Netflix-Doku: Was man von den Dallas Cowboys Cheerleaders über weibliche Solidarität lernen kann

Sie tanzen, sie lachen, die Haare sind immer perfekt gelockt: Die Doku „America’s Sweethearts“ zeigt das harte Leben und Training der Dallas Cowboys Cheerleaders – und bei genauerem Hinsehen auch viel über die Macht einer echten „Sisterhood“.

In ihren Cheerleader-Uniformen sitzen die jungen Frauen im Stuhlkreis, halten sich an den Händen und beten. „Wir sind da, um Menschen aufzuheitern“, sagt eine von ihnen. „Und das kann hart sein.“ Schließlich haben auch Cheerleader mal einen schlechten Tag. Zeigen dürfen sie das aber nicht – zumindest nicht in dem Moment, in dem sie in ihrer blau-weiß glitzernden Uniformen die Umkleidekabine verlassen. Ab dann ist fröhlich strahlende Cheer-Perfektion gefragt. 

Also sind sich die Dallas Cowboys Cheerleaders ihr eigenes Support-System, stützen einander, um die Energie zu behalten, Tag für Tag ihr hartes Tanztraining zu absolvieren; um bei Football-Spielen bestens aufgelegt für die Fans zu performen; und um ihr privates Leben irgendwie mit dem Job als wandelnder amerikanischer Traum zu vereinen. 

Cheerleading ist Beweis für sportliche Aufopferungsbereitschaft

Lachen, tanzen, immer freundlich lächeln: Die Netflix-Doku „America’s Sweethearts“ zeigt, was es bedeutet, Teil eines der berühmtesten Cheerleader-Teams der Welt zu sein. Die Serie beginnt mit dem harten Auswahlprozess, bei dem jedes Jahr aus hunderten von Bewerberinnen 36 Tänzerinnen für die kommende Football-Saison ausgesucht werden. Ein faszinierender Einblick in die Welt der texanischen Sportkultur, die man aus europäischen Augen oft schwer nachvollziehen kann: Viele der jungen Frauen, darunter College-Absolventinnen, Ärztinnen, Marketing-Profis, sind extra nach Dallas gezogen, um sich in einem mehrwöchigen Trainingscamp zu beweisen. Sie tun alles, um ihren Traum Wirklichkeit werden zu lassen, antworten auf jede Kritik der Teamchefinnen (von „mit diesem Kick schaffst du es nicht ins Team“ bis „verwende Mascara bitte nur am oberen Wimpernkranz“) mit einem ehrerbietigen „Yes, Ma’am“. Es gilt als große Ehre und Lebenslauf-Highlight, ins Team aufgenommen zu werden. Auch, weil die Mitgliedschaft bei den „DCC“, den Dallas Cowboys Cheerleaders, als Beweis für sportliche Aufopferungsbereitschaft und Teamfähigkeit gewertet wird. Superbowl sport.de Übernahme20.30

Bei den „DCC“ hält man nämlich viel auf die sogenannte „Sisterhood“, die Schwesternschaft, die hinter den Kulissen entsteht. Quasi das weibliche Äquivalent zum „locker room talk“, der durch Donald Trump in Verruf kam, eigentlich aber nur informelle Kabinen-Team-Dynamiken beschreibt, die zusammenschweißen. Nicht von ungefähr heißen die Mitglieder des Cheerleader-Teams „America’s Sweethearts“ – dass sich die jungen Frauen untereinander gut verstehen, einander unterstützen und stets freundlich bleiben, auch das wird zur Grundvoraussetzung für die Aufnahme ins Team gemacht. „Die Frauen verbringen so viel Zeit miteinander, sie müssen sich mögen“, sagt Kelli Finglass, einst selbst Cheerleaderin und seit den 1990er Jahren als Direktorin verantwortlich für die Vermarktung der „DCC“. Es ist nicht nur gut gemeinte Empathie, die aus Finglass‘ Worten spricht – die Botschaft ist klar: Streitereien und Feindseligkeiten passen nicht zum blitzsauberen Cheerleader-Image. 

Ein ganz neues Narrativ im Reality-TV

Und deshalb zeigt die Netflix-Serie keinen Streit unter den Frauen. Was insofern verwunderlich ist, da man so auf einen guten Teil verlässlicher Reality-TV-Dramaturgie verzichtet. In der „Sisterhood“ geht es nicht darum, sich gegenseitig zu übertrumpfen, ständig um den Status als beste, hübscheste, beliebteste Tänzerin zu kämpfen; stattdessen wird ein ganz anderes Narrativ gestrickt: Nicht alle müssen im beruflichen Kontext beste Freundinnen sein – aber in den richtigen Momenten unterstützt man einander. Zum Beispiel, als ein Kameramann Cheerleaderin Sophy an den Hintern packt – eine Leerstunde, wie man mit #metoo-Momenten richtig umgeht. Hier sagt niemand „Mach doch kein Drama draus“, alle Frauen sind zur Stelle und supporten die Kollegin auch dann noch, als die Anzeige aus Mangel an Beweisen fallen gelassen wird: „Wir glauben ihr. Manchmal vergessen Leute, dass wir keine Objekte sind, auch wenn wir diese berühmten Uniformen tragen.“

Es mag in Wirklichkeit unter 36 Frauen nicht immer ganz so reibungslos ablaufen, wie in der Serie inszeniert. Und doch wirkt es sehr erfrischend, dass man sich gerade in einer TV-Serie über eine so klischeehaft weiblich assoziierte Themenwelt wie der der Cheerleader zur Abwechslung mal nicht auf die alte Dynamik von „Es kann nur eine geben“ verlässt. Dass Frauen nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern der Teamgeist im Vordergrund steht. So viel weibliche Solidarität hätte man jedenfalls nicht erwartet in einer Serie, in der es schon auch viel darum geht, mit dem „richtigen“ Blusenknoten das Dekolleté zu betonen und die Locken gekonnt in Form zu drehen. 

Eine für alle – auch beim Gehalt

Dass der Zusammenhalt unter den Frauen des Cheerteams über gegenseitige Hochzeitseinladungen hinausreicht, zeigt im Übrigen ein Blick auf die Gehaltsabrechnung. In der Doku wird angedeutet, dass die Cheerleader von ihrem Honorar nicht leben können – und das bei täglichen Trainings und langen Einsätzen an Match-Tagen. Die meisten der Frauen arbeiten tagsüber in ihren „normalen“ Jobs. 2018 klagte Ex-DCC-Mitglied Erica Wilkins medienwirksam gegen die unfaire Honorarpraxis und erreichte, dass der Stundenlohn von acht auf zwölf US-Dollar angehoben wurde. Immer noch nicht viel, aber immerhin mehr als Kolleginnen in anderen US-amerikanischen Spitzenteams verdienen. „Mein Ziel ist es, anderen Cheerleadern zu helfen, und Frauen überhaupt“, sagte Wilkins nach der Urteilsverkündung in einem Interview – einen Vergleich nur zu ihren eigenen Gunsten hatte sie zuvor abgelehnt. 

Frauen, die wunderschön aussehen, füreinander einstehen und die Macho-Objektifizierung gemeinsam weglächeln: Ist das nun alles zu einfach und zu schön, um wahr zu sein? Vielleicht. Und trotzdem: Alle, die schon mal an #femaleempowerment verzweifelt sind, weil im echten Leben so wenig Zusammenhalt unter Frauen zu spüren war, dürften sich insgeheim genau so eine Sisterhood wie die der Dallas Cowboys Cheerleaders in ihrem Leben wünschen. 

 

stern-Redakteurin Sarah Stendel empfindet die Botschaft der Dokumentationsreihe ganz anders. Ihre Kritik lesen Sie hier:

Netflix Doku Dallas Cowboy Cheerleaders 06.36