Lange galt Hannover als langweilig. Jetzt ist die Nachfrage nach Hotels in der niedersächsischen Landeshauptstadt teils um fast 500 Prozent gestiegen. Was ist passiert?
Die Ferien in Hannover zu verbringen – das wäre noch vor wenigen Monaten so abwegig gewesen wie an seinem Geburtstag zur Zahnreinigung zu gehen, im Karibikurlaub die Steuererklärung zu machen oder auf dem Oktoberfest einen Kamillentee zu bestellen. Kaum eine andere Stadt hat den Ruf, derart charakterlos zu sein wie die niedersächsische Landeshauptstadt. Die Hannoveraner haben laut Klischee so wenig Ecken und Kanten, dass es sie sogar zu freuen scheint, als langweilig zu gelten – das ist schließlich auch irgendwie eine Eigenschaft. Sie witzeln gerne darüber. Als hätten sie es insgeheim längst geahnt. Dass sich die Hochburg der Mittelmäßigkeit, die so edgy ist wie eine Stadtsparkasse, eines Tages zum Trend-Reiseziel wandeln würde. New York und sein Times Square waren gestern. Hier kommen Hannover und sein Raschplatz. Fehlen nur noch ein paar Werbetafeln und Menschen in lebensgroßen Leibniz-Keks- oder Nana-Kostümen, die für Fotos herhalten.
Der Hype ist vor allem einer Altersgruppe zu verdanken, die eiskalt wie niemand sonst darüber bestimmt, was cool und was lame ist: Teenager. Auf Tiktok sammeln sich Videos junger Menschen, die sich dabei filmen, wie sie nach Hannover und zur Marienburg fahren, dem Drehort der Erfolgsserie „Maxton Hall“. In der Verfilmung von Mona Kastens Romanreihe verlieben sich eine arme Streberin und ein reicher Schnösel im Elite-Internat, bei dem es sich in Wahrheit um Schloss Marienburg handelt. Die Burg steht nicht in England, wie suggeriert wird, sondern in Pattensen, Region Hannover. Schon kurz nach dem Start erreichte die Serie auf Amazon Prime die größte Zuschauerzahl eines nicht-amerikanischen Titels. Kein Wunder also, dass sich die Hotels im Raum Hannover auf einmal über sehr viele Anfragen freuen dürfen – und die kommen aus aller Welt.
In Japan gaben Reisende „Hannover“ 50 Prozent häufiger in das Suchfeld ein als noch 14 Tage vor Beginn der Serie, teilt Expedia mit. In den USA und Australien registrierte das Online-Reisebüro einen Suchanfragen-Anstieg von jeweils 15 Prozent. Bei Menschen aus Frankreich, der Schweiz und Spanien stieg die Nachfrage um fast 500 Prozent.
Hannover ist jetzt cool – und Schloss Marienburg der deutsche Buckingham Palace
Wer hätte gedacht, dass die Region, in der Ex-Bundespräsident Christian Wulff lebt, einmal so cool werden würde. Die „Hannover-Connection“ von Milliardär Carsten Maschmeyer kann einstecken gegen die „Maxton Hall“- Verbindung. Manch ein Hannoveraner hat sich wahrscheinlich schon gewundert, warum der ein oder andere Teenager seit Neuestem mit weißen Kniestrümpfen und knallpinkfarbenem Blazer herumläuft, wo doch sonst vor allem Beige, Schwarz und Grau das Stadtbild prägen. Dabei handelt es sich nicht etwa um den neuesten Style aus der „Bravo“, es ist die nachgestellte Schuluniform aus „Maxton Hall“, in der Set-Jetter für Fotos vor der Burg posieren. Einwohner punkten jetzt sogar auf dem Weg zum Einkaufen oder der Arbeit, indem sie dafür an der Marienburg vorbeifahren, das Video auf Tiktok hochladen und dazu schreiben: „Stellt euch vor, ihr fahrt einfach nur zum Einkaufen und kommt an Maxton Hall vorbei …“
Ja, so schön ist es rund um Hannover: Schloss Marienburg, der Drehort der Erfolgsserie „Maxton Hall“
© Ulrich Stamm/Geisler-Fotopress/
Wer es in den sozialen Medien noch zum Hannofluencer bringen will, sollte außerdem darüber nachdenken, den Sonntagsspaziergang mit Hund in die Umgebung der Burg zu legen. Hunde vor „Maxton Hall“ und die Likes sind so sicher wie fünf schmachtende Blicke pro Folge.
So viel Aufmerksamkeit hat nicht mal „Prügel-Prinz“ Ernst August von Hannover auf die Stadt gelenkt. Und das, obwohl er immer sein Bestes gab, inklusive Regenschirm auf Nasenbein. Machen die Teenager so weiter, kann es sich nur noch um wenige Wochen handeln, bis Schloss Marienburg zum neuen Buckingham Palace wird und Touristen Tassen und Topflappen mit dem Antlitz von Ernst August ergattern können. Vielleicht ja auch Regenschirme.
Das gibt Hoffnung. Wenn Hannover es schafft, dann kann es jeder schaffen.