Alexander Schweitzer wird Nachfolger der scheidenden Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Der 2,06-Meter-Hüne gilt als „Nah-bei-de-Leut“-Typ. Seine Karriere dürfte kaum in Rheinland-Pfalz enden.
„Wie nennt man Sie denn jetzt“, möchte die Dame am Rednerpult wissen, „Minister oder Ministerpräsident?“ Die Antwort kommt prompt: „Schweitzer!“
Die Szene ist typisch für ihn. Höflich, fast ein wenig verlegen steht der 2,06-Meter-Hüne an diesem Julinachmittag im Mainzer Landesmuseum und verleiht Urkunden an neue Nachhaltigkeitsbotschafter. Dabei ist dieser Alexander Schweitzer seit Jahren eine feste Größe in der hiesigen SPD – er war Juso-Chef, Generalsekretär, Fraktionschef, Minister. Und an diesem Mittwoch soll der 50-jährige Jurist nun den nächsten Karriereschritt machen: Der Landtag möge ihn zum Nachfolger für die gesundheitsbedingt scheidende Malu Dreyer wählen, als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz.
Dieser Nachmittag im Museum ist einer der letzten Termine die Schweitzer als Minister für Arbeit, Soziales und Digitales absolviert. Zu seinem Superministerium gehört auch das Thema Weiterbildung. In gewisser Hinsicht, erklärt er dann, sei diese „kürzer gewordene Amtszeit“ auch „eine ganz persönliche Weiterbildung als Minister“ gewesen, denn „ich habe auch selbst sehr viel gelernt“. Und plötzlich spürt man sie, die oft gelobte Fähigkeit des Politikers: die Gabe, den Menschen das Gefühl zu geben, er sei jetzt gerade ganz für sie da, nur hier, bei diesem Thema.
Drei Stunden zuvor hat er seinen ersten Coup als designierter Regierungschef gelandet: die Vorstellung seiner Nachfolgerin. Dörte Schall, eine Sozialdemokratin aus Nordrhein-Westfalen, Sozialdezernentin in Mönchengladbach. Eine von auswärts, eine, die Schweitzer schon aus gemeinsamen Juso-Tagen kennt. Eine, die nur dem neuen Ministerpräsidenten verpflichtet ist.
Von der „Schweitzer Garde“ ist in Mainz die Rede
Das wäre die zweite Gabe des Alexander Schweitzer: Er gilt als hervorragender Netzwerker. Er sei, Nummer drei, zudem ein strategischer Kopf, Nummer vier, ein guter Analytiker. So beschreiben ihn Parteifreunde, von denen er nicht wenige zu haben scheint. Schweitzers jahrelange Bemühungen um die Partei zahlen sich aus, im Machtkampf um Dreyers Nachfolge waren es seine Anhänger, die ihn nun bis ins Amt tragen – von der „Schweitzer Garde“ ist im Mainzer Regierungsviertel die Rede..
Seine Machtbasis legte er einst als Generalsekretär der rheinland-pfälzischen SPD, Kurt Beck hatte ihn 2009 dazu gemacht – der langjährige Ministerpräsident gilt als Schweitzers politischer Ziehvater. Wie Beck, wuchs auch Schweitzer ganz im Süden der Pfalz auf, in Bad Bergzabern, die französische Grenze ist von hier aus nur einen Katzensprung entfernt.
„Ich hatte eine sehr ungewöhnliche Kindheit“
Die ersten sechs Jahre seines Lebens allerdings sah Schweitzer vor allem den Rhein: Sein Vater war Binnenschiffer fuhr den Fluss hinab bis nach Rotterdam und zurück, Mutter und Sohn fuhren mit. „Ich hatte eine sehr ungewöhnliche Kindheit“, sagt Schweitzer im Gespräch. „Das waren prägende Jahre.“ An Bord sei es auch mal sehr rau zugegangen, aber etwas habe er damals gelernt: „Es wurde so lange gearbeitet, bis der Job gemacht war.“
1989 trat er in die SPD ein, da war er gerade 16 Jahre alt, wurde Juso-Chef in der Südpfalz, Mitglied des Kreistages, schließlich Landtagsabgeordneter. 2006 war das, sein Mandat erbte Schweitzer von Kurt Beck. Zuhören, die Nähe zu den Menschen, die eher barocke Figur – in vielem ähneln sich die beiden. Als Schweitzer zum Termin ins Landesmuseum kommt, begrüßt er die Abteilungsleiterin seines Ministeriums mit einer herzlichen Umarmung. Mit unendlicher Geduld posiert Schweitzer dann für Fotos, lächelt in jede Kamera, schüttelt Hände, spricht ermutigende Worte. Auch das ist Politik. Und womöglich auch ein Grund dafür, warum die Ampel in Mainz so viel „harmonischer“, wie Schweitzer sagt, sei als ihr Berliner Pendent.
Was macht eigentlich Kurt Beck? 21.00
Wie einst Kurt Beck lässt sich auch Schweitzer daheim mit Geschichten aus der Praxis erden. Der Ex-Basketballer ist Vater von zwei Söhnen und einer Tochter, bis heute lebt er mit seiner Familie in Bad Bergzabern, wo seine Frau als Lehrerin arbeitet.
Beck rühmte Schweinsnasen, Schweitzer ist Veganer
Trotzdem läuft in der nächsten Polit-Generation so manches anders. Er wolle „auf Tiktok und an den Theken“ präsent sein, sagt Schweitzer, er lässt sich auch mal relaxed auf dem Boden sitzend ablichten. Und während Beck noch seine geliebten Schweinsnasen rühmte, ist Schweitzer seit acht Jahren Veganer. Das habe „angefangen aus Interesse am Thema, als persönliches Experiment – und es hat mir gut getan“, erzählt er, natürlich nicht ohne die politische Versicherung: „Ich rede niemandem in seinen Teller rein.“ Dafür schaut er gern mal über den Tellerrand, besuchte 2013 die Obama-Kampagne in den USA, posierte jüngst erneut im Trenchcoat und mit feinem Lächeln vor dem Weißen Haus in Washington.
Im Landesmuseum spricht Schweitzer inzwischen von persönlicher Weiterentwicklung und der Freude, neue Ziele für sich zu entdecken. Von „dem breiten Blick, nicht dem verengten, den wir brauchen“, und davon, wie wichtig es sei, „sich zu trauen, über das hinauszuschauen, was man bis eben noch für den einzig gültigen Rahmen gehalten hat.“
Der größte Karriereschritt: Landesvater
In der Tat: Der Mann steht vor dem größten Karriereschritt seines Lebens, dem Sprung, auf den er seit Jahren hingearbeitet hat: Ministerpräsident, Landesvater. Der Weg führte über viele Stationen: Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, 2013 dann Minister für Arbeit und Soziales, nur ein Jahr später Chef der SPD-Fraktion. Sieben Jahre lang hielt Schweitzer für Malu Dreyer die Fraktion zusammen, seine bissigen Reden waren gefürchtet beim politischen Gegner, sein Standing hervorragend.
Die Fraktion wurde Schweitzers neue Machtbasis, doch um die Nachfolge Dreyers entbrannte ein erbitterter Machtkampf: 2021 wurde Schweitzer zwar Superminister, doch im Amt blieb er eher blass – während Dreyer 2022 den Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling als Innenminister holte. Doch Ebling agierte eher abgehoben, die Partei stand hinter Schweitzer – am Ende setzte sich die „Schweitzer Garde“ durch.
Nun warten auf den Neuen große Herausforderungen: Rheinland-Pfalz ist im Ländervergleich weit zurückgefallen, in keinem anderen Bundesland sank die Wirtschaftsleistung zu Jahresbeginn so stark wie dort. Und noch immer hat das Land die mit Abstand am höchsten verschuldeten Kommunen der Republik. Das wohl schlimmste aber: Die Flutkatastrophe im Ahrtal und vor allem das schlechte Management der Landesregierung in der Nacht und danach hat tiefe Vertrauensverluste in der Bevölkerung hinterlassen.
Als Nachfolger von Malu Dreyer: Ein Neuanfang auch im Ahrtal
Einer seiner ersten Termine werde ins Ahrtal führen, kündigte Schweitzer bereits an, der Wiederaufbau solle zentrales Thema werden. Die Gelder fließen noch immer zäh. Schweitzers zweite Weichenstellung noch vor Amtsantritt: Er versetzt die für den Wiederaufbau zuständige Innen-Staatssekretärin ins Gesundheitsministerium, ein neuer Koordinator soll frischen Wind bringen.
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Einen echten Neuanfang könnte Schweitzer mit dem machen, was Malu Dreyer drei Jahre lang so hartnäckig verweigerte: einer Entschuldigung fürs Ahrtal. Äußern mag er sich dazu derzeit nicht, zuzutrauen wäre es ihm. Vertrauen zurückgewinnen, das Bundesland auf neuen Kurs bringen – zwei Jahre hat Schweitzer dazu jetzt Zeit, im Frühjahr 2026 wartet die nächste Landtagswahl. Von einer eigenen Mehrheit ist die Ampel auch in Mainzer Umfragen derzeit meilenweit entfernt.