Ein SPD-Mitgliederbegehren zum Haushalt ist erstmal vom Tisch. Oder? Die Parteilinken üben deutliche Kritik an der Begründung der Führung. Ein schwerer Vorwurf steht im Raum.
Saskia Esken sagt erstmal gar nichts dazu, als gäbe es da nichts zu erklären. Erst auf Nachfrage äußert sich die SPD-Chefin zu einer heiklen Entscheidung, die noch für Unruhe bei den Genossen sorgen könnte.
Die Parteilinken vom „Forum DL21“ wollten ein Mitgliederbegehren starten, um einen Kürzungshaushalt zu verhindern (mehr dazu lesen Sie hier). Nun wurde das Vorhaben für unzulässig erklärt. Grundlage der Entscheidung ist ein Rechtsgutachten für den SPD-Vorstand, das als „fragwürdig“ und „widersprüchlich“ kritisiert wird.
Der schwerwiegender Verdacht: Das Gutachten sollte das Mitgliederbegehren abräumen.
Erheblicher Druck auf Abgeordnete?
Esken redet den Vorgang am Montagmittag klein. So sei das „Forum DL21“ keine offizielle Gliederung der SPD, sagt sie im Atrium der Berliner Parteizentrale, auch „kein reiner SPD-Verein“. Lediglich drei Mitglieder des Vereins, die auch SPD-Mitglieder seien, hätten den Antrag zum Begehren eingereicht. Deshalb habe man sich damit befasst.
Was Esken nicht sagt: Das Vorhaben stand auf weitaus breiterer Basis, wurde von den mitgliederstarken Jusos unterstützt, aber auch von der Seniorenarbeitsgemeinschaft „60 plus“ und den „SPD-Frauen“. Die nötigen Stimmen für das Mitgliederbegehren wären damit wohl locker zusammengekommen.
Der Haken: Der Parteivorstand hätte die Abstimmung in Gang setzen müssen.
Olaf Scholz Haushalt Regierungserklärung 16.52
Beim „Forum DL21“ ist man einigermaßen fassungslos. „Das Mitgliederbegehren mit einer rechtlich so fragwürdigen und in sich widersprüchlichen Begründung abzubügeln, ist kein gutes Signal“, heißt es dort. „Für eine SPD, die sich als Mitgliederpartei versteht, ist das mehr als schade.“
In dem zwei Seiten umfassenden Gutachten, das dem stern vorliegt, wird das Mitgliederbegehren zum Haushalt als „unmittelbarer Eingriff in die staatliche Sphäre“ bezeichnet. Die Mitglieder der SPD-Fraktion würden dazu aufgerufen, nur unter genannten Maßgaben dem Bundeshaushalt zuzustimmen. „Damit würde in gravierender Weise in die freie Mandatsausübung nach Art. 38 GG eingegriffen“, heißt es. Eine entsprechende Abstimmung würde „erheblichen Druck“ auf die Abgeordneten und ihre Entscheidungsfreiheit ausüben. Folglich sei es unzulässig.
Oder hat die SPD-Spitze Angst vor ihrer eigenen Courage? Vor den potenziellen Folgen einer Basisabstimmung, die womöglich gegen Einsparungen im Haushalt für 2025 ausgefallen wäre? Der eigenen Parteibasis, an der es nach der Pleite bei der Europawahl mächtig brodelt?
Die Sozialdemokraten stehen geschlossen gegen schmerzhafte Einsparungen, das hat auch eine gemeinsame Erklärung der drei sehr unterschiedlichen Fraktionsströmungen gezeigt. Allerdings gestalten sich die Verhandlungen der Ampel-Spitzen als schwierig. Insbesondere die Liberalen pochen auf Kürzungen, auch bei den Sozialausgaben. Eine rote Linie für die SPD – aber auch für ihren Kanzler, der einen Kompromiss im Haushaltshandgemenge anstrebt?
Scholz zu Vertrauenskrise Europawahl 14.37
Rechtlich bindend wäre ein SPD-Basisvotum zwar nicht, mindestens aber ein politischer Wink mit der Dachlatte gewesen. Der Parteiführung, inklusive dem Kanzler, wären Fesseln angelegt worden – mit einem Koalitionsbruch als letzter Konsequenz. Ein Szenario, dass die SPD-Spitze schwer unter Druck gesetzt hätte.
SPD-Parteilinke moniert Widersprüche in Rechtsgutachten
In der Parteizentrale gibt sich Co-Chefin Esken betont schmallippig. Sie wolle sich nicht weiter dazu einlassen, sagt sie, die Begründung sei mittlerweile bekannt. „Nach unserer Auffassung ist es (das Begehren, Anm. d. Red.) unzulässig, weil die Haushaltsgesetzgebung ausschließlich im Bundestag liegt“, erklärt Esken.
Die Parteilinken vom „Forum DL21“ überzeugt das nicht, sie melden grundsätzliche Zweifel an der Argumentation an. „Im Grunde genommen bedeutet die Einschätzung der Parteispitze, dass praktisch keine politischen Beschlüsse durch das Instrument des Mitgliederbegehrens gefasst werden können.“ Zumal die juristische Einschätzung Widersprüche aufweise.
So werde einerseits ausgeführt, dass ein Mitgliederbegehren über den Haushalt unzulässig sei, da Beschlüsse der Partei keine Wirkung auf das freie Mandat der Abgeordneten haben dürften. Andererseits werde in dem Gutachten Bezug auf das Ergebnis eines Mitgliederbegehrens zum Koalitionsvertrag 2013 genommen, das die Abgeordneten in die Pflicht genommen hätte, den Koalitionsvertrag umzusetzen.
Wann also gilt ein Parteibeschluss – und wann nicht?
„Natürlich ist ein Koalitionsvertrag etwas anderes als ein Haushalt“, winkt Esken im Willy-Brandt-Haus ab. Koalitionsverträge würden von Parteien unterschrieben, Haushalte vom Parlament entschieden. Zumal in der SPD nicht erst seit der Initiative des Mitgliederbegehrens darüber gesprochen werde, was dieser Haushalt nicht sein dürfe: ein Kürzungshaushalt.
Ob sich die Parteibasis mit dieser Erklärung zufriedengeben wird, ist fraglich. Allmählich wächst die Unruhe bei den Genossen. Sie wollen wissen, wohin die Reise geht.
Diese Woche soll Kanzler Scholz eine politische Erklärung zum Haushaltsentwurf abgeben, bevor dieser zu einem späteren Zeitpunkt im Kabinett beschlossen wird. Die SPD-Fraktion hatte darauf bestanden, verlangte vom Kanzler etwas Handfestes, bevor das Parlament in die Sommerferien geht.
Dass das Mitgliederbegehren zum Haushalt nun – erstmal – vom Tisch ist, dürfte die Lage kaum beruhigen. Die Parteilinken vom „Forum DL21“ wollen nun genau und in Ruhe prüfen, ob und wie wie es mit ihrem Mitgliederbegehren zum Haushalt weitergehen könnte. Das gelte auch für die weiteren Initiativen, die man anstrebe. Zum Mindestlohn in Höhe von 15 Euro etwa. Oder zu einem bundesweiten Mietendeckel.
Wohin steuert die SPD? Gesprächsbedarf gibt es in der Partei genug.