Bei den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen stehen die Zeichen auf Neubeginn. Dies gilt auch für ein schwieriges Thema, welches das Verhältnis lange belastet hat.
Verschnaufpause in den zähen Haushaltsverhandlungen: Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist am späten Montagabend mit zwölf seiner Bundes- und Staatsminister nach Warschau gereist, um den Beziehungen zu dem Nachbarland einen neuen Schub zu geben. Dort finden am Dienstagvormittag die ersten deutsch-polnischen Regierungskonsultationen seit fast sechs Jahren statt.
Bei den insgesamt nur dreistündigen Beratungen unter Leitung von Scholz und Polens Ministerpräsident Donald Tusk soll ein Aktionsplan beschlossen werden, der sowohl Entschädigungszahlungen für noch lebende polnische Opfer der Besatzung durch Nazi-Deutschland als auch deutsche Hilfe für die Verteidigung der Ostflanke der Nato enthalten soll. Nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ könnten die Finanzhilfen zusammen im dreistelligen Millionenbereich liegen.
Entschädigungszahlungen könnten Tür für weitere Forderungen öffnen
Um die Entschädigungszahlungen wurde allerdings bis zuletzt gerungen. Es ist ein heikles Thema, weil damit die Tür für Forderungen aus anderen Ländern geöffnet werden könnte. So gibt es auch aus Griechenland fast 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch Forderungen nach Entschädigung für die von Nazi-Deutschland verursachten Kriegsschäden.
In Polen leben heute noch rund 40 000 Menschen, die einst Opfer der deutschen Besatzer waren, wie Agnieszka Lada-Konefal vom Deutschen Polen-Institut in Darmstadt sagt. Manche hätten sich etwa damals als Kinder oder Jugendliche am polnischen Widerstand beteiligt. „Es wäre in symbolischer, aber auch in praktischer Hinsicht einfach wichtig, dass diese alten, kranken Leute Unterstützung bekommen.“
Geld aus dem Finanzpaket soll auch für den Bau des Deutsch-Polnischen Hauses in Berlin fließen. Das Haus soll an die komplizierte deutsch-polnische Geschichte und die brutale deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkriegs (1939-1945) erinnern und einen Ort des Gedenkens für die polnischen Opfer schaffen. Das Kabinett beschloss in der vergangenen Woche einen Entwurf, wie das Dokumentationszentrum inhaltlich aufgebaut werden soll.
Antideutsche Stimmung der PiS-Regierung zerrüttete das Verhältnis
Polen dringt schon lange auf eine Wiedergutmachung für die durch den Zweiten Weltkrieg und die Besatzung erlittenen Schäden. Die nationalkonservative PiS-Regierung, die das Land von 2015 bis 2023 führte, forderte von Deutschland Reparationen in Höhe von mehr als 1,3 Billionen Euro. Dies und die ständige antideutsche Stimmungsmache führender PiS-Vertreter zerrütteten das bilaterale Verhältnis in den vergangenen Jahren.
Unter der seit Dezember amtierenden Mitte-Links-Regierung Donald Tusks ist das Klima nun deutlich besser geworden. Doch auch Tusk betonte bei seinem Antrittsbesuch im Februar in Berlin: „Im formalen Sinne wurden die Reparationen schon vor vielen Jahren abgeschlossen. Aber die materielle und moralische Wiedergutmachung wurde nie realisiert.“ Ein Ausgleich von Rechnungen sei nötig, man müsse nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit suchen, ohne die gegenseitigen Beziehungen zu belasten.
Gutes Verhältnis zu Polen wird wichtiger
Seit dem Regierungswechsel in Polen wird auch das Format des sogenannten Weimarer Dreiecks zwischen Polen, Deutschland und Frankreich wieder mit neuem Leben gefüllt. Doch in Frankreich droht nach den Parlamentswahlen eine Machtübernahme durch das rechtsnationale Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen, das zeigte schon die erste Abstimmungsrunde. Ein solcher Umschwung könnte die Achse Berlin-Paris schwächen – umso wichtiger wäre aus deutscher Sicht ein gutes Verhältnis zu Polen.
„Es gibt die Chance, dass die deutsch-polnischen Beziehungen dadurch noch aktiver werden“, sagt Expertin Lada-Konefal. Allerdings müsse die Bundesregierung zur Kenntnis nehmen, dass Polen mittlerweile sehr viel stärker und selbstbewusster geworden sei – auch durch seine Rolle als Frontstaat im Ukraine-Krieg und wichtiger Verbündeter Kiews. Auch Tusk halte deutlich mehr Distanz zu Berlin, als dies in seiner ersten Amtszeit von 2007 bis 2014 der Fall war. „Die Zeiten sind vorbei, wo Deutschland mit jedem Vorschlag kommt und die Polen klatschen.“
Scholz und Co. schon am Nachmittag zurück in Berlin
Bei den Konsultationen sind auch Vizekanzler Robert Habeck von den Grünen und Finanzminister Christian Lindner von der FDP dabei, die seit Wochen mit Scholz um einen Haushaltsplan für 2025 ringen. Schon mittags reisen sie zusammen mit den anderen Kabinettsmitgliedern wieder zurück nach Berlin, um den Bundestagsfraktionen über den Stand der Verhandlungen zu berichten. Bis Ende der Woche soll es ein Ergebnis geben.