Spaniens junge Zauberfußballer sind am Ziel. Die Furia Roja gewinnt verdient das große EM-Finale gegen England. Für die Three Lions geht das jahrzehntelange Warten weiter. Sorgen macht der Kapitän.
Kapitän Álvaro Morata stemmte im Konfettiregen den silbernen EM-Pokal in den von einem Feuerwerk erleuchteten Berliner Nachthimmel und läutete eine lange spanische Partynacht ein. Mit dem hart erarbeiteten 2:1 (0:0)im großen EM-Finale krönte sich die Furia Roja angeführt von ihren jungen Zauberfüßen zum Rekord-Europameister und verlängerte die englischen Fußballqualen um weitere Jahre. Den bitter enttäuschten Three Lions um den konsternierten Harry Kane blieb bei der Übergabe der Henri-Delaunay-Trophäe um 23.16 Uhr wie schon vor drei Jahren nur die Zuschauerrolle.
Während bei den englischen Spielern und Fans Tränen flossen, feierte Spanien den vierten Titel. Auf dem Weg dahin hatte die Auswahl von Luis de la Fuente den dreimaligen Europameister Deutschland im Viertelfinale aus dem Turnier geworfen. Das Finale entschieden der 22-jährige Nico Williams (47. Minute) nach Vorarbeit des 17 Jahre alten Lamine Yamal sowie der eingewechselte Mikel Oyarzabal (86.). Cole Palmer (73.) hatte England zwischenzeitlichen wieder hoffen lassen.
„Wir sind jetzt Europameister. Das macht uns sehr froh. Wir haben sehr viel gelitten, es war ein hartes Spiel. Es war eine gute Mannschaft, die gegen uns gespielt hat. Wir mussten 100 Prozent geben, letztendlich haben wir es geschafft“, sagte Torschütze Williams.
Unter den 71.000 Zuschauerinnen und Zuschauer im Berliner Olympiastadion waren deutlich mehr englische Fans, nur Teile der Ostkurve waren klar im spanischen Gelb-Rot. Doch die Unterstützung half nichts. Die Auswahl von Gareth Southgate um den erneut wirkungslosen Bayern-Star Kane verlor verdient. Der Kapitän wurde bereits nach gut einer Stunde gegen Ollie Watkins ausgewechselt.
„Das ist schwer, in Worte zu fassen. Wir haben versucht, zurück ins Spiel zu kommen. Das ist sehr schmerzhaft. Wir hatten das Momentum, aber wir konnten es nicht behalten. So ist das Finale. Es ist nicht leicht, in diese Endspiele zu kommen. Du musst es dir nehmen, wenn es so kommt, und wir haben es wieder nicht gemacht. Das wird eine ganze Zeit lang wehtun“, haderte Kane.
Lahm „sehr zufrieden“
Mit dem großen Finale endeten die vier EM-Wochen, auf die Fans und Organisatoren in Deutschland jahrelang hingefiebert hatten. „Insgesamt sehr zufrieden“, lautete das Fazit von Turnierdirektor Philipp Lahm in der ARD. „Man hat die Bilder ja gesehen, wie die Menschen hier zusammengekommen sind, wirklich Spaß hatten.“ Zu ernsthaften Sicherheitspannen war es nicht gekommen.
Die englischen und spanischen Fans hatten ihre Abschiedsfeier in Berlin schon lange vor dem Spiel begonnen. Zu Tausenden waren die Anhänger der Furia Roja und der Three Lions zum Olympiastadion gezogen. Auf der Ehrentribüne fieberten neben dem englischen Thronfolger Prinz William und der spanische König Felipe VI. mit ihren Kindern mit, auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ließen sich das Endspiel nicht entgehen.
Während der gut zehnminütigen Abschlusszeremonie vor dem Anpfiff wurde gesungen und Pyrotechnik gezündet. Dazu brachte Giorgio Chiellini, der Kapitän der italienischen Sieger-Auswahl des vergangenen Turniers 2021, den EM-Pokal ins Stadion. Dann rollte endlich der Ball. Die Spanier übernahmen mit ihrem gepflegten Passspiel die Spielkontrolle, England setzte auf blitzartige Konter. Große Torraumszenen lieferte das Aufeinandertreffen zunächst aber kaum. Der Respekt war groß auf beiden Seiten, fast schon zu groß.
Wieder Pfiffe für Cucurella
Spaniens Außenverteidiger Marc Cucurella musste dabei wieder bei jeder Ballberührung mit Pfiffen leben. Die deutschen Fans hatten ihm das Handspiel aus dem Viertelfinale immer noch nicht verziehen. Von den spanischen Anhängern wurde Cucurella dagegen mit Sprechchören gefeiert.
Auf dem Rasen passierte ansonsten kaum Aufregendes, mal abgesehen von den frühen Gelben Karten für die Bundesliga-Stars Kane und Dani Olmo. Zunächst kaum auffällig war Jungstar Yamal, der einen Tag nach seinem 17. Geburtstag zum jüngsten Spieler avancierte, der in einem EM-Finale auf dem Platz stand. Er löste damit Portugals Renato Sanches (18 Jahre, 328 Tage) ab. Am ehesten liefen die spanischen Angriffe aber über die linke Seite durch Williams.
Aber Torchancen? Darauf warteten die spanischen Anhänger in den ersten 45 Minuten vergebens. Auf der Gegenseite dauerte es bis kurz vor der Pause, als Phil Foden den spanischen Keeper Unai Somon erstmals prüfte (45.+1). Zuvor hatte Rodri einen Schuss von Kane gerade noch rechtzeitig abgeblockt. Ansonsten trat der Bayern-Torjäger kaum in Erscheinung.
Rodri raus, aber Spanien trifft
Zur zweiten Halbzeit mussten die Spanier den angeschlagenen Rodri, ihren vielleicht besten Spieler des Turniers, ersetzen. Geschockt waren sie aber keineswegs – im Gegenteil. Nur 69 Sekunden nach Wiederanpfiff legte der immer besser ins Spiel kommende Yamal für Williams auf, der aus halblinker Position traf. Schon gegen Deutschland hatten die Spanier kurz nach der Pause zugeschlagen.
Kane, der immer noch einem Titel hinterherrennt, munterte seine Kollegen sogleich auf. Doch Olmo hatte schon die nächste Chance (49.), kurz darauf folgten gute Gelegenheiten durch Alvaro Morata (55.) und Williams (56.). Endlich nahm das Finale an Fahrt auf.
England war in Not. Southgate musste handeln – und nahm überraschend Kane vom Feld. Für ein erstes Lebenszeichen sorgte Bellingham (64.), bevor Jordan Pickford seine Engländer mit einer Parade gegen Yamal (66.) im Spiel hielt. Southgate wechselte auch Palmer ein und hatte wieder ein glückliches Händchen. Nur drei Minuten nach seiner Einwechslung traf der Mann vom FC Chelsea aus der Distanz.
Alles wieder auf Null – jetzt war es ein packendes EM-Finale. Yamal hatte die große Chance zum Siegtreffer auf dem Fuß, doch wieder war Pickford zur Stelle (82.). Spanien wollte aber in der regulären Spielzeit alles klarmachen – und wurde belohnt. Nach Flanke von Cucurella spitzelte Oyarzabal den Ball ins Tor. England warf nochmal alles nach vorne, Olmo rettete auf der Linie aber den Sieg.