Die Lage in der Pflege ist nach Ansicht von Fachleuten „brenzlig“. Maßgebliche Vertreter fordern dringend schnelle Lösungen. Der designierte Ministerpräsident Schweitzer sieht den Bund gefordert.
Pflegeheime und ambulante Pflegedienste müssen Bedürftige ablehnen, Krankenhaussozialdienste können keine Anschlussversorgung vermitteln und das noch vorhandene Personal arbeitet am Limit: Vertreter von Pflegegesellschaft, Landespflegekammer, Sozialverband VdK und aus der Praxis zeichnen ein düsteres Bild der Lage in Rheinland-Pfalz. Sie fordern vor allem von der Landesregierung und den Pflegekassen dringend schnelle Reformen. „Wir brauchen die Not-OP vor der Reha“, sagte der Vorsitzende der Pflegegesellschaft Gerhard Lenzen in Mainz.
„Die Notlage kommt nur bei uns an, aber nicht bei den Pflegekassen und dem Land“, ergänzte Lenzens Kollegin Jutta Schier und forderte, gemeinsam den Turbo einzulegen. Ein rund ein Jahr altes gemeinsames Positionspapier mit Lösungsvorschlägen aus der Branche habe noch nicht zu konkreten Verbesserungen geführt, kritisierte Lenzen. Es reiche nicht mehr über Modelle und Projekte zu sprechen, notwendig sei es schnell, mutige Lösungen gemeinsam zu erarbeiten, sagte Sebastian Rutten von der Pflegegesellschaft.
Der designierte Ministerpräsident Schweitzer appelliert an den Bund
Der scheidende Sozialminister und künftige Ministerpräsident Alexander Schweitzer sieht dagegen den Bund in der Pflicht. „Wir stehen vor einer Zeitenwende in der Pflege„, sagte der SPD-Politiker. Eine grundlegende Pflegereform sei „zwingend notwendig und darf nicht auf die lange Bank geschoben werden“. Die nächste Bundesregierung müsse diese Reform zur Priorität machen. „Auch die aktuelle Regierung sollte bereits jetzt bessere Bedingungen für die Pflege schaffen.“ Als Beispiel nannte er flexiblere Pflegearrangements zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. „Ein wichtiger und notwendiger Schritt ist die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung zu einer Vollversicherung.“
Das Angebot wird knapper
„Die Wartelisten werden länger und länger“, sagte Lenzen. Verzweifelte Betroffene wendeten sich an die Pflegestützpunkte und müssten feststellen, dass ihnen nicht geholfen werden könne, berichtete Regina Bernhart vom Caritasverband Speyer.
Es fehle an Fachkräften und die vorhandenen Pfleger und Pflegerinnen seien so überlastet, dass sie im Durchschnitt 32 Tage im Jahr arbeitsunfähig seien, sagte Lenzen. Die Finanzierung der Einrichtungen gehe von 95 Prozent Belegung aus, diese sinke aber immer weiter, weil Personal fehle. Insolvenzen und Aufgaben seien die Folge: „Das ohnehin zu knappe Angebot wird weiter verknappt.“
„Die Pflege ist in einer erheblichen Krise“, stellte Lenzen fest. Die demografische Entwicklung werde die „brenzlige Lage“, den Fachkräftemangel sowie die Pflegebedürftigkeit, noch verschärfen.
Forderung nach Bürokratieabbau
Der Präsident der Landespflegekammer, Markus Mai, forderte einen drastischen Bürokratieabbau für die Pflegekräfte. „Wir erleben eine erhebliche Misstrauenskultur.“ Die Pflegedienste müssten etwa Daten zunächst digital eingeben, dann ausdrucken und bei den Pflegekassen abgeben, bevor sie ihr Geld bekämen, kritisierte er.
Notwendig seien viel mehr Wertschätzung für die Fachkräfte und härtere Strafen für Betrüger in der Branche. Mai sieht auch die Bundesregierung in der Pflicht für schnelle Verbesserungen. Wenn sich auf der Bundesebene nichts nachhaltig verbessere, hätten die Länder und die Kommunen keinen Spielraum.
Wartezeiten werden länger
Moritz Ehl vom Sozialverband VdK verwies darauf, dass von 20 Pflegebedürftigen in Rheinland-Pfalz 17 zu Hause versorgt würden. Dies sei oft eine erhebliche Überforderung für die Angehörigen. Und führe zu weiteren Problemen, wie weniger erwerbstätigen Frauen, also weniger Fachkräften in anderen Berufen, und zu Altersarmut der Pflegenden. Pflegende Angehörige fänden oft kein Hilfsangebot oder gerieten in finanzielle Not. Zugleich steige der Eigenanteil für eine Heimunterbringung immer weiter, auf 3.000 bis 3.500 Euro pro Monat, ergänzte Lenzen.
Die Wartezeiten auf eine Reha – etwa nach einem Schlaganfall – würden immer länger, sagte Klaudia Klaus-Höhl vom Brüderkrankenhaus in Trier. Und inzwischen würden manche Orte wegen Personalmangels von keinem Pflegedienst mehr angefahren. Die Sozialämter bräuchten oft ein halbes Jahr, um die Finanzierung für Bedürftige zu klären. Sie forderte, die Strukturen für gut ausgebildete Kräfte aus dem Ausland dringend zu vereinfachen, um den Personalmangel etwas abzufangen.
Bernhart vom Caritasverband berichtete von langen Wartezeiten für Logopäden, Physio- und Ergotherapeuten. Bei einem Umzug fänden alte Menschen auch keinen neuen Hausarzt mehr. Nicht nur auf dem Land, sondern auch in Städten wie Ludwigshafen sei selbst das Angebot von Essen auf Rädern viel zu dünn.
Die Beschäftigten in den Pflegestützpunkten seien immer wieder ein Ventil für die Verzweiflung, Trauer und Wut Pflegebedürftiger und ihrer Angehöriger, berichtete Bernhart. Verbale Angriffe und mitunter auch gefährliche Situationen seien die Folge.