Die Nacht durchtanzen – schwierig, wenn man kleine Kinder hat. Für Mütter gibt es deshalb Partys, die vor Mitternacht enden. Wieso eigentlich nur für sie?
Dicht gedrängt tanzen Feiernde in einem Nachtclub in Nürnberg. Auf ein Zeichen des DJs recken sie die Hände in die Höhe und singen laut mit. Soweit nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist dagegen die Uhrzeit: Es ist gerade einmal 20.30 Uhr, und die Party ist bereits ausverkauft. Ungewöhnlich ist auch, dass nur Frauen da sind – viele davon Mütter mit kleinen Kindern, aber nicht nur.
„Mama geht Tanzen“ heißt die in Nordrhein-Westfalen entstandene Partyreihe, die in vielen Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz Frauen am frühen Abend für drei Stunden zum Tanzen bringt. Ende ist in der Regel um 23 Uhr, sodass alle noch vor Mitternacht im Bett liegen können und sich am nächsten Tag nicht übernächtigt durch das Familienprogramm schleppen müssen.
„Mama-Auszeit“ statt Windeln wechseln
„Die Uhrzeit finde ich unschlagbar“, sagt Steffi, die mit drei Freundinnen auf der Party in Nürnberg feiert. Die 46-Jährige hat zwei Kinder und ist bereits das zweite Mal bei „Mama geht Tanzen“. „Das ist für mich eine Mama-Auszeit.“ Ähnlich sieht es Judith, die zwei Kinder im Alter von 10 und 13 Jahren hat. „Auf mich wartet morgen noch Mathe und Englisch lernen.“ Dass keine Männer auf der Party sind, gefällt ihr besonders. „Ich kann herumlaufen, wie ich möchte – ohne Freiwild zu sein“, sagt Judith mit Blick auf ihr bauchfreies Outfit.
Die Idee zu „Mama geht Tanzen“ hatten Anna Schumacher und Andrea Rücker aus Wuppertal. Beide sind Mütter von kleinen Kindern, die mal wieder feiern gehen wollten, denen die Discos und Nachtclubs aber zu spät öffneten. „Es hat mich immer geärgert, dass meine Kinder gerade dann gut schlafen, wenn ich noch zu Hause sitze und darauf warte, dass etwas aufmacht“, erinnert sich Schumacher. Also organisierten die beiden Freundinnen ihre eigene Party in Wuppertal.
Eine Idee wird zur Bewegung
„Es war nie gedacht, dass es eine Reihe wird oder irgendwie groß“, sagt die 28 Jahre alte Schumacher. Doch die Resonanz sei so gut gewesen, dass sie bald die nächste Party veranstaltet hätten und schließlich über ein Franchise-System weitere Städte dazu gekommen seien. „Mama geht Tanzen“ gibt es Schumacher zufolge inzwischen in 110 Städten im deutschsprachigen Raum, organisiert von etwa 30 Frauen.
Früh mit dem Feiern anfangen, damit man früh im Bett liegen kann – das Konzept kennt man vor allem von Afterwork-Partys. Doch diese finden nur unter der Woche statt und starten in der Regel am späten Nachmittag oder frühen Abend – dann, wenn in vielen Familien mit Hausaufgaben, Sport, Musikunterricht, Abendessen und Ins-Bett-Bringen gerade viel los ist.
Neues Ausgehverhalten
Aber selbst am Wochenende wollen viele Menschen nicht erst nach Mitternacht in die Disco gehen, um dann bis zum Morgen zu tanzen. Das haben auch viele Nachtclubs erkannt. „Es gibt ganz viele Sachen, die tagsüber stattfinden“, sagt Lutz Leichsenring von der Clubcommission, dem Netzwerk der Berliner Clubkultur. „Die Corona-Pandemie hat verstärkt, dass sich die Leute an andere Ausgehrhythmen gewöhnt haben.“ So haben ihm zufolge alle größeren Clubs in der Hauptstadt am Wochenende schon tagsüber geöffnet.
Außerdem gebe es Kinderdisco-Veranstaltungen, wo Eltern tanzen könnten, während ihre Kinder beschäftigt seien, sagt Leichsenring. Der Augustinerkeller in München wiederum bietet sonntags Kinderbetreuung an, sodass Eltern den Biergarten-Besuch in Ruhe genießen können. Veranstaltungen, die schon früh beginnen, seien im Kommen, bestätigt auch Axel Ballreich, Vorstand des Verbands der Musikspielstätten Livekomm. „Das spricht alle Leute an, die um 1.00, 2.00 Uhr nachts lieber im Bett liegen wollen.“ Zum Beispiel auch ältere Leute.
Diskriminierung und alte Rollenbilder?
Doch wieso braucht es ein Extra-Format nur für Mütter? Und was ist mit den Vätern, die nachts ebenfalls aufstehen, um Windeln zu wechseln oder Fläschchen zu geben? Im Internet findet sich neben begeisterten Kommentaren zu „Mama geht Tanzen“ deshalb einige Kritik. Manche empfinden es als diskriminierend, dass Männer ausgeschlossen sind. Andere stoßen sich an dem Namen „Mama geht Tanzen“, weil dieser Frauen zu sehr auf ihre Rolle als Mütter reduziere.
„Uns wird oft vorgeworfen, dass wir ein Rollenbild aus den 1950er Jahren bedienen“, bestätigt Schumacher. Ursprünglich sei die Idee aber gewesen, etwas für stillende Mütter zu machen, weil sie damals selbst in der Situation gewesen seien, erläutert sie. „Das hatte nie mit unseren Männern zu tun.“ Schumacher und Rücker sind beide berufstätig und haben „Mama geht Tanzen“ in ihrer Freizeit gegründet – während ihre Männer ihnen den Rücken freihielten, wie Schumacher erläutert. Das helfe aber nicht, wenn das Baby nach der Brust schreie und anders nicht zu beruhigen sei.
Komplett ausgeschlossen sind Männer beim „Mama geht Tanzen“ nicht. „Sie dürfen als Begleitung ihrer Partnerin mitkommen und wenn ihnen klar ist, dass es keine Flirtbörse ist“, sagt Schumacher. Dass Männer trotzdem die Ausnahme auf den Mama-Partys bleiben, ist wenig überraschend. „Wir feiern zu 99 Prozent unter Frauen“, sagt Schumacher. Wie wäre es stattdessen mit einer Party nur für Papas oder für Eltern allgemein? Kein Thema für die beiden Gründerinnen: „Das können andere machen“, sagt Schumacher.