Am neuen Staatsangehörigkeitsrecht gibt es Kritik: Es benachteilige Menschen mit Behinderungen. Wie konnte es dazu kommen?
Anfang Dezember, die Wiesen waren mit Schnee bedeckt, fand eine „Nicht-Einbürgerungszeremonie“ vor dem Bundestag statt. Mehrere Organisationen, die sich für Menschen mit Behinderungen einsetzen, fürchteten: Ein neues Staatsangehörigkeitsrecht, das zu der Zeit im Parlament verhandelt wurde, könnte Menschen mit Behinderungen bei der Einbürgerung diskriminieren. Ihr Aufruf: Diese Gruppe bei der Neuregelung nicht zu „vergessen“.
Am Donnerstag nun ist das neue Staatsangehörigkeitsrecht in Kraft getreten – und die Regelung kam genauso, wie von den Organisationen befürchtet. Nach wie vor kann nur eingebürgert werden, wer – neben anderen Voraussetzungen – auch seinen Lebensunterhalt selbst sichern kann. Nach der alten Rechtslage gab es eine Ausnahme für diejenigen, die eine solche Situation nicht selbst zu verantworten hatten. Ein wichtiger Zusatz nicht nur für pflegende Angehörige, sondern auch für Menschen mit Behinderungen. Diese Ausnahme gibt es mit der neuen Regelung nun nicht mehr.
Für Sophia Eckert vom Verein „Handicap International“ ist der Fall klar: „Das neue Gesetz stellt Menschen mit Behinderung entgegen verfassungs- und völkerrechtlicher Vorgaben schlechter“, sagte sie dem stern. Die Betroffenen müssen nun den Weg über einen Härtefallantrag gehen. Dadurch gibt es allerdings keinen Anspruch auf Einbürgerung, sondern die Entscheidung liegt allein im Ermessen der lokalen Behörde. „Das ist keine Gleichbehandlung von Menschen mit und ohne Behinderung“, kritisiert Eckert.
Kritik Staatsangehörigkeitsrecht Behinderung 06.42
Das ist ein harter Vorwurf – doch auch der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen äußerte sich im stern ähnlich. Wie also konnte es zu dieser Schlechterstellung kommen?
Menschen mit Behinderungen wurden nicht einfach „vergessen“, wie es die Organisationen im Dezember formuliert hatten. „Während der Verhandlungen über das Gesetz wurde dieser Aspekt sehr ausführlich diskutiert“, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Dirk Wiese, dem stern. Wohl auch, weil Expertinnen und Experten dieses Detail schon damals an der Neuregelung kritisierten. In einer Anhörung des Innenausschusses im Dezember sagte etwa die Rechtswissenschaftlerin Sina Fontana von der Universität Augsburg, die „Verschärfung beim Lebensunterhalt“ sei verfassungsrechtlich hochproblematisch.
Einbürgerung: „In der Koalition war dies leider nicht durchsetzbar“
Und trotzdem kam es so. Die Grünen suchen die Schuld bei den Ampel-Kollegen, sowohl bei SPD als auch bei FDP. „Diese Regelung wurde auf Druck unserer Koalitionspartner gestrichen“, sagte Filiz Polat, Fachpolitikerin für Migration, dem stern. „Der Anspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit wird nun stärker von einer wirtschaftlichen Integration abhängen“, so die Grüne, die das Gesetz mitverhandelt hat. Das könne etwa Rentenbezieher treffen, Menschen mit einer Krankheit oder einer Behinderung, und auch Alleinerziehende, die wegen Kinderbetreuung nicht oder nur in Teilzeit erwerbstätig sein können.
Bei der SPD weist man diesen Vorwurf von sich: „Die SPD-Fraktion hätte sich bei der Anspruchseinbürgerung weitere Ausnahmen bei der Lebensunterhaltssicherung für Menschen mit Behinderungen, Alleinerziehende oder Studierende gewünscht“, sagte Wiese. „In der Koalition war dies leider nicht durchsetzbar“ – und weist damit auf die FDP.
Dem Vernehmen nach tat sich die FDP damit schwer, die Mehrstaatigkeit zu erlauben – also dass Menschen nun neben der deutschen auch ihre ausländische Staatsangehörigkeit behalten können. Und hat im Gegenzug darauf gedrängt, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu einem klaren Kriterium für die Einbürgerung zu machen.
Buschmann: Einbürgerung erleichtert für die, „die von ihrer eigenen Hände Arbeit leben“
In der Tat äußerte sich Justizminister Marco Buschmann am Donnerstag in der „Welt“ mit einer „klaren Botschaft“: Deutschland mache die Einbürgerung für diejenigen „leichter, die von ihrer eigenen Hände Arbeit leben“, sagte der FDP-Politiker. „Wer aber Sozialleistungen wie Bürgergeld oder Grundsicherung bezieht, darf im Regelfall nicht eingebürgert werden.“
Es fügt sich ein in ein Bild, das man in der letzten Zeit gewinnt: Die Ampel sieht sich in der Migrations- und in der Sozialpolitik unter Druck. Die Haushaltslage ist schwierig, die Lage auf dem Arbeitsmarkt angespannt, Migration ist für viele Wählerinnen und Wähler ein wichtiges Thema. So kündigt der Kanzler etwa an, das Bürgergeld „treffsicherer“ zu machen und die Sanktionen für die im Bürgergeld, die der Schwarzarbeit überführt werden, zu verschärfen. Auch will die Bundesregierung Ausländer schneller ausweisen, die Terrortaten billigen. Und die FDP will das Bürgergeld für geflohene Ukrainer streichen.
Sophia Eckert von „Handicap International“ sorgen diese Entwicklungen und die konkrete Verschärfung im Staatsbürgerschaftsrecht: „Die Politik sendet ein gefährliches Signal“, sagte sie. „Wir händigen Pässe nur an Menschen aus, die voll erwerbsfähig sind, ohne Rücksicht darauf, ob die mangelnde Erwerbsfähigkeit von der Person selbst verschuldet wurde.“ Leichtfertig nehme die Ampel dabei die Schlechterstellung von Menschen mit Behinderung in Kauf – obwohl diese ein Recht auf Gleichbehandlung und auf gesellschaftliche Teilhabe hätten. „Das muss uns alle besorgen.“