Ursula von der Leyen ist auf dem Weg in eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin. Doch eine schwierige Abstimmung steht ihr noch bevor.
Ursula von der Leyen hat eine wichtige Hürde für eine weitere Amtszeit als Präsidentin der Europäischen Kommission genommen. Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten stimmten beim EU-Gipfel in Brüssel mit großer Mehrheit den Personalvorschlägen der großen europäischen Parteienfamilien zu. „Ich bin den Staats- und Regierungschefs dankbar, dass sie meine Nominierung für eine zweite Amtszeit unterstützen“, sagte die CDU-Politikerin und frühere Bundesministerin in der Nacht zum Freitag.
Zudem wurde bei dem Gipfel eine strategische Agenda mit den Zielen für die EU für die kommenden Jahre beschlossen und entschieden, den EU-Beitrittsprozess von Georgien wegen des Kurses der Regierung dort vorerst auf Eis zu legen.
Wie es für von der Leyen weitergeht
Bevor von der Leyen ihre zweite Amtszeit antreten kann, muss sie nun noch eine Mehrheit des Europäischen Parlaments hinter sich bringen. Die Abstimmung in Straßburg könnte schon Mitte Juli stattfinden. Von der Leyen kündigte in der Nacht zum Freitag an, in den nächsten Wochen mit unterschiedlichen Parteien und Gruppen reden zu wollen. Wichtig für sie sei, dass diese pro-europäisch, pro-ukrainisch und pro Rechtsstaatlichkeit seien.
Gestützt wird die CDU-Politikerin auf jeden Fall von einem informellen Bündnis mit dem Mitte-Rechts-Bündnis EVP, den Sozialdemokraten und den Liberalen, das theoretisch eine komfortable Mehrheit von etwa 400 der 720 Stimmen hat. Es gilt aber als möglich, dass eine Reihe von Abgeordneten der Deutschen in der geheimen Wahl die Stimme verweigert. Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich trotzdem zuversichtlich, dass von der Leyen gewählt wird. „Die Präsidentin hat ja doch einen ganz guten Ruf im Parlament“, sagte der SPD-Politiker nach dem Treffen.‘
Von der Leyen ist bereits seit 2019 Kommissionspräsidentin und damit Chefin von rund 32.000 Mitarbeitern, die unter anderem Vorschläge für neue EU-Gesetze machen und die Einhaltung der Europäischen Verträge überwachen. Zudem sitzt die aus Niedersachsen stammende Politikerin bei fast allen großen internationalen Gipfeltreffen wie G7 oder G20 als EU-Repräsentantin mit am Tisch.
Das neue EU-Spitzentrio
Im Europäischen Rat war die Vergabe der Spitzenposten dank einer Einigung der großen europäischen Parteienfamilien schon vor Gipfelbeginn so gut wie sicher gewesen. Nächster Ratspräsident wird der frühere portugiesische Regierungschef António Costa. Die estnische Regierungschefin Kaja Kallas ist als EU-Außenbeauftragte vorgesehen.
Costa galt jahrelang als der europäische Vorzeige-Sozialist schlechthin. Er ist Sohn eines bekannten Schriftstellers aus dem indischen Goa und schaffte als Chef einer Minderheitsregierung einen kurz nach der Eurokrise als unmöglich geltenden Spagat: Er lockerte die Sparzügel und erhöhte Sozialausgaben und öffentliche Investitionen, doch gleichzeitig schaffte er es, die Staatsfinanzen zu konsolidieren.
Als der 62 Jahre alte Jurist im vorigen November im Zuge eines Korruptionsskandals als Ministerpräsident von Portugal zurücktrat, schien seine politische Karriere am Ende. Die Ermittler allerdings hatten unsauber gearbeitet, inzwischen heißt es, Costa und weitere Verdächtige hätten sich nichts zuschulden kommen lassen.
Kallas steht seit 2021 als erste Frau in Estlands Geschichte an der Regierungsspitze – und gilt als Verfechterin einer resoluten Haltung des Westens gegenüber Moskau. Mit klarer Kante und unerschütterlichem Beistand für Kiew hat sich die 47-Jährige international einen Namen gemacht – sie wurde schon als „Europas neue eiserne Lady“ tituliert.
Die Juristin hat Politik im Blut: Ihr Vater Siim Kallas war früher Estlands Ministerpräsident und lange Jahre EU-Kommissar. Sie selbst verbrachte vier Jahre in Brüssel – als Europa-Abgeordnete von 2014 bis 2018. Auch als mögliche neue Nato-Generalsekretärin wurde die Liberale gehandelt. Es gab allerdings die Sorge, sie könnte sich künftig ausschließlich auf Russland und den Ukraine-Krieg konzentrieren.
Gereizte Stimmung vor der Nominierung
Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zeigte sich indes erbost über den Nominierungsprozess. Sie kritisierte, dass sie trotz des guten Ergebnisses ihrer Partei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) bei der Europawahl nicht direkt an den Gesprächen über das Personalpaket beteiligt wurde. Der Vorgang sei in seiner Methode und seinem Inhalt falsch, schrieb die rechte Politikerin nach dem Gipfel auf X. Aus Respekt vor den Bürgerinnen und Bürgern könne sie dieses Verfahren nicht unterstützen.
Auch Ungarns Regierungschef Viktor Orbán wetterte dagegen. Beim Gipfel versuchten mehrere Regierungschefs, die Wogen zu glätten und erklärten, dass es nicht darum gegangen sei, jemanden auszugrenzen.
Die Zustimmung der beiden Länder wurde aber auch nicht benötigt, da keine Einstimmigkeit erforderlich war. Es mussten lediglich mindestens 20 EU-Staaten zustimmen, die gleichzeitig mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Scholz verteidigte die Absprache der großen Parteienfamilien: Der Europäische Rat habe einen Vorschlag machen müssen, der im Parlament auch eine Mehrheit finden könne.
Was die EU in den nächsten fünf Jahren vorhat
Neben den Personalien beschloss der Gipfel über eine neue strategische Agenda, dass die EU in militärischen Belangen unabhängiger werden und ihre Rüstungsindustrie stärken soll. Um die EU effizient vor Bedrohungen aus Ländern wie China oder Russland schützen zu können, braucht es nach Schätzungen der Europäischen Kommission im nächsten Jahrzehnt zusätzliche Investitionen in Höhe von rund 500 Milliarden Euro.
Deutschland und Frankreich wollten eigentlich noch mehrere Änderungen in den Text einbringen, konnten sich aber nicht durchsetzen. Scholz kritisierte die Agenda als zu wenig ambitioniert. Unter anderem bei den Themen Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz habe sich Deutschland mehr vorstellen können. Nicht akzeptiert habe er gemeinsame Schulden zur Rüstungsfinanzierung und die Refinanzierung nationaler Verteidigungshaushalte aus dem Budget der Europäischen Union, betonte der Kanzler.