Vor einem Jahr flog unser Kolumnist über seinen Lenker. Nun strampelt er sich zurück ins Wildwest des Stadtverkehrs.
Als begeisterter Gucker der Neowestern-Serie „Yellowstone“ (eine Art Schwarzwaldklinik für Truck-Stop-Fans) weiß ich: Ein Cowboy, der gestürzt ist, muss schnell zurück auf den Rücken des Pferdes. In meinem Falle ist es der Drahtesel, mit dem ich durch das sommerliche Hamburg (mehr als 17 Grad, kein Regen) radle. Traumatherapie. „Schnell“ ist relativ, da mein Fahrradunfall ziemlich genau ein Jahr her ist. Dazwischen lagen ein wenig Reha und eine Urlaubsreise, und dann war das Wetter schon wieder zu schlecht, um nicht das Auto zu nehmen. Jetzt aber gleite ich lässig auf meinem neuen Hollandrad in Windsor Blue über die Straße, genieße die Leichtigkeit des Nicht-motorisiert-Seins.
So wie an einem Sonntag vor einem Jahr. Damals sollte mich das Zweirad nur von Café zu Café tragen, während ich in einem leichten Sommeranzug lässig monacofranzte. Ich weiß nicht mehr, welcher Spasmus mich aus dem Tritt brachte, und ich wünschte, es hätte einen spektakulären Grund gegeben, der mich zu Fall brachte. Die Wahrheit ist: Ich brachte das Rad verhängnisvoll zum Schlingern, machte eine Rolle vorn über den Lenker und brach mir den Ellenbogen. Klar hätte ich auch früher wieder zurück auf den Sattel gekonnt. Allerdings fehlte mir die mentale Stärke, bei nasskalt-windigen sechs Grad auf das Rad zu steigen, um neben überspannten DHL-Van-Fahrern und halb blinden Opel-Vectra-Kapitänen die Hauptstraße in den Tod zu nehmen. Gummierter Poncho ist nicht mein Ding, und der Satz „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung“ löst bei mir weniger Erkenntnis als puren Ekel aus.
Autofahrer versus Radler
Da ist es im beheizten Pkw schon schöner. Von hier aus blickte ich mitleidig auf die tapferen Figuren, die sich durch die graue Suppe quälen, stets von unachtsamen Rechtsabbiegern bedroht. Wie unglaublich ich es hasse, als Rechtsabbieger an Problemkreuzungen zu warten und zigmal Schulter- und Außenspiegelblick zu üben, bis auch der letzte Radfahrer vorbei ist – nur, damit irgendein Idiot im Wagen hinter mir hupt, auf dass ich doch bitte fahren möge. Logo. Da nehme ich doch gern einen Rennradler beim Abbiegen auf der Motorhaube mit, weil es dem Jürgen hinter mir nicht schnell genug geht. Solche Vorgänge sieht man regelmäßig dokumentiert von Radbloggern, deren Aufgabe es zu sein scheint, mit einer GoPro auf dem Helm über die Radwege der Stadt zu pflastern, bis ihnen zum Beweis ihres Märtyrerdaseins ein Kfz die Vorfahrt nimmt. Leider muss der Biker-Jesus nie lange auf seine Kreuz(ig)ung warten.PAIDFahrradland Deutschland 14.00
Die andere Kategorie bilden jene, die auf dem Rad sämtliche Verkehrsregeln ignorieren und über rote Ampeln donnern, weil sie durch den nicht vorhandenen CO2-Abdruck zu besseren Menschen geworden sind. Zugegeben: Die Leichtigkeit des Radlerseins verführt zum eleganten Umfahren der StVO. Eine gewisse Form der Autonomie stellt sich ein, nun nicht mehr eingeklemmt zwischen anderen Alu-Boxen und rollenden Tiny Houses vor der nächsten roten Ampel zu stehen. Fluchend, weil die Straßen in Hamburg immer enger und die Radwege immer breiter werden. Und da sitze ich nun, habe mir in einem netten, kleinen Fachgeschäft namens „Bikings“ dieses neue Rad gekauft. Sind Radläden in Sachen Namensgebung die neuen Frisiersalons? „Radhaus“? „Speichenlecker“? „Wo ein Velo, da ein Weg“? Ich gleite durch die sommerliche City. Ich bin leicht, ich bin frei. Und für die zwei Wochen, in denen in dieser Stadt Sommer ist, bin ich sogar: ein besserer Mensch.
Veni, vidi, velo.