecht umgehauen; ‚Wem die Stunde schlägt‘ erst Recht.“politycki-roman 19.50
Das Werk des Lyrikers, Essayisten und Romanciers („Weiberroman“, „Herr der Hörner“ oder zuletzt „Das kann uns keiner nehmen“) zeichnete sich lange Zeit durch sprachliche Experimentierfreude und komplexe Satzstrukturen aus. „Durch Hemingway habe ich die Freude am Einfachen entdeckt, den Schwung und die Kraft der Reduktion“, sagt Politycki. Als Vorbild tauge Hemingway seiner Meinung nach aber nur, wenn man als Schriftsteller nicht ohnehin schon auf einfache Satzstrukturen und Kurzsatzstil gepolt sei.
Dass eine unreflektierte Übernahme des Hemingway’schen Stils schnell in die Selbstparodie abrutscht, sieht man in den USA: Dort gibt es seit vielen Jahren – sehr erfolgreich – die International Imitation Hemingway Competition, bei dem der beste Hemingway-Imitator gesucht wird.
Lücke zwischen Leben und Werk
Doch warum ist uns dann der Mensch so fremd? Es ist vor allem das Prahlerische an Hemingways Person, das ihn heute für viele so ungenießbar macht. Wenn es darum ging, sich zu inszenieren und über sein Leben zu erzählen, kannte Hemingway kein Maß. Zwar hat Ernest Hemingway vieles von dem, worüber er schrieb, selbst erlebt, bereiste die Kontinente, verletzte sich sogar im Ersten Weltkrieg, ließ sich zum Stierkämpfer ausbilden, ging fischen und boxte. Manchmal trug er jedoch bei den Erzählungen seiner Erlebnisse zu dick auf: Er habe in beiden Weltkriegen 122 deutsche Soldaten getötet, „122 Krauts“, und einen Kriegsgefangenen mit mehreren Schüssen erledigt. Da hatte Hemingway den Bogen etwas überspannt: Er sah sich dem Verdacht ausgesetzt, Kriegsverbrechen begangen zu haben und musste sich einer Befragung durch eine Kommission stellen. Die entlastete ihn dann.
Der Stil von Hemingway: Knapp und unaufgeregt
Dieses Prahlerische, das einen heute befremden mag, geht seiner Literatur komplett ab, wie ein Beispiel exemplarisch zeigt. Die grausame Vertreibung der Griechen aus Smyrna durch die Türken 1922 beschreibt Hemingway so:
„Als sie [die Griechen] evakuiert wurden, hatten sie noch all ihre Lasttiere, die sie nicht mitnehmen konnten, und so brachen sie ihnen einfach die Vorderbeine und schubsten sie in das flache Wasser.“
Knapper und unaufgeregter kann man das Elend von Vertreibung auf den Punkt bringen. Wie anders dagegen die Flut von zweitklassigen Thriller-Autoren, die unsere Buchläden bevölkern: Dort spritzt das Blut hektoliterweise, werden Körperteile amputiert, Knochen gebrochen. Dass das alles gar nicht nötig ist, zeigt Ernest Hemingway in seinen Büchern immer wieder aufs Neue.
Legende vom großen Jäger, Trinker und Liebhaber
Doch die von ihm selbst immer wieder inszenierte Legende vom großen Jäger, Trinker und Liebhaber – Hemingway war vier Mal verheiratet – droht heute sein Werk zu überlagern. Und auch die Themen, die ihn umtrieben, sind heute nicht mehr gefragt: Der einsame Mann, der in die Wildnis zieht um zu töten oder selbst getötet zu werden – das scheint in Zeiten von Vätermonaten, Frauenquote und political correctness nicht mehr gefragt.
Doch es ist nicht nur sein Stil, der heute noch beispielhaft ist. Dass dort ein Mann war, der für seine Geschichten rausging und keine Gefahren scheute – das zeichnet ihn noch heute aus. Er war ein Schriftsteller, der ein Leben lang den wahren Satz suchte. Als er glaubte, ihn nicht mehr zu finden, jagte er sich am 2. Juli 1961 eine Kugel in den Kopf. Er war 61 Jahre alt. Er hatte ein pralles Leben gelebt.
Der Artikel entstand 2011 anlässlich des 50. Todestages von Ernest Hemingway.
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