Die Sarco-Kapsel soll einen selbstbestimmten und schmerzfreien Tod ermöglichen. Nicht einmal die Hilfe eines Arztes soll notwendig sein. Nun soll das umstrittene Gerät erstmals zum Einsatz kommen.
Die Schweiz gehört zu den Ländern, die den Wunsch, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen, als bürgerliches Freiheitsrecht, als Moment der Selbstbestimmung verstehen. Viele Staaten sehen das sehr viel restriktiver, mit der Folge, dass sich eine Art von Suizid-Tourismus unter dem Stichwort „Last trip to Switzerland“ entwickelt hat.
In diesem Umfeld hat der Australier Philip Nitschke 2019 das Projekt einer Todeskapsel vorgestellt. „Sarco“ – eine Anspielung auf Sarkophag – ist eine futuristisch aussehende längliche Kapsel, die einen schmerzfreien Tod ohne die Hilfe weiterer Personen ermöglichen soll. Optisch erinnert die Kapsel an die Tiefschlafkapseln aus Science-Fiction-Filmen. Im Juli soll der erste Einsatz erfolgen. Die erste Person soll bereits in die Schweiz eingereist sein.
In der Schweiz kann man – auch als Nichtschweizer – die Hilfe von speziellen Organisationen in Anspruch nehmen, die passive Sterbehilfe gewähren. Meist wird das Gift Pentobarbital verabreicht, um einen möglichst schmerzfreien Tod zu gewährleisten. Die Organisation ist notwendig, da in der Schweiz der Suizid erlaubt ist, das bedeutet aber nicht, dass tödliche Gifte frei verfügbar wären. Nur ein Arzt kann das verschreibungspflichtige Pentobarbital besorgen. Er kann das Gift dann aber im Rahmen der passiven Sterbehilfe weitergeben.Sarco, 20.30
Sarco-Kapsel tötet durch Stickstoff
Sarco vereinfacht das Verfahren, weil kein Gift oder Medikament verwendet wird. Genau genommen ist die Kapsel eine Gaskammer. Nur führt hier nicht Blausäure – wie früher in den USA – zum Tode, sondern Stickstoff. Stickstoff ist ein natürlich vorkommendes Gas, kann normal erworben werden und ist im eigentlichen Sinn nicht giftig oder tödlich. Der Tod tritt durch Sauerstoffmangel ein. Diese Art des Sterbens gilt als schmerzlos. Tod durch Stickstoff kommt normalerweise nicht vor. Es gibt aber immer wieder Fälle von Kohlenmonoxid-Vergiftung. Kohlenmonoxid blockiert die roten Blutkörperchen, es kommt ebenfalls zum Tod durch Sauerstoffmangel, meist hervorgerufen durch falsch eingestellte Gasöfen. Das Tückische dabei: Die Opfer bemerken den Mangel nicht, sie schlafen ein beziehungsweise wachen nicht auf – ein deutliches Zeichen, dass sie keine Qualen erleiden. Wichtig ist, dass der Atemprozess ungehindert weitergeht. Wird der Atemreflex unterbunden, kämpft der Körper panisch gegen den Tod, so wie es beim Erwürgen passiert.
In den USA wurde der Tod durch Stickstoff beim Todeskandidaten Kenneth Eugene Smith ausprobiert. Hier zuckte der Sterbende allerdings minutenlang. Nitschke führt das darauf zurück, dass man keine Kammer mit dem Gas geflutet wurde, sondern man Smith eine Maske angelegt hat. Weil die nicht richtig abgeschlossen habe, habe Smith immer noch etwas Sauerstoff aus der Umgebungsluft eingeatmet.
Sarco ist eine Gaskammer in klein
Die Sarco-Kapsel selbst ist denkbar einfach. Die jeweilige Person legt sich hinein, der Glasdeckel muss luftdicht abschließen. Mit einem Hebel wird das Einströmen des Stickstoffs und das Absaugen des normalen Luftgemisches in Gang gesetzt. Wegen des geringen Rauminhalts geschieht der Austausch sehr schnell, der Tod soll in einer halben Minute eintreten. Die Kapsel selbst ist kaum größer als eine Truhe oder ein Sideboard und kann an jedem beliebigen Ort benutzt werden. Also auch in der gewohnten Umgebung wie der der eigenen Wohnung oder im Garten. Mit dem ersten Einsatz geht Nitschke ein rechtliches Risiko ein, schreibt die „NZZ“. Er hat sich zwar schon 2019 ein entsprechendes Gutachten besorgt, aber bislang sei die Maschine nicht als medizinische Produkt zertifiziert.
Nitschkes Sarco ist auf die juristische Situation in der Schweiz angepasst. Es ist damit nicht gesagt, dass diese Form der Selbsttötung in anderen Ländern legal wäre. Belgien und die Niederlande haben ebenfalls sehr liberale Regelungen, sehen aber eine ärztliche Prüfung des Todeswunsches vor. Hinzu kommt, dass die Frage der Assistenz beantwortet werden muss. Beim Zurverfügungstellen eines verschreibungspflichtigen Medikaments ist die Hilfe eines Arztes offensichtlich. Aber dazu gibt es Formen der Selbsttötung, die so einer Hilfe nicht bedürfen. Etwa bei dem Gebrauch einer Schusswaffe, in Ländern mit einer hohen Quote an Waffenbesitz ist das eine gängige Methode. Offen ist, ob mit dem Bereitstellen des Geräts juristisch bereits die passive Sterbehilfe ausgelöst wird.
Weltweit ist die Selbsttötung umstritten. Religiöse Gruppen lehnen sie grundsätzlich als Sünde ab. Andere argumentieren, dass aus dem Recht, dem Leben ein Ende zu setzen, schnell ein Druck, anderen nicht zur Last zu fallen, entstehen kann. Aus Kanada wird berichtet, dass teuren und mittellosen Patienten Beratungen zum assistierten Tod geradezu aufgedrängt werden.
Lage in Deutschland
2020 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst. Auch mit der Möglichkeit, sich das Leben zu nehmen und dabei auf die Hilfe Dritter zurückzugreifen. Damit wurde die bisherige rechtliche Regelung gekippt. Bis heute – immerhin vier Jahre später – hat das Parlament noch kein Gesetz verabschiedet, dass dieser Rechtsprechung Rechnung trägt. Es herrscht eine rechtliche Grauzone, die für die Betroffenen schwer erträglich ist, weil die Hilfe, die sich erhoffen und die ihnen das höchste Gericht zugesagt hat, de facto blockiert wird und sie nicht warten können.
Ein Gerät wie der Sarco-Pod wird auf absehbare Zeit in Deutschland dennoch nicht zugelassen werden. Der von Nitschke propagierte „barrierefreie“ Zugang auch nicht. Und auch die „letzte Reise in die Schweiz“ gestaltet sich in der Praxis komplizierter als erhofft. Das assistierte Ableben wirft Kosten auf, die Hilfsvereine nennen Summen um 10.000 Euro. Es gibt Länder, in denen Kliniken den Weg über die Schweiz unterstützen. Für Privatpersonen aus Deutschland ist eine vorausschauende Planung notwendig, ein Anruf in letzter Not würde vermutlich nicht zum Ziel führen.
Seriöse Sterbehelfer sehen keinen Nutzen
Kostenerwägungen kann man Nitschke nicht unterstellen. Doch ist der australische Arzt von seiner Mission besessen, Menschen in ihrer Not einen selbstbestimmten Tod zu ermöglichen. Er träumt davon, ein System wie Sarco so weiterzuentwickeln, dass es mit einem 3D-Drucker hergestellt werden kann. Er hatte für das gleiche Verfahren bereits einen Suizid-Beutel entwickelt. Hier wurde der Stickstoff in eine Plastiktüte eingeleitet. Von ihm stammt auch der Leitfaden „Going to Switzerland: Wie Sie Ihren endgültigen Abgang planen“.
Die Sterbehilfeorganisation Pegasus hat die Zusammenarbeit mit Nitschke beendet. Sie wirft ihm übertriebene Vermittlungsgebühren vor, auch passt das PR-Getöse nicht zum Vorgehen der Sterbehelfer. Sie wollen Menschen helfen, aber nicht die Werbetrommel für den Tod der Schweiz schlagen. Pegasos-Präsident Ruedi Habegger hält den Nutzen des Sarco für begrenzt, selbst dann, wenn das System so schmerzfrei arbeitet, wie von Nitschke versprochen. Die meisten Patienten würden lieber eine tödliche Dosis einnehmen oder injiziert bekommen, sagte er der „NZZ“, auch wenn dafür ein Arzt notwendig sei. Der Grund ist ganz einfach. Die Sterbenden werden begleitet. „Den meisten unserer Patienten ist es wichtig, dass sie beim Sterben Körperkontakt mit geliebten Personen haben können. Das ist beim Sarco nicht möglich.“
Quelle: Swissinfo, NZZ