Raumfahrt: Europas Hoffnungsträger hebt ab: Ariane 6 fliegt ins All

Es geht um Europas Unabhängigkeit in der Raumfahrt. Erstmals hebt die neue Rakete Ariane 6 ins All ab. Doch noch ist der Flug nicht gelungen.

Das Warten hat ein Ende: Die neue europäische Trägerrakete Ariane 6 ist erstmals in den Weltraum abgehoben und könnte Europas Raumfahrt damit aus einer Krise mit seinen Trägerraketen holen. Die Rakete startete gegen 21.00 Uhr deutscher Zeit am europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana unter den gebannten Blicken zahlreicher Raumfahrtbegeisterter.

„Ich bin sehr angespannt, aber auch wirklich sehr zuversichtlich, dass alles gut gehen wird“, sagte der Chef der europäischen Raumfahrtbehörde Esa, Josef Aschbacher der Deutschen Presse-Agentur wenige Minuten vor dem Abflug. Seine Daumen seien gedrückt.

Der gesamte Flug der 56 Meter hohen und 540 Tonnen schweren Rakete sollte knapp drei Stunden lang dauern. Kurz nach dem Abheben, als die Ablösung der Booster verkündet wurde, brach auf den Terrassen am europäischen Weltraumbahnhof Jubel und Applaus aus. 

Mit der Ariane 6 raus aus der Krise

Schon seit Monaten hat Europas Raumfahrt auf den Jungfernflug seiner neuen Rakete hingefiebert. Denn für den Kontinent steht viel auf dem Spiel. Die Hoffnungsträgerin Ariane 6 soll wieder einen eigenen Zugang zum All herstellen und so die Unabhängigkeit sichern.

Seitdem vor ziemlich genau einem Jahr die letzte Ariane 5, die Vorgängerin der Ariane 6, in den Weltraum gestartet ist, hatte die europäische Raumfahrt keine eigenen Transporter mehr, um Satelliten in den Weltraum zu bringen. Die Esa gestand eine ernsthafte Krise des europäischen Trägerraketensektors ein, Aschbacher sprach von einem riesigen Problem.

Denn nicht nur die großen Satelliten konnte Europa nicht selber ins All befördern. Auch bei den kleineren Satelliten waren seit Monaten keine eigenen Starts möglich. Denn nach einem erfolgreichen Erststart missglückte der erste kommerzielle Flug der Vega C Ende 2022. Eine Rakete des Typs soll erst im November erstmals wieder fliegen. Teils wich die Esa für Satellitenstarts auf Falcon-9-Raketen des US-Unternehmens SpaceX von Elon Musk aus.

Gelungener Flug nur der Anfang

Wenn der Erstflug der Ariane 6 also gelingt, „dann sind wir aus der Krise raus“, meint Aschbacher. Er erklärte aber auch: „Dies ist nur der erste Schritt, wir haben noch viel Arbeit vor uns.“ Der Raumtransportdirektor der Esa Toni Tolker-Nielsen sieht in einem gelungenen Jungfernflug den Beginn eines Comebacks. Nötig sei es dann, die Produktionskapazitäten hochzufahren und zu einem stabilen Startrhythmus zu kommen. Das Auftragsbuch für die neue Rakete ist mit rund 30 Flügen jedenfalls bereits gut gefüllt.

Esa lobt Ariane 6 für ihre Flexibilität

Auf ihren Erststart musste die neue europäische Trägerrakete zehn Jahre lang warten. Die Ariane 6 ist das Nachfolgemodell der Ariane 5, die von 1996 bis Sommer 2023 im Einsatz war. Sie soll Satelliten für kommerzielle und öffentliche Auftraggeber ins All befördern und ist deutlich günstiger als ihre Vorgängerin.

Die Rakete ist flexibel und modular. Sie kann je nach Mission mit zwei oder vier Boostern ausgestattet werden und unterschiedliche Nutzlasten in einem kleineren oder längeren Oberteil unterbringen. Bis zu 11,5 Tonnen Gesamtfracht kann sie bei geostationären Satelliten transportieren und 21,6 Tonnen in niedrigeren Umlaufbahnen.

Eine der zentralsten Fortschritte dürfte aber sein, dass die Ariane 6 Satelliten in unterschiedliche Orbits ausliefern kann. Somit kann sie auch Konstellationen ins All bringen.

Möglich ist das Dank des wiederzündbaren Vinci-Triebwerks der im Bremer Werk des Raketenbauers ArianeGroup montierten Oberstufe. Laut Walther Pelzer, Generaldirektor der Deutschen Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat Deutschland damit die wichtigste Innovation verantwortet.

Experte hält Rakete nicht für besonders modern

Wie modern die Rakete ist, deren Oberstufe auf ihrer Rückkehr zur Erde in der Atmosphäre verglühen soll, um nicht als Weltraumschrott zu enden, darüber streiten sich die Geister. Esa-Chef Aschbacher ist überzeugt, dass die Rakete den aktuellen Herausforderungen entspricht. Raumfahrtexperte Martin Tajmar von der TU Dresden antwortet auf die Frage, ob die Rakete auf der Höhe der Zeit sei hingegen: „Das kann man vergessen.“

Tajmars Blick geht dabei in die USA und zu SpaceX: „2015 ist das erste Mal die Falcon-9-Rakete erfolgreich wieder gelandet und hat quasi das Zeitalter der wiederverwendbaren Raumfahrt gegründet, wo natürlich alle anderen jetzt dann komplett alt ausschauen.“

Immerhin: Tolker-Nielsen zufolge soll die Rakete, die die Ariane 6 ablöst, auch wiederverwendbar sein. Derzeit plant die Esa, die Ariane 6 bis mindestens Mitte der 2030er Jahre zu nutzen. Tajmar meint: „Ja, die wollen 2035 vielleicht so weit sein wie die Falcon 9.“ Dann sei man wieder 20 Jahre hinterher. Aber: die durchaus langwierigen Entscheidungsprozesse bei der Esa könne man auch nicht mit der Arbeitsweise von SpaceX vergleichen.

Neue Erkenntnisse durch Erstflug erhofft

Der erste Flug ist für die Esa nun noch immer Teil der Qualifikation. Der erste kommerzielle Flug soll vor Ende des Jahres abheben. Die erste größere Esa-Mission an Bord einer Ariane 6 soll Mitte des kommenden Jahres starten.

Für ArianeGroup birgt der Start daher, die Chance, mehr zu lernen. Franck Huiban, Leiter der zivilen Programme bei ArianeGroup, meint: „Der Erstflug ist eine einzigartige Möglichkeit zu schauen, was wir mit dieser Rakete machen können.“

An Bord der ersten Rakete sind auch deutsche technische Passagiere: Die Ariane nimmt unter anderem die Raumkapsel Nyx Bikini von The Exploration Company sowie die Satelliten OOV-Cube von RapidCubes und Curium One von Planetary Transportation Systems mit ins All. 

Deutschland wichtig für Entwicklung der Rakete

Gut ein Dutzend Länder waren am Bau der Ariane 6 beteiligt. Die Oberstufe wurde in Bremen montiert, die Tanks der Oberstufe und Teile des Triebwerks kommen aus Augsburg beziehungsweise Ottobrunn. Im baden-württembergischen Lampoldshausen wurde das Vinci-Treibwerk getestet. Nach Frankreich ist Deutschland unter den Esa-Ländern der wichtigste Geldgeber und hat etwa 20 Prozent der rund vier Milliarden Euro hohen Kosten der Rakete geschultert.