Der Iran steuert auf eine spannende Stichwahl zu. Die Politik der vergangenen Jahre hat das Vertrauen in die Regierung jedoch zerstört. Kann ein moderater Präsident überhaupt etwas ändern?
Nach einer historisch schlechten Wahlbeteiligung im Iran gehen der moderate Präsidentschaftskandidat Massud Peseschkian und der Hardliner Said Dschalili in eine Stichwahl. Nur etwa 40 Prozent der Wahlberechtigten hätten abgestimmt, sagte Mohsen Eslami, Sprecher der Wahlbehörde, am Samstag in der Hauptstadt Teheran. Der frühere Gesundheitsminister Peseschkian kam demnach auf rund 42,5 Prozent der abgegebenen Stimmen. Dschalili sicherte sich 38,7 Prozent. Irans Parlamentspräsident Mohammed Bagher Ghalibaf sowie der islamische Geistliche Mostafa Purmohammadi sind aus dem Rennen. Die Stichwahl findet am kommenden Freitag statt.
Rund 61 Millionen Wählerinnen und Wähler waren am Freitag aufgerufen, einen neuen Regierungschef zu wählen. Die Wahllokale waren nach mehrmaliger Verlängerung durch das Innenministerium noch bis in die späten Abendstunden geöffnet. Von insgesamt 80 Bewerbern hatte der sogenannte Wächterrat, ein mächtiges islamisches Kontrollgremium, nur sechs als Kandidaten zugelassen. Zwei von ihnen zogen sich zurück.
Die Wahlbehörde zählte insgesamt knapp mehr als 24 Millionen abgegebene Stimmen. Damit liegt die Wahlbeteiligung bei historisch schlechten 40 Prozent. Bei der vergangenen Präsidentenwahl im Jahr 2021 lag sie bei rund 49 Prozent. Den Glauben an große innenpolitische Veränderungen haben die meisten Landesbewohner, vor allem junge Menschen, verloren. Einige Aktivisten, Studierendenorganisationen sowie die inhaftierte Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi hatten vor der Wahl zum Boykott aufgerufen.
Reformkandidat setzte auf bürgerliche Positionen
Peseschkian ist 69 Jahre alt und stammt aus dem Nordwesten Irans. Im Wahlkampf warb der bisher eher unscheinbare Politiker für neues Vertrauen zwischen Regierung und Volk, das nach gescheiterten Reformversuchen, politischer Repression und einer Wirtschaftskrise maßlos enttäuscht ist von der Politik. Peseschkian wurde als einziger moderater Bewerber vom Wächterrat zugelassen. Bis zuletzt hatten Experten darüber debattiert, wie gut seine Chancen überhaupt stehen.
Anfang der 1990er Jahre verlor Peseschkian seine Ehefrau und einen seiner Söhne bei einem Verkehrsunfall. Der Witwer erschien auf seinen Wahlkampfterminen auch mit Tochter und Enkelkind. Wie viele Politiker des Reformlagers forderte er eine Verbesserung der Beziehungen zum Westen.
Im Wahlkampf kritisierte der Politiker die Kopftuchpolitik und warb mit bürgerlichen Positionen für Stimmen. Gleichzeitig bekundete Peseschkian seine Loyalität für Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei, die mächtigen Revolutionsgarden und lobte den Angriff mit Drohnen und Raketen auf Israel. In den TV-Debatten bezeichnete er sich selbst als wertkonservativen Politiker, der Reformen für notwendig hält.
Systemtreuer Kandidat Dschalili nur auf dem zweiten Platz
Der zweitplatzierte Dschalili gehörte früh zum engsten Machtzirkel und arbeitete im Büro des Religionsführers Ajatollah Ali Chamenei. Unter dem umstrittenen früheren Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad war Dschalili Chefunterhändler bei den Atomverhandlungen. Er genießt breite Unterstützung von radikalen und loyalen Systemanhängern.
Der promovierte Politikwissenschaftler kommt aus der nordöstlichen Millionenmetropole und Pilgerstadt Maschhad. Im Iran-Irak-Krieg (1980-88) wurde der erzkonservative Mann an der Front verwundet und verlor einen Teil seines rechten Beins. Nach dem Krieg lehrte er in der Hauptstadt Teheran, bevor er eine Karriere im Außenministerium begann. Dschalili gilt als eiserner Verfechter der Ideologie der Islamischen Revolution im Iran.
Moderate Regierung hätte im Iran nur begrenzten Spielraum
Ein moderater Präsident hätte begrenzte Möglichkeiten, in der Regierung zu gestalten, sagt der Politikwissenschaftler Tareq Sydiq von der Marburger Universität. „Mit einem von Hardlinern dominierten Parlament, mit einem Obersten Religionsführer, der immer wieder signalisiert hat, dass eine zu moderate Politik eigentlich gar nicht erwünscht ist – da würde ich keinen großen Handlungsspielraum erwarten“, erklärt der Iran-Experte. „Das beeinflusst natürlich auch den ansonsten geringen Enthusiasmus für diese Wahl.“ Denn: Ein moderater Präsident dürfte seine Wahlversprechen kaum einhalten können.
Seit Jahren sei der Enthusiasmus für Wahlen gedrückt, sagt der Experte weiter. Er führt vor allem die verheerende Bilanz der vergangenen Regierungen, die Proteste und deren gewaltsame Unterdrückung sowie die politischen Repressionen gegen die Kopftuchverstöße an. „Das alles wird die Stimmung eher drücken, sowohl was politische als auch soziale Rechte angeht“, sagt Sydiq. Die Erwartungen an eine Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Lage durch die Wahl dürften gering sein. Die Stimmung sei vor allem von „Ernüchterung und Hoffnungslosigkeit“ geprägt.
Bekannter Sänger meldet sich zu Wort
Im Wahlkampf debattierten die Kandidaten vor allem über Wege, die enorme Wirtschaftskrise im Land zu bewältigen. Der Iran ist wegen seines umstrittenen Atomprogramms mit internationalen Sanktionen belegt und vom weltweiten Finanzsystem weitgehend abgeschnitten. Das Land benötigt Investitionen in Milliardenhöhe. Daneben diskutierten die Bewerber über innenpolitische Themen, Kulturpolitik und den Umgang mit dem Westen.
Gut 60 Prozent der Wahlberechtigten blieben der Abstimmung fern. Auch der prominente Sänger Scherwin Hadschipur, der für seine Protesthymne „Baraye“ mit einem Grammy ausgezeichnet worden war, wies in den sozialen Medien darauf hin. „Vor allem müssen wir die Stimme derjenigen hören, die nicht zur Wahl gegangen sind“, schrieb er. Im März war der Sänger für seinen Song, der während der Aufstände im Herbst 2022 veröffentlicht wurde, nach eigenen Angaben zu drei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt worden.
Viele junge Menschen, die damals auf die Straßen gegangen waren, lehnen auch Positionen der Reformpolitiker wie Peseschkian ab. Reformen des politischen Systems seien nicht möglich, lautet oft der Vorwurf der Demonstranten, die stattdessen einen Sturz des Islamischen Herrschaftssystems fordern. Irans politisches System vereint seit der Revolution von 1979 republikanische und auch theokratische Züge. Freie Wahlen gibt es jedoch nicht: Das Kontrollgremium des Wächterrats prüft Kandidaten stets auf ihre Eignung.