Ein Mordanschlag ist ein Albtraum für jeden Menschen. Für Donald Trump, den Medien-Meister, ist das Attentat, so zynisch das klingt, aber auch ein traumhaftes politisches Geschenk. Die Bilder seiner entschlossenen Reaktion zeigen, was für ein Meister der Inszenierung er ist – selbst im Angesicht des Todes.
Ist es ungehörig, über den Attentatsversuch auf einen Menschen, auf einen amerikanischen Ex-Präsidenten, im Stile einer TV-Kritik zu schreiben? Ja, das ist es vermutlich. Im Zeitalter des Donald J. Trump ist es allerdings die einzige Möglichkeit. Dieser Politiker wäre ohne Fernsehbilder nie möglich geworden, und er denkt rund um die Uhr in Fernsehbildern. „Live“ ist für Trump die höchste Form der Realität, vermutlich die einzige.
Um es gleich klarzustellen: Auch ich bin froh, dass der Attentäter den Ex-Präsidenten verfehlt hat, ein Mordanschlag ist ein Albtraum für jeden Menschen. Trump und sein Team haben allerdings umgehend begriffen, dass ihm nicht nur das Leben geschenkt wurde – sondern TV-Bilder, die selbst Trump sich in seinen kühnsten Träumen so nicht hätte ausmalen können.
Trumps Reaktion – wie aus einem Hollywood-Film
Ein Ex-Präsident (und Präsidentschaftskandidat), der angeschossen und blutverschmiert seinen Sicherheitsleuten „Wait, Wait“ zuruft, um die Faust hochzurecken in den Himmel, zu seinen Anhängern, die in „USA, USA“-Rufe ausbrechen – so etwas gibt es sonst nur in Hollywood-Filmen über heroische Präsidenten. Es ist davon auszugehen, dass Trump jeden davon gesehen hat.
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Trumps Anhänger, selbst seine Familie, hielten sich denn auch nicht lange mit Entsetzen oder Schock auf. Sie konzentrierten sich darauf, wie sehr diese Bilder ihm helfen können. Er werde niemals aufhören zu kämpfen, um Amerika zu retten, schrieb Donald Trump Jr. zu einem Bild seines blutverschmierten Vaters. Andre posteten die Bilder gleich ohne jeden Kommentar. Die Republikaner werden bald TV-Spots daraus schneiden, sie werden den anstehenden Parteitag um die Trump-Faust inszenieren. Vermutlich werden auch wir beim stern sie auf den nächsten Titel heben.
Amerika ist die älteste Demokratie der Welt. Es ist die älteste Mediendemokratie der Welt. Und nun ist es eine Social Media-Demokratie. Mit einem Menschen im Weißen Haus, der sein Leben lang damit verbracht hat, auf jedes Detail seiner medialen Inszenierung zu achten.
Doch selbst die „New York Times“ musste anerkennen, dass Trump keine Zeit hatte, sich auf diesen Auftritt vorzubereiten: „Das war Instinkt.” Vermutlich half, dass das Attentat Trump in die Rolle seines politischen Lebens drängte: dem als Opfer oder Märtyrer. Als jemand, der sich mutig in die Gefahr stürze, um jene zu verteidigen, die eigentlich von den „Eliten“ attackiert würden: die einfachen Leute.
Amerikanische Präsidenten, die Attentatsversuche überlebten, wurden danach sofort populärer. Ronald Reagan etwa, wenige Monate erst im Amt, prägte 1983 sein Bild vom heiteren Staatsmann, als er vor der Operation nach dem Attentat mit den Ärzten im Krankenhaus scherzte: „Ich hoffe, Sie sind alle Republikaner.“
Wahlkämpfe werden über Bilder entschieden
Es gibt keine Erfahrungswerte, wie dies bei einem Ex-Präsidenten aussieht, der zurück ins Weiße Haus will, noch dazu bei so einem kontroversen wie Trump. Erfahrungswert ist aber, dass US-Wahlkämpfe nicht über Politikdetails oder Wahlprogramme entschieden werden. Sie werden über die Images der Kandidaten entschieden, über Bilder.
Das Image von Joe Biden ist das eines alten Mannes, der Mühe hat, bei einer Debatte wach zu bleiben. Das Image von Donald Trump wird ab sofort, trotz aller unfassbaren Schwächen. die hochgereckte Faust sein, das blutverschmierte Gesicht, der entschlossene Blick. US-Wahlkampfexperten wissen: „Strong and wrong“ ist immer wirkungsvoller als „weak and right.“ Lieber entschlossen daneben liegen, als Recht zu haben, doch dabei schwächlich zu wirken.
Es ist hart, das zu schreiben, aber Joe Biden hat keine Chance mehr.