Britische Parlamentswahl: Triumph für Labour: Großbritannien erlebt Regierungswechsel

Der bisherige Premierminister Rishi Sunak räumt seine Niederlage ein. Und Oppositionschef Keir Starmer feiert mit seiner Labour-Partei einen spektakulären Sieg. Doch das Bild ist vielschichtiger.

Großbritannien erlebt einen Regierungswechsel. Die Oppositionspartei Labour und ihr Parteichef Keir Starmer haben die Parlamentswahl deutlich gewonnen. Der 61-Jährige wird damit neuer Premierminister und soll heute von König Charles III. mit der Regierungsbildung beauftragt werden. Landesweit eroberten seine Sozialdemokraten zahlreiche Wahlkreise von den Konservativen des bisherigen Regierungschefs Rishi Sunak. 

Den Tories droht nun ein Richtungsstreit. Sie kommen auf ein historisch schlechtes Ergebnis. Für den 44-jährigen Sunak ist es eine schwere Niederlage. „Die Labour-Partei hat diese Parlamentswahl gewonnen, und ich habe Sir Keir Starmer angerufen, um ihm zu seinem Sieg zu gratulieren“, sagte Sunak sichtlich niedergeschlagen. Er deutete seinen Rückzug von der Parteispitze an.

Briten wählen viele Regierungsmitglieder ab

Labour kommt nach Auszählung fast aller Wahlkreise auf mindestens 410 von 650 Sitzen im Unterhaus (House of Commons). Bei der Wahl 2019 hatte die Partei bloß 202 Mandate geholt. Die Konservativen brechen nach bisherigem Stand von bisher 365 auf etwa 120 Sitze ein. Dabei wurden so viele Kabinettsmitglieder abgewählt wie nie, auch die frühere Regierungschefin Liz Truss verliert ihr Mandat.

Etliche Stimmen gehen an die rechtspopulistische Partei Reform UK. Deren Vorsitzender Nigel Farage, der einst den Brexit maßgeblich vorangetrieben hatte, schafft es im achten Anlauf erstmals ins Unterhaus. Seine Partei dürfte die Tories weiter unter Druck setzen.

Starmer verspricht Veränderungen

Starmer siegte in seinem Londoner Wahlkreis Holborn and St Pancras deutlich. Allerdings verlor er im Vergleich zu 2019 rund 17 Prozentpunkte. Das lag vor allem an der hohen Zustimmung für einen unabhängigen Kandidaten, der sich deutlich gegen das israelische Vorgehen im Gazastreifen aussprach. Labour-Spitzenpolitiker Jonathan Ashworth verlor sogar überraschend seinen Wahlkreis an einen propalästinensischen Bewerber.

Wie ein Wahlforscher den Vorsprung erklärt

Meinungsforscher sahen den deutlichen Sieg der Sozialdemokraten lange kommen. Verantwortlich für den klaren Ausgang der Wahl ist nach Ansicht des renommierten Meinungsforschers John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow nicht in erster Linie Begeisterung für Labour, sondern Verdruss über die bisherige Regierungspartei.

Sunak war bereits der dritte Regierungschef seiner Partei in der vergangenen Legislaturperiode, die von wirtschaftlicher Stagnation und stark steigenden Lebenshaltungskosten geprägt war. Übernommen hatte er im Oktober 2022 von Truss, die nach nur 49 Tagen im Amt zurückgetreten war. Im Wahlkampf kämpfte Sunaks Partei mit Pannen und einem Skandal um illegale Wetten auf den mutmaßlichen Wahltermin.

„Wir haben eine grundlegende Regel der Politik vergessen“

Für Sunaks Konservative gleicht die Wahl einem Alptraum. „Erdrutsch“ und „Massaker“ lauten einige Schlagzeilen der britischen Presse nach Bekanntwerden des Desasters. Mehrere Kabinettsmitglieder verloren ihre Sitze, darunter Verteidigungsminister Grant Shapps, Bildungsministerin Gillian Keegan sowie Penny Mordaunt – die Ministerin für Parlamentsfragen galt bisher als Favoritin auf Sunaks Nachfolge.

„Für mich ist klar, dass Labour die Wahl heute Abend nicht gewonnen hat, sondern dass die Tories sie verloren haben“, sagte Shapps am Donnerstagabend. „Wir haben eine grundlegende Regel der Politik vergessen. Die Leute wählen keine gespaltenen Parteien.“

Rechtspopulist Farage macht Kampfansage

Mandate verloren haben die Konservativen wohl nicht nur an Labour. Auch die Liberaldemokraten scheinen erhebliche Zugewinne auf Kosten der Tories verbuchen zu können. Für die schottische Unabhängigkeitspartei SNP dagegen sieht es nach einer verheerenden Niederlage aus.

Wofür steht Keir Starmer?

Starmer führte Labour wieder in die politische Mitte, nachdem die Partei unter seinem Vorgänger Jeremy Corbyn – dem nun als Unabhängigen die Wiederwahl gelang – weit nach links gerückt war. Zudem ging er entschieden gegen antisemitische Tendenzen in den eigenen Reihen vor. 

Was politische Inhalte angeht, blieb der bisherige Oppositionschef in vielen Bereichen eher vage. Manche Kommentatoren vergleichen seine behutsame Art deshalb mit dem Tragen einer Porzellanvase aus der chinesischen Ming-Dynastie.