Wer durch die USA fährt und mit Demokraten spricht, erfährt schnell: Selbst die eigenen Anhänger wollen Joe Biden nicht mehr. Doch das Partei-Establishment will davon nichts wissen. Ein fataler Fehler.
Vielleicht hätten die Demokraten mal auf die eigenen Anhänger hören sollen. Sie hätten schon vor einem Jahr erfahren können, dass Joe Biden wegen seines hohen Alters nicht mehr antreten soll. Sie hätten von den bisher so loyalen Hispanics gehört, dass Trumps harter Kurs beim Thema Einwanderung gut ankommt. Sie hätten von ihren treusten Anhängern, Afroamerikanern, gehört, dass Biden auch beim Thema Inflation ein riesiges Problem hat. Sie hätten von der Jugend gehört, dass ein 81-jähriger Greis keine Erstwähler an die Wahlurne treibt.
Und wenn die Partei schon nicht zuhört, hätte sie Umfragen ernst nehmen sollen: 73 Prozent der eigenen Anhänger hielt Bidens hohes Alter schon im Februar für ein Problem. Nicht mal 25 Prozent aller Amerikaner finden, dass sich das Land unter dem Präsidenten auf dem richtigen Kurs befindet.
Trump nach Trump-Biden-Debatte 12.27
Aber die Parteioberen haben jede Diskussion um Bidens Kandidatur von Anfang an unterbunden, wie es sonst nur Autokraten tun. Sie haben Kritiker kleingehalten – mit dem Hinweis, dass nur Biden Trump schlagen könne und dass nicht weniger auf dem Spiel stehe als die amerikanische Demokratie. Sie haben sogar von Altersdiskriminierung gesprochen, als ob Alter und Vitalität bei der Wahl der mächtigsten Person der Welt kein Kriterium sein dürfen.
Das ist die eigentliche Tragödie, nicht nur für Amerika: Der Mann, der die Trump-Katastrophe abwenden will, beschwört sie erst herauf. Der Mann, der die Kraft fand, viele persönliche Tragödien zu überstehen, hat keine Kraft mehr, die Tragödie für Amerika die Welt abzuwenden: die Wahl von Donald J. Trump.
Die Forderung nach Joe Bidens Rückzug kommt sehr spät
Wer in diesen Tagen – sehr verspätet – Bidens Rückzug fordert, tut das vor allem aus Sorge um die Folgen einer Trump-Wahl für diese ohnehin instabile Welt. Das ist ein absolut berechtigter Grund. Vor allem Sicherheitsexperten treibt dies um, ausländische Regierungen, Medien. Sie blicken von oben auf die Lage. Wenn man jedoch mit Wählern an der Basis spricht, gibt es viele andere gute Gründe für Bidens Rückzug, die lang kein Gehör fanden: Der Präsident war schlichtweg nicht gut genug.
Bidens Verdienste werden in diesen Tagen fast gebetsmühlenartig betont: Klimapolitik, Vollbeschäftigung, Wirtschaftswachstum. Aber sie kommen nicht an bei den Menschen, dir vor allem unter den hohen Preisen und Mieten leiden. Und der Vorwurf, dass diese Menschen nur Opfer republikanischer Weltuntergangspropaganda seien, hat etwas sehr Verächtliches. Es trägt nur noch mehr bei zur Entfremdung zwischen den Eliten der Küsten und dem Rest des Landes.
Ich bin in den vergangenen Monaten oft und lange für den stern durchs Land gereist, vor allem durch die so wichtigen Swing States, und habe mit vielen Menschen gesprochen. Mit Afroamerikanern in Detroit und Philadelphia, mit Hispanics in Texas und Arizona, mit Erstwählern in New Hampshire und Pennsylvania. Es liegt, natürlich, eine gewisse Willkür darin, Einzelmeinungen als Basis für Analysen zu nehmen. Aber die Stimmen gegen Biden summierten sich, vor allem bei den wichtigsten Themen dieser Wahl, Inflation und Migration. Es fand sich kaum ein Verteidiger seiner Kandidatur, selbst unter Demokraten nicht. Kaum einer, der sagte: „Mir geht es besser als vor vier Jahren.“
Bidens letzte Verteidiger: Obama, Clinton, Pelosi
Und fast alle waren der Ansicht: Biden ist zu alt. Eine Vorsitzende der Demokraten in Süd-Texas sagte es so: „Es tut weh, ihn so zu sehen, so schwach und unbeholfen. Man muss nicht erst die von Republikanern zusammengestellten Video-Clips sehen, um zu begreifen, wie sehr er abgebaut hat.“
Für viele Demokraten an der Basis ist genau das besonders schmerzhaft und respektlos: „Wie kann die Parteiführung behaupten, Biden sei fit, wenn das Gegenteil für alle ersichtlich ist?“, fragt sich die Vorsitzende. „Halten die uns für doof?“
Trump hatte Recht, als er ständig auf Bidens Altersschwäche hingewiesen hat, auch wenn er es auf die diskriminierende, hässliche Weise tat, die ihm so eigen ist. Er kann lügen wie gedruckt, aber die Wahrheit ist, dass ihm Amerikaner inzwischen bei fast allen wichtigen Themen deutlich mehr zutrauen als Biden.
Biden hat weiterhin seine Verteidiger. Sie heißen Barack Obama und Bill Clinton und Nancy Pelosi oder nennen sich Parteistrategen. Sie wissen aus eigener Erfahrung, dass Präsidenten heute ein Team aus guten Beratern und Fachleuten haben und nur die grobe Richtung vorgeben und ab und zu mal eine wichtige Rede vom Teleprompter ablesen müssen. Sie wissen auch, dass ein Austausch des Kandidaten so kurz vor der Wahl die Partei ins Chaos stürzen könnte und dass ein Nachfolger nicht in Sicht ist. Schluckt es, sagen sie den Anhängern. Biden ist der Kandidat. So ist die Realität.
Was soll Putin denken, wenn er auf den Greis trifft?
Die Haltung hat etwas sehr Paternalistisches. „Amerikaner wollen einen vitalen Präsidenten. Wir wollen keinen, der von Beratern gelenkt wird und von Jill ständig geführt werden muss“, sagte etwa ein demokratischer Aktivist in Philadelphia. „Wir hätten bei der TV-Debatte einen vitalen Mann gebraucht, der Trump mit seinem Dauerlügen in die Schranken verweist. Was soll Putin denken, wenn der Greis Biden ihm mal gegenübersitzt?“
Oft fällt jetzt der Satz – von Parteioberen wie von Wählern: „Biden ist ein guter Mann.“ Das mag so sein und ist angesichts seines garstigen Widersachers noch offensichtlicher. Aber ein guter Mann ist nicht auch ein guter Präsident.
Ein guter Präsident hätte rechtzeitig erkannt, wo die Sorgen vieler Menschen liegen. Er hätte vor allem erkannt, dass er selbst die Kraft für eine zweite Amtszeit nicht mehr hat – und rechtzeitig den Übergang eingeleitet. Er hätte sich eine Vizepräsidentin gesucht, die auf ihn hätte folgen können. Auch das ist eine schmerzhafte Erkenntnis: Es gibt keinen Enthusiasmus für Kamala Harris, selbst unter Schwarzen nicht. Dabei bräuchte es jetzt eine Vizepräsidentin, die eine Chance gegen Trump hat.
So stehen die Demokraten nun vor einer fast unlösbaren Aufgabe. Halten Sie an Biden fest, werden sie vermutlich gemeinsam untergehen. Schwenken sie auf einen anderen Kandidaten um, kann man sich fragen, wie der eine Chance haben soll, wenn doch angeblich nur Biden eine Chance gegen Trump hatte. Das krampfhafte Festhalten an Biden signalisierte allen: Es gibt keine Alternative. Dabei gibt es durchaus begabte Gouverneure mit langjähriger Erfahrung in der Exekutive.
Jedoch ist keiner der möglichen Kandidaten und Kandidatinnen ein Überflieger (außer Michelle Obama). Keiner verfügt über eine große Bekanntheit über den eigenen Bundesstaat hinaus (außer Michelle Obama). Auf keinen könnten sich alle einigen (außer auf Michelle Obama). Keine käme überall bei der demokratischen Basis an (außer Michelle Obama).
Aber Michelle Obama steht nicht zur Verfügung.