Nur noch 2,7 Prozent bei der Europawahl – wenn das so weitergehe, führe das für die Linke in die „Katastrophe“, meint der frühere Fraktionschef Gysi. Die Parteispitze darf sich angesprochen fühlen.
Nach den verheerenden Wahlniederlagen der Linken fordern die früheren Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi und Dietmar Bartsch einen Neustart an der Spitze ihrer Partei. „Ich sage es hier ganz offen, wir brauchen eine strukturelle, politische und personelle Erneuerung“, sagte Gysi mit Blick auf den Parteitag im Oktober. Mache man nach dem Ergebnis von 2,7 Prozent bei der Europawahl so weiter, würde dies „natürlich eine Katastrophe“. Bartsch sagte: „Die entscheidende Frage ist wirklich die, dass es eine Alternative gibt.“ Die Parteispitze reagierte kühl auf den Vorstoß.
Die Linke wird seit 2022 vom Duo Janine Wissler und Martin Schirdewan geführt. Sie verbuchten seither eine Serie von Wahlschlappen. Nach dem schlechten Abschneiden bei der Europawahl hatte Schirdewan angedeutet, dass er über einen Rückzug beim Parteitag nachdenke. „Ich werde rechtzeitig darüber informieren, ob ich noch einmal antrete“, sagte er vergangene Woche dem „Tagesspiegel“. Auch Schirdewan gab an, ein „Weiter so“ könne es nicht geben. Von möglichen personellen Konsequenzen hatte er schon am Wahltag gesprochen.
„Personaldebatte kontraproduktiv“
Linken-Bundesgeschäftsführerin Katina Schubert rügte jedoch den Zeitpunkt der Äußerungen von Gysi und Bartsch vor den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September. „Eine Personaldebatte vor den Wahlen ist für die Unterstützung kontraproduktiv“, meinte Schubert. Die Parteivorsitzenden hätten bereits mit den Landeschefs einen Prozess verabredet, „um auf dem Bundesparteitag zu einer inhaltlichen, strategischen und personellen Aufstellung mit Blick auf die Bundestagswahl zu kommen“. Am Wochenende soll es ein Treffen zur Aufarbeitung der Europawahl geben.
Schubert spielte den Ball zurück an frühere Funktionsträger wie Bartsch und Gysi, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten die Linksfraktion geführt hatten. Die Probleme der Linken seien nicht neu, sagte die Geschäftsführerin. „Alle, die in den letzten Jahren Verantwortung in Partei und Bundestagsfraktion tragen oder bis vor kurzem getragen haben, sollten sich selbstkritisch hinterfragen, statt öffentlich gegen andere auszuteilen. Mehr „Gemeinsam, weniger Ego“ muss jetzt die Devise sein.“
Gysi und Bartsch halten weitere Kandidatur offen
Gysi, der seit 1989 diverse Führungspositionen in der SED/PDS und deren Nachfolgeparteien hatte, gilt nicht nur als einer der profiliertesten Linken-Politiker. Er half mit dem Gewinn eines von drei Direktmandaten auch mit, die Linke 2021 wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag zu bringen, obwohl sie unter der Fünf-Prozent-Hürde lag. Weder er noch Bartsch wollten sich festlegen, ob sie 2025 noch einmal kandidieren.
Das sei noch nicht entschieden, sagte Bartsch (66). Es hänge auch von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das Wahlrecht ab, sagte Gysi (76). Die Karlsruher Richter prüfen derzeit, ob es rechtens ist, dass die Ampel-Koalition die Drei-Mandats-Klausel abschaffen will. Ein Urteil wird noch für diesen Monat erwartet.
Die Linke steckt seit Jahren im Richtungsstreit und in der Krise. Im Oktober hatte die Partei mit Sahra Wagenknecht eine ihrer bekanntesten Politikerinnen verloren. Sie gründete das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und erzielte bei der Europawahl aus dem Stand 6,2 Prozent. Viele Stimmen kamen von der Linken. Wagenknecht punktete unter anderem mit ihrer Haltung zum Ukraine-Krieg: keine Waffen für Kiew, Verhandlungen mit Russland, Stopp der Russland-Sanktionen, Rückkehr zu Direktimporten von Öl und Gas.
In der Sozial- und Wirtschaftspolitik hat Wagenknecht vieles von der Linken übernommen, so die Forderung nach höheren Renten, Löhnen und Gesundheitsleistungen. Vor allem in der Klima-, Migrations- und Gesellschaftspolitik tritt sie auf die Bremse – anders als die Linke.