Fußballspieler und Rapper, die Deutsche Bahn und Adidas: Alle bitten um Entschuldigung. Als wäre damit alles wieder gut. Doch so einfach ist die Sache nicht.
Der argentinische Mittelfeldspieler Enzo Fernández möchte sich für seine rassistischen Sprüche gegen Kollegen aus Frankreich entschuldigen; seine Wortwahl reflektiere nicht seine Werte und seinen Charakter. Sean Diddy Combs tut es leid, dass er seine Freundin geschlagen hat. Kanye West bekundet auf Hebräisch, dass er kein Judenhasser ist. Ein Schnösel hält seine Nazi-Parolen auf der Nordsee-Insel inzwischen für einen „ganz schlimmen Fehler“. Herzogin Kate will in Zukunft nie wieder Familienfotos manipulieren.
Wer heute in der Öffentlichkeit Unsinn verzapft, Dinge tut, die nicht woke genug sind und achtsam oder sogar strafbar, bekommt meist schnell Gegenwind. Wird der zu heftig, hilft nur eins: ein fettes Sorry. Weiß auch nicht mehr, welcher Wortteufel mich da geritten hat. Wird nicht mehr vorkommen, ich bin eigentlich ein Anderer. Ende der 70er-Jahre sang Elton John noch „Sorry Seems to Be the Hardest Word”, inzwischen rollen regelmäßig Entschuldigungslawinen durch die Medienlandschaft.
Hatten die Leute zu viel Party im Blut?
Kann passieren, dass man sich vergreift? In einer Zeit, in der Schlagfertigkeit als Tugend gilt, Liveticker bald auch die Auslastung auf dem Sonnendeck der „Aida“ verfolgen, kann es vorkommen, dass Gedanken, so halbgar wie die Verkehrswende, zu früh das Hirn verlassen. Und sich danach ein wenig schämen. Leute, die zu viel Party im Blut hatten. Die sich von einer Stimmung mitreißen ließen, einer Massenbewegung. Und danach alles bereuen.
Denn Sie wissen nicht, was sie tun? Die Frage stellt sich immer wieder aufs Neue, gerade besonders oft bei der Firma Adidas. Die Zusammenarbeit mit Kanye West musste vor einem Jahr nach seinen antisemitischen Tiraden beendet werden. Die Nummer 44 auf DFB-Leibchen wurde nachträglich gesperrt, weil sie an SS-Runen erinnert. Zurückrudern musste Adidas nun auch, als eine Neuauflage eines Schuhs von den Olympischen Spielen 1972 mit Bella Hadid beworben werden sollte.
Das waren die Spiele, bei denen palästinensische Terroristen das israelische Team überfielen und insgesamt 17 Menschen töteten. Nun ist der Vater des Topmodels dummerweise Palästinenser, Hadid selbst fiel in den sozialen Medien öfter auf durch antisemitische Ansichten und Aufrufe zur Gewalt gegen Israel. Inzwischen hat Adidas reagiert: „Wir entschuldigen uns für jegliche Verärgerung oder Leid, die dadurch verursacht wurden.“ Die Kampagne werde jetzt „überarbeitet“.
Nastassja Kinski wartet weiterhin auf eine Entschuldigung
Dass die Mittelfranken es besser können, zeigten sie bei der Vorstellung des gewagten pinkfarbenen Trikots der Nationalmannschaft. Im Anzeigenspot nahm man mit Kommentaren wie „Das will doch keiner haben“, „Ist das ein Frauen-Trikot?“ oder „Designer direkt feuern!“ dem erwarteten Shitstorm den Wind aus den braunen Segeln. Das Shirt wurde zum Verkaufsschlager.
Manchmal klappt es auch nicht mit dem Entschuldigen. Nastassja Kinski wartet bis heute auf ein öffentliches Pardon der „Tatort“-Macher, die die damals 15-Jährige nackt filmten. El Hotzo weigert sich bislang hartnäckig, seinen Todeswunsch von Donald Trump zu relativieren, dabei war er als Kommunikationsprofi schon viel weiter. Auf einer Digitalkonferenz predigte er vor zwei Jahren: „Du kannst dich aus den Klauen der Cancel-Culture befreien, indem du einfach für deine Tat Verantwortung übernimmst: Entschuldige dich aufrichtig.“Bella Hadid und Adidas 13.40
Schwarzer Gedanke: Nicht nur Adidas und der Hotzo wissen genau, was sie tun. Sind Empörung und Aufregung vielleicht so präzise eingepreist und kalkuliert wie die Songfolge bei einem Taylor Swift-Konzert? Getreu der alten Marketing-Weisheit: Es gibt keine schlechte Werbung. Nur Werbung, die niemand wahrnimmt und einen emotional kalt lässt.
Prominente können demnach im Prinzip sehr viel Mist in ihren Kanälen heugabeln, Hauptsache sie leisten danach möglichst schnell, deutlich und empathisch Abbitte. Sorry, war nicht so gemeint. Das ist nicht mein wahres Ich. Nicht das Bild, das ich von mir verbreiten möchte. Was den kleinen Küchenpsychologen in uns zu der Frage inspiriert: Warum hast du es dann überhaupt gesagt? Zu viel Alkohol oder andere Drogen? Heißt es nicht, dass im Wein die Wahrheit liege?
„Ich entschuldige mich“ klingt nicht besonders ehrenhaft
Wenn man genau hinhört, steckt in der Formulierung „Ich entschuldige mich“ zudem eine gewisse Eitelkeit und Eigenermächtigung. Egal, ob mir die Anderen verzeihen oder vergeben, ich spreche mich erst mal selbst frei von jeglicher Schuld. Das mag semantisch korrekt sein, besonders ehrenhaft und aufrichtig klingt es nicht. Vor allem nicht in einer Gegenwart, in der jede Zapfsäule, jeder Geldautomat „Entschuldigung“ posaunt, wenn sie gerade mal nicht so funktionieren wie gewohnt.Weltmeister der Entschuldigung: Natürlich die Deutsche Bahn. Der ÖPNV ist aber auch nicht schlecht dabei.
© Michael Gstettenbauer
Weltmeister im Entschuldigen ist, neben Mark Zuckerberg, natürlich die Deutsche Bahn. Mal ist der Zug schuld, mal die Schiene, mal ein „kurzfristiger Mangel an Personal“. Das Unternehmen hat daraus in den vergangenen Jahren einen Sport entwickelt, möglichst frühzeitig bei den Betroffenen zu Kreuze zu kriechen. Kurze Mail an die DB-Pressestelle: „Warum ist eine Entschuldigung so wichtig in der Kommunikation mit den genervten Kunden?“ Auf eine Antwort warten wir leider noch. Vielleicht haben sich die verantwortlichen Mitarbeiter bereits ins Wochenende entschuldigt?
Was, wenn wir gar kein Verständnis haben?
Die Bahn ist zudem ein großer Freund der fiesen Formulierung „Wir bitten um Ihr Verständnis“. Sozusagen der „Schwarze Peter“ der neuen Entschuldigungskultur. Wer dann denkt: Ich habe aber null Verständnis! Ich will mich lieber richtig aufregen über so viel Unfähigkeit! Der gilt automatisch als schlechter, impulsgesteuerter Charakter, der seine Gefühle nicht im Griff hat, dito sein Leben. Das kannst du doch besser, rufen ihm dann die Mediatoren zu. Harmonie ist keine Haarkur.
Wir möchten uns an dieser Stelle ebenfalls aufrichtig entschuldigen. Wir dachten damals wirklich, diese Tagebücher wären authentisch. Und falls Sie Inhalte oder Formulierungen dieses kurzen Textes verletzt haben sollten: Asche aufs Haupt. War nicht beabsichtigt. Wir werden uns bessern. Sorry sein war selten so mühelos, pardon: easy.