Eine spermidinreiche Ernährung soll länger jung halten. Aber stimmt das wirklich? Und wie funktioniert das? Experten und Studien klären über die Wirkung von Spermidin auf.
Eine ausgewogene Ernährung und ein aktiver Lebensstil können dazu führen, dass wir länger gesund bleiben und bestenfalls länger leben können. Konkret sind das unter anderem: der weitestgehende Verzicht auf Nikotin, Alkohol und Industriezucker und eine vitamin- und ballaststoffreiche Ernährung, viel Bewegung, viel Wasser trinken − um es in aller Kürze und Unvollständigkeit anzuschneiden. Das Thema Longevity, also Langlebigkeit, ist seit einiger Zeit bei vielen noch stärker im Fokus und es gibt einige Tipps, die dabei helfen sollen, das Leben möglicherweise zu verlängern und dafür zu sorgen, dass wir darüber hinaus auch länger gesund bleiben. Auch Spermidin soll dabei helfen können, das Leben zu verlängern und vor Krankheiten weitestgehend zu schützen. Aber was genau ist Spermidin, welche Wirkung soll es haben und wie sicher sind die Ergebnisse der Studien, die eine positive Spermidin-Wirkung belegen?
Was ist Spermidin?
Spermidin ist ein sogenanntes biogenes Polyamin. Wen der Name an etwas erinnert, hat recht: Sowohl dieser Begriff als auch der Name Spermin (ein Spaltungsprodukt des Zellkerns) ist von der männlichen Samenflüssigkeit abgeleitet, da es dort zuerst entdeckt wurde. Spermidin kommt aber nicht nur im Sperma vor, sondern in allen lebenden Organismen und Körperzellen. Es ist zudem eng mit dem Zellwachstum verbunden. Die ganz genaue physiologische Funktion des Spermidins in wachsenden Zellen ist allerdings noch nicht vollständig untersucht und geklärt. Klar ist aber: Bei einer Beschleunigung des Stoffwechsels erhöht sich die Menge des Spermidins im Organismus, bei einer Verlangsamung des Stoffwechsels nimmt sie ab. Auch im Alter nimmt die Konzentration ab: etwa ab 35 Jahren. Gemessen wird sie üblicherweise in µmol, also ein Millionstel Mol, eineEinheit, in der die Konzentration des PHE-Wertes im Blut wiedergegeben wird.
Welche Wirkung hat Spermidin auf den Körper?
Spermidin regt die Autophagie an, vereinfacht gesagt die Selbstreinigung und Verjüngung der Zellen. Diese Wirkung ist wissenschaftlich weitestgehend bestätigt. Sie findet auch beim Fasten statt. Bei der Autophagie werden beschädigte Zellen von einer Membran überzogen. Dann werden sie verdaut. Alte Zellen werden durch diesen Vorgang wieder funktionsfähig und leben länger. Gesunde Zellen schützen besser vor Krankheiten und je mehr Spermidin vorhanden ist, desto besser kann die Autophagie vonstatten gehen, so die Annahme.
Da die Autophagie im Alter ins Stocken gerät und auch die Spermidinkonzentration mit zunehmendem Alter abnimmt, soll eine verstärkte Zufuhr im Alter hilfreich sein können, um die Autophagie am Laufen zu halten. Ob das Ganze aber so funktionieren kann, können nur wissenschaftliche Studien klären. Davon gibt es mittlerweile einige − die allerdings nicht alle zum gleichen Ergebnis führen oder komplett valide oder repräsentativ sind.
Studien zur Spermidin-Wirkung
Schon vor einigen Jahren gab es Tierstudien, die anhand von Tests bei gealterten Mäusen gezeigt hatten, dass eine spermidinreiche Ernährung bei Tieren mit einer höheren Lebenserwartung und erhöhter Gesundheit einhergeht. Forscher der Universität Innsbruck veröffentlichten in Zusammenarbeit mit der Uni Graz 2018 zudem eine Studie zu Spermidin, die anhand von 829 menschlichen Teilnehmer:innen zwischen 45 und 84 Jahren aufzeigt, dass eine spermidinreiche Ernährung offenbar auch beim Menschen positive Effekte auf Lebenserwartung und Gesundheit der Zellen hat.
Teilnehmer:innen, bei denen durch ihre spermidinreiche Ernährung mehr als 80 µmol Spermidin im Blut nachgewiesen wurde, hatten ein geringeres Risiko, im 20-jährigen Beobachtungszeitraum der Studie zu versterben als diejenigen, die weniger als 60 µmol vorweisen konnten. Es ergäbe sich eine erhöhte Lebenserwartung von fünf Jahren, so eines der Ergebnisse der Studie, die im „American Journal of Clinical Nutrition“ veröffentlich worden ist. Um den untersuchten Wert zu erreichen, müsse man mehrere Milligramm Spermidin täglich zu sich nehmen. Wie viel genau, ist nicht deutlich herauszulesen.Apothekerin Nahrungsergänzung 10.16
Im Gespräch mit „Geo“ erklärt Neurologe Stefan Kiechl, der sowohl die Studie verantwortete als auch an der Medizin Universität Innsbruck VASCage leitet, dass die Aussage, durch eine spermidinreiche Ernährung fünf Jahre länger leben zu können, plakativ sei. Die Studienergebnisse seien aber repräsentativ. „Man kann durchaus sagen, dass Menschen, die viel Spermidin zu sich nehmen, länger leben.“
Störfaktoren werden bei solchen Observationsstudien zudem ausgeklammert, etwa, ob sich Teilnehmer:innen generell gesünder ernährt oder mehr bewegt hätten. „Dennoch gab es bei Spermidin einen signifikanten Effekt.“ Spermidin verjünge nicht nur die Zellen, sondern könne auch Entzündungen dämpfen, Cholesterin und Blutdruck senken oder gar Demenz vorbeugen. Kiechl sagt aber auch: Einen endgültigen Beweis für eine so positive Spermidin-Wirkung könne nur eine Interventionsstudie liefern, die bei VASCage bereits geplant sei. Auf die validen Ergebnisse müsse man aber noch einige Jahre warten. Auch die Website „Medizin Transparent“, die die Datenbanken nach Studien durchsucht hat, kommt zu dem Ergebnis, dass repräsentative Idealstudien zum Thema Spermidin noch nicht vorhanden seien und valide Aussagen (noch) nicht zu tätigen sind − vielmehr Vermutungen, die durch einzelne Studien unterstützt werden.
In welchen Nahrungsmitteln ist es enthalten?
Dass es aber keineswegs schädlich ist, auf eine erhöhte Spermidinzufuhr durch die Ernährung zu achten, ist gewiss. Das Polyamid findet sich in vielen gesunden Nahrungsmitteln, die Sie bedenkenlos in hoher Menge in den Speiseplan integrieren können. Das sind beispielsweise:
Weizenkeime: 254 mg/kgKürbiskerne: 104 mg/ kgPilze: 88,6 mg/kgErbsen: 46 mg/kgHaselnüsse: 21 mg/kg
Wer Anregungen braucht, um spermidinreich und gesund zu kochen, kann auch einige Bücher als Hilfe zurate ziehen: Sowohl das Buch „Das Spermidin-Kochbuch“ als auch „Spermidin – stark gegen Demenz: Das Anti-Aging-Wunder aus der Natur“ haben bei Kund:innen sehr gute Bewertungen erhalten. Und so oder so wirkt es sich positiv auf die Gesundheit aus, wenn Sie frisch kochen und auf die verwendeten Lebensmittel achten.
Wie wirkungsvoll sind Nahrungsergänzungsmittel mit Spermidin?
Da wir Spermidin auch über die Nahrung aufnehmen können, ist es nicht notwendig, es über Nahrungsergänzungsmittel zu uns zu nehmen. Eine ausgewogene Ernährung reicht in der Regel völlig aus. Dennoch verhält es sich wie bei anderen Nahrungsergänzungsmitteln auch: Wer es − aus welchen Gründen auch immer − nicht schafft oder nicht daran glaubt, Spermidin über die Ernährung in der gewünschten Menge zu sich zu nehmen, kann auf Nahrungsergänzungsmittel zurückgreifen.
Eine Firma, die sich auf Spermidin spezialisiert hat, ist unter anderem „Spermidine Life“. Mitbegründer Herbert Pock hat dem stern erklärt, warum es unbedingt Spermidin sein sollte. „Für uns bei ‚The Longevity Labs+‘ steht die Zelle als Basis für ein gesundes Leben im Zentrum unseres Tuns. Daher werfen wir in unserer Arbeit einen ganzheitlichen Blick auf die Zelle mit all ihren zellulären Prozessen.“ Ein wesentlicher Prozess davon sei die oben erwähnte Autophagie. „Dieser Prozess beeinflusst alle Zellen, von den Hautzellen über die Herzzellen bis zu den Gehirnzellen. Mit dem Alter lässt dieser Prozess, genauso wie die körpereigene Spermidinproduktion deutlich nach und kann dadurch der Ausgangspunkt für altersassoziierte Erkrankungen sein“, sagt er.
Seine Firma sei die erste gewesen, die Spermidin als Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt gebracht hat, und bietet immer noch das weltweit einzige Spermidin mit europäischer Novel-Food-Zulassung an. Mithilfe der Produkte könne man die gewünschte Spermidinmenge unkompliziert zu sich nehmen. „In den Humanstudien, in denen Spermidin untersucht wird, findet man Dosierungen von einem bis sechs Milligramm Spermidin pro Tagesdosis. Die Effekte kann man also direkt an den Studien ablesen“, so Pock. Neurologe Stefan Kiechl empfiehlt im Gespräch mit „Geo“ mindestens fünf Milligramm pro Tag. Mehr als sechs Milligramm Spermidin solle man über Nahrungsergänzungsmittel aber nicht zu sich nehmen.
Warum eine zusätzliche Spermidinzufuhr im Alter allein durch die Ernährung nicht immer ausreichen würde, erklärt Pock aus seiner Sicht: „Spermidin findet sich in den meisten Zellen von Pflanzen, Tiere und Menschen. Daher kann man es teilweise über die Nahrungsmittel zu sich nehmen. Ein Problem ist jedoch die unterschiedliche Dosierung in den verschiedenen Nahrungsmitteln. Durch schnell wachsende Sorten, unterschiedliche Anbaubedingungen und die Bodenbeschaffenheit variiert der Spermidingehalt in Lebensmitteln stark.“ Des Weiteren sei Spermidin ein wasserlösliches Polyamin und bei höheren Temperaturen nicht hitzestabil. „All diese Unwägbarkeiten kann man mit geprüften Nahrungsergänzungsmitteln umgehen. So können Sie bei uns sicher sein, dass Sie Ihre zwei bis sechs Milligramm Spermidin pro Tagesdosis zu sich nehmen“, ist sich der Mitbegründer sicher.
Gibt es Nebenwirkungen bei der Einnahme solcher Nahrungsergänzungsmittel?
Oftmals klingt die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln praktisch und unkompliziert − aber wie sieht es mit einer Überdosierung oder Nebeneffekten aus? „Da Spermidin von der Geburt an in unserem Körper und in unseren Zellen vorkommt, kennt unser Körper natürliches Spermidin sehr gut. Nebeneffekte, Überdosierungen oder Wechselwirkungen sind aus den bisherigen Studien meines Wissens nicht hervorgegangen.“ Auch negative Wechselwirkungen mit anderen Nahrungsergänzungsmitteln gebe es nicht. „Klartext Nahrungsergänzung“, ein Angebot der Verbraucherzentrale, empfiehlt, angegebene Höchstmengen in Nahrungsergänzungsmitteln nicht zu überschreiten und bei noch unerforschten Mitteln vorsichtig zu sein. Mehr als sechs Milligramm täglich dürfen es nicht sein, auch die langfristige Einnahme solcher Mittel sei nicht zu empfehlen, da das Gebiet noch unerforscht und die Wirkung nicht gesichert sei.
Zweifel an der positiven Spermidin-Wirkung
Sowohl Studien als auch die Ausführungen von Experten klingen zwar durchweg positiv. Dennoch zeigen weitere Untersuchungen, dass Spermidin kein Wundermittel ist, wenn auch hilfreich im Alter sein kann. Zudem ist auch eine Aufnahme durch Nahrungsergänzungsmittel nicht immer ein sicherer Weg, um das Polyamid in gewünschter Menge dahin zu bringen, wo es hin soll. Das hat Professor Dr. Martin Smollich, Spezialist für Ernährungsmedizin und Leiter an der Uniklinik in Lübeck für die AG Pharmakonutrition, gegenüber „MDR Wissen“ erklärt. Eine Studienarbeit würde Zweifel an der gesicherten Spermidin-Aufnahme durch Nahrungsergänzungsmittel im Körper hegen. Er sagt: „Man kann zwar Spermidin einnehmen, aber es kommt gar nicht im Körper an.“
In seiner pharmakokinetischen Studie habe man Teilnehmer:innen fünf Tage nacheinander 15 Milligramm Spermidin verabreicht, in der anderen Phase ein Placebo. Die Untersuchung wurde in zwei Intervallen von jeweils fünf Tagen und einer neuntägigen Pause durchgeführt. Die Blut- und Speichelauswertung der Studie hätten gezeigt, dass sich zwar die Sperminkonzentration im Plasma während der Tage, an denen 15 Milligramm Spermidin eingenommen wurden, erhöhte. Die Spermidinkonzentration dagegen nicht. Ob die Studie zu kurzweilig war oder repräsentativ ist, mag anzuzweifeln sein. Andere Studien oder Untersuchungen zu Nahrungsergänzungsmitteln mit Spermidin gibt es allerdings noch nicht.
Am Ende bleibt festzuhalten: Wenn die körpereigene Spermidinkonzentration im Alter abnimmt, kann es hilfreich sein, das Polyamid bewusst in höheren Mengen über die Nahrung zuzuführen. Ob das Spermidin in Nahrungsergänzungsmitteln dagegen auch in gewünschter Menge oder überhaupt im Körper ankommt, ist nicht gesichert. Und ob zusätzliches Spermidin wirklich die Autophagie weiter anregt und einen lebensverlängernden Effekt hat, ebenso wenig − aber vieles deutet darauf hin, wie etwa die aktuellste Studie aufzeigt. Es ist auf jeden Fall der Gesundheit dienlich, sich ausgewogen und ganz bewusst gesund zu ernähren, viel zu bewegen und die empfohlene Flüssigkeitszufuhr einzuhalten. Ein Speiseplan voller Pilze und anderer spermidinreicher Nahrungsmittel ist dabei sicherlich dienlich. Wer dagegen darauf hofft, dass lediglich das Einnehmen von zwei Kapseln eines Nahrungsergänzungsmittels das Leben verlängert, während man ansonsten wenig dafür tut, liegt höchstwahrscheinlich falsch.
Wichtig: Dieser Artikel nimmt auf Studien Bezug, die zur Zeit der Veröffentlichung (Januar 2024) verfügbar waren. Er sollte nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung genutzt werden. Bei körperlichen Beschwerden oder dem Verdacht auf eine Krankheit sollten Sie immer zuerst eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen. Maßnahmen wie die Einnahme von zusätzlichem Spermidin durch Nahrungsergänzungsmittel sollten ebenfalls am besten ärztlich abgesprochen werden.
Verwendete Quellen: Wikipedia / „Science“ / „Science Direct“ / „Medizin Transparent“ / „Spermidin Health“ / MDR / „Geo“ / Medizinische Universität Innsbruck / „Klartext Nahrungsergänzung„
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