EM-Experten im Vergleich : Mit den Zweien sieht man besser

Die Gruppenphase der Euro 2024 ist zu Ende gegangen, die Achtelfinal-Paarungen stehen fest, ein guter Zeitpunkt für ein Zwischenfazit in puncto Experten: Mertesacker + Kramer oder Schweinsteiger + X, welche Formel geht besser auf?

Medial sei das ein Glücksfall gewesen, konstatierte Christoph Kramer vor zwei Jahren in Micky Beisenherz‘ Podcast „Apokalypse & Filterkaffee“. Die Rede ist natürlich von seinem Zusammenstoß mit dem Argentinier Ezequiel Garay in der 17. Spielminute des WM-Endspiels 2014. „Wenn ich diese Geschichte nicht erlebt hätte, dann wäre ich heute zum Beispiel kein ZDF-Experte“, so Kramer weiter. „Schiri, ist das das Finale?“, hatte der schädelbrummende Gladbacher den Referee gefragt, der daraufhin die einzig richtige Entscheidung traf und Kramers Auswechslung anregte.

Von jedweden Auswechslungen ist der 32-Jährige in diesen Tagen kaum bedroht, im Gegenteil: Der Mann hat eine Stammplatz-Garantie und das ist auch gut so. Zudem hat er die nicht alleine, seit 2018 ist Kramer dabei, 2020 stieß Mertesacker zur ZDF-Mannschaft. Waren die beiden schon in den vergangenen Jahren ein zuverlässiges Team, spielen sie diesmal, passend zur Heim-EM, noch ein ganzes Stück unterhaltsamer auf, agieren als Tiki-Taka-Tandem der verbalen Volte. 

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Elder Statesman Per Mertesacker und Jungspund Christoph Kramer

Dabei sind die Rollen einigermaßen klar verteilt. Mertesacker, allein schon stimmlich mit der Extraportion sonorer Gravitas ausgestattet, ist mehr der Elder Statesman of TV-Expertentum. Der auch dann noch ruhig bleibt, wenn er bei einer Wette live im Studio sein gutes Jackett verliert oder er sich für vermeintlich aus der Zeit gefallene Termini rechtfertigen muss. Kramer dagegen agiert jungspundiger, wortreicher, emotionaler. Egal, ob Southgate, Dönergate oder Flitzergate, mit Ballflachhalten hat Kramer nichts am Hut. Der Mann weiß, wer mit 5er-Kette agiert und wie man die zweiten Bälle wegfischt, wie tief eine Sechs stehen muss und wie man die hohen Töne bei der Nationalhymne trifft.

Im direkten Vergleich also kein leichter Stand für deren ARD-Pendant Bastian Schweinsteiger im Ersten, der mal mit Alexander Bommes, dann wieder mit Esther Sedlaczek für die einstimmende Expertise sorgt. Zugegeben, nach einiger Kritik in den letzten Jahren – Stichwort Allgemeinplätzchen in Tateinheit mit dezenter Schläfrigkeit – zeigt sich der ewige Schweini deutlich formverbessert. Seine Analysen sind um einiges kompakter und treffsicherer. Sein Teamwork mit Bommes dabei oft um Ausgleich bemüht, jenes mit Sedlaczek zuweilen von leicht pieksigen, flirty Untertönen befeuert, die zumeist für eine Extraportion Würze sorgen. 

Dennoch die Frage, ob man Schweinsteiger einen Gefallen tut, indem man ihn, statt auf einem kommoden Studiosofa, grundsätzlich an der Seitenlinie positioniert. Wenn man sieht, wie er die Spieler, vor allem die deutschen natürlich, beim Warmmachen beobachtet, wie sehnsüchtig ein heranrollender Ball aufgenommen wird oder wie feierlich am Anstoßpunkt innegehalten wird, dann wird doch unmissverständlich klar: Der Mann würde viel lieber ins Trikot schlüpfen und mitbuffen, statt im schmucken Knitwear-Polo „nur“ dabei zu sein und nicht mittendrin. Vielleicht wäre ja auch ein fester Partner eine Bereicherung, nichts geht über ein gut eingespieltes Duo. Statler und Waldorf. Ernie und Bert. Mertesacker und Kramer. Warum nicht mal Schweini und Poldi?

Jochen Breyer zu Spielermaterial 15.25

„Per, ist das das Finale?“

„Die Mannschaft ist der Star“, so lautete das Vogts-Mantra bei der Euro 1996, das gilt für die diesjährigen EM-Experten nur bedingt. Die Achse Mertesacker/Kramer ist nicht zu toppen, ist das Lennon/McCartney, das Starsky & Hutch, das Beckenbauer/Pelé im Kosmos der Kenner. Auf den Plätzen folgen der mitterweile fast unantastbare Lothar Matthäus mit oldschooliger Präzision. Die erstklassige Almuth Schult, die auch nach diversen Nuss-Schnäpsen im „Zeigler&Köster“-Podcast noch ihren unwiderstehlichen Mix aus Charme und Präzision verströmt. Und Michael Ballack, der nach einigen Jahren Anlaufzeit mitterweile fast so selbstverständlich in die Expertenrolle schlüpft, wie in seine Schuhe ohne Schnürsenkel. 

Da in diesem Jahr die ARD mit der Übertragung des EM-Endspiels dran ist, können Per Mertesacker und Christoph Kramer das Spiel also privat von der Tribüne aus genießen. Möglicherweise heißt es dann nach zwei, drei gepflegten Stadion-Bieren: „Per, ist das das Finale?“