Nach dem haushohen Sieg für seine Labour-Partei bei den Parlamentswahlen in Großbritannien hat der neue Premierminister Keir Starmer am Freitag seine Kabinettsmitglieder ernannt. „Die Arbeit der Veränderung beginnt sofort“, sagte Starmer kurz vorher in seiner ersten Rede als neuer Regierungschef vor seinem Amtssitz in der Londoner Downing Street. Die konservativen Tories erlitten nach 14 Jahren an der Regierung eine historische Niederlage.
Der neue sozialdemokratische Premier kündigte an, seine Regierung werde „Großbritannien wieder aufbauen“, indem sie „in jeder Gemeinde Wohlstand schaffen“ werde. Kurz zuvor hatte König Charles III. den 61-jährigen Starmer zum neuen Premierminister ernannt und ihn mit der Regierungsbildung beauftragt. Davor hatte Charles den Rücktritt des bisherigen Premiers Rishi Sunak entgegen genommen.
Wichtige Posten im neuen Kabinett sind mit Frauen besetzt: Angela Rayner wird Vize-Premierministerin. Untypisch für eine britische Politikkarriere entstammt die 44-Jährige einfachen Verhältnissen. Sie engagierte sich in der Gewerkschaft und ist seit 2020 stellvertretende Labour-Chefin. Rachel Reeves wird als erste Frau Finanzministerin. Sie war Ökonomin an der Bank of England und wird in Unternehmenskreisen geschätzt. Innenministerin wird Yvette Cooper, die als versierte Innenpolitikern gilt.
Neuer Außenminister wird David Lammy, dessen Vorfahren Sklaven aus dem südamerikanischen Guyana waren. Er will sich der EU wieder annähern, ansonsten sind keine großen Änderungen in der Außenpolitik unter Labour zu erwarten.
Labour gewann bei der Wahl am Donnerstag nach Auszählung fast aller Stimmen 412 von 650 Sitzen und damit deutlich mehr als die für die absolute Mehrheit im Unterhaus benötigten 326 Sitze. Damit erreichte die Partei beinahe ihr Rekordergebnis von 1997 unter Tony Blair, als sie 418 Mandate gewonnen hatte. Die regierenden Tories kamen lediglich auf 121 Sitze und erzielten damit das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Sunak kündigte seinen Rücktritt als Parteivorsitzender an.
Die oppositionellen Liberaldemokraten konnten deutlich zulegen und errangen den Teilergebnissen zufolge 71 Sitze. Es ist das beste Ergebnis in der Geschichte der Partei; sie löst damit die Schottische Nationalpartei als drittstärkste Kraft ab, die nur neun von 57 Wahlkreisen gewann.
Die einwanderungsfeindliche Partei Reform UK von Brexit-Verfechter Nigel Farage kam auf fünf Mandate. Farage gelang bei seinem achten Versuch der Einzug ins Parlament. Auch die Grünen konnten vier Sitze erringen.
In den 14 Jahren der Tory-Regierungen hatten die Britinnen und Briten insgesamt fünf konservative Premiers erlebt – 2022 waren es drei binnen vier Monaten. Liz Truss konnte sich nur 49 Tage im Amt halten – ein Negativrekord.
Vier der fünf letzten konservativen Regierungschefs unterlagen bei der Wahl am Donnerstag in ihren Wahlkreisen. Die früheren Premierminister und -ministerinnen Boris Johnson, David Cameron, Theresa May und Liz Truss verloren ihre Parlamentssitze an Oppositionskandidaten. Lediglich Sunak verteidigte sein Unterhausmandat.
Die Tories hatten vor allem einen Negativ-Wahlkampf geführt, vor Steuererhöhungen durch eine Labour-Regierung gewarnt und ein härteres Vorgehen bei den Themen Migration und Sicherheit angekündigt. Dagegen warb Labour-Chef Starmer für eine Rückkehr zur Seriosität in der britischen Politik, versprach ein langfristiges Wirtschaftswachstum und präsentierte sich vor allem als Diener des Landes.
Starmer mahnte in seiner Siegesrede am Freitagmorgen, dass die Veränderung nicht über Nacht erfolgen könne. „Es reicht nicht, einen Knopf zu drücken, um ein Land zu verändern“, betonte Starmer.
Für den 61-Jährigen, der seine politische Karriere erst vor neun Jahren startete und zuvor als Menschenrechtsanwalt und Staatsanwalt arbeitete, ist es ein bemerkenswerter Aufstieg. Sunak, der vor 20 Monaten sein Amt angetreten hatte, ist hingegen der erste amtierende britische Premier, der bei einer Parlamentswahl nicht im Amt bestätigt wurde.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich erfreut über den Wahlsieg „unserer Schwesterpartei“. Über den neuen britischen Regierungschef Starmer sagte Scholz in Berlin, dieser werde ein „sehr guter, sehr erfolgreicher Premierminister sein“.
US-Präsident Joe Biden gratulierte Starmer ebenfalls. Er freue sich auf die gemeinsame Arbeit für „Freiheit und Demokratie weltweit“, erklärte Biden im Onlinedienst X.
EU-Ratspräsident Charles Michel gratulierte Starmer zu dessen „historischem“ Sieg. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj übermittelte Starmer seine Glückwünsche und nannte Großbritannien einen „verlässlichen Verbündeten durch dick und dünn“.
Der neuen britischen Regierung stehen nicht zuletzt innenpolitisch gewaltige Aufgaben bevor. Die Bevölkerung leidet unter dem maroden öffentlichen Dienstleistungssektor, gestiegenen Preisen und ist der leeren Versprechen der Politiker überdrüssig geworden. Auch die Mängel beim staatlichen Gesundheitsdienst NHS, bei dem Patienten oft Monate auf Arzttermine oder eine Operation warten müssen, spielten im Wahlkampf eine wichtige Rolle.
Jenseits dieser zahlreichen Baustellen hat Starmer nach den skandalerfüllten Jahren der Tory-Regierungen eine Rückkehr zu politischer Integrität als Ziel ausgegeben.