Drei Wochen nach der Europawahl haben Frankreichs Rechtspopulisten erneut einen deutlichen Wahlsieg eingefahren. „Die extreme Rechte ist an der Schwelle der Macht“, räumte Premierminister Gabriel Attal am Sonntagabend in Paris ein. Nach Hochrechnungen kommt die Partei Rassemblement National (RN) in der ersten Runde der Parlamentswahl auf etwa 34 Prozent. Nach manchen Prognosen könnte der RN nach der zweiten Runde am 7. Juli auf eine relative oder absolute Mehrheit kommen. Dabei gibt es aber noch viele Variablen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron rief angesichts des Wahlerfolgs der Rechtspopulisten zu einem „breiten, demokratischen und republikanischen Bündnis“ auf. Die hohe Wahlbeteiligung zeuge von dem „Willen, die politische Situation zu klären“, betonte der Präsident.
Premierminister Gabriel Attal kündigte den Rückzug von etwa 60 Kandidaten in der zweiten Runde an, um den Sieg rechtspopulistischer Kandidaten zu verhindern. Das Regierungslager liegt mit etwa 21 Prozent abgeschlagen auf Platz drei.
Das links-grüne Wahlbündnis Neue Volksfront kommt nach den Hochrechnungen auf etwa 28 Prozent. Die Republikaner – ohne ihren abtrünnigen Parteichef Eric Ciotti – liegen bei zehn Prozent. Die Wahlbeteiligung war mit mindestens 65 Prozent deutlich höher als 2022 mit 48 Prozent.
Die Ex-Parteichefin des RN, Marine Le Pen, rief ihre Anhänger dazu auf, ihrer Partei in der nächsten Runde eine „absolute Mehrheit“ zu verschaffen. Macrons Lager sei „praktisch ausgelöscht“, erklärte Le Pen, die in ihrem Wahlkreis im Norden bereits im ersten Wahlgang gewählt wurde.
Parteichef Jordan Bardella sieht sich bereits als künftiger „Premierminister aller Franzose“, falls seine Partei die absolute Mehrheit bekommen sollte. Er werde „verfassungstreu, aber unnachgiebig“ sein, kündigte der 28-Jährige an.
Der linkspopulistische Politiker Jean-Luc Mélenchon nannte das Ergebnis eine „schwere und indiskutable Niederlage für Macron“. Er erklärte, dass seine Partei La France Insoumise (LFI) manche Kandidaten ebenfalls zurückziehen werde, um den Sieg von RN-Kandidaten zu verhindern.
Frankreich-Experten warnten angesichts des Wahlergebnisses vor einer politischen Dauerkrise. „Es konkretisiert sich die Gefahr, dass Frankreich sich in einer Situation ohne parlamentarische Mehrheit wiederfindet“, sagte Jacob Ross von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Die politische Instabilität werde zunehmen, fügte er hinzu.
Es sei auch damit zu rechnen, dass die Autorität des Präsidenten weiter schrumpfen werde, sagte Yann Wernert vom Jacques Delors Centre. „Machtkämpfe zwischen den verschiedenen Parteien dieses Lagers dürften zunehmen“, erklärte er. Macron werde Mühe haben, sich in tagespolitischen Fragen Gehör zu verschaffen. „Auch europapolitisch verliert seine Stimme an Gewicht“, sagte Wernert.
Die Verteilung der 577 Sitze der Nationalversammlung wird sich erst nach der zweiten Wahlrunde klären. Etwa 65 bis 85 Kandidaten dürften in der ersten Runde gewählt sein. Dafür brauchen sie nicht nur die absolute Mehrheit der Stimmen, diese müssen auch einem Viertel der eingeschriebenen Wähler entsprechen.
Für die zweite Runde qualifizieren sich alle Kandidaten, die die Stimmen von mindestens 12,5 Prozent der eingeschriebenen Wähler erhalten haben. Wegen der hohen Wahlbeteiligung sind dies deutlich mehr als bisher. In etwa 300 Wahlkreisen könnten es jeweils drei Kandidaten in die zweite Runde schaffen.
Sollte der RN eine absolute Mehrheit erhalten, dürfte Frankreich zum vierten Mal eine Kohabitation erleben, in der Präsident und Premierminister unterschiedlichen Lagern angehören. Allerdings wären die ideologischen Unterschiede größer denn je zuvor.
Der RN ist mit einem stramm europa- und ausländerfeindlichen Programm angetreten. Die Partei hat zudem massive Wahlgeschenke in Aussicht gestellt, von denen es einige bereits abgemildert hat.
Konkret will die Partei Frankreichs EU-Beitrag verringern, eine Obergrenze für Einwanderung einführen, die Bewegungsfreiheit von Nicht-EU-Ausländern einschränken und Berufsverbote für Franzosen mit doppelter Staatsangehörigkeit auf den Weg bringen. Als eine der ersten Maßnahmen soll die Mehrwertsteuer auf Gas und Treibstoff reduziert werden. Die Abschaffung der Rentenreform soll erst später geschehen.