EM 2024: Zweite Chance für den Leichtfuß

Ein Innenverteidiger gesperrt, ein anderer verletzt. Bundestrainer Nagelsmann muss die Abwehr umbauen und setzt dabei auf Nico Schlotterbeck – der bereits als gescheitert galt in der DFB-Auswahl.

Nico Schlotterbeck hatte nur eine halbe Stunde gespielt gegen die Schweiz, doch durch die Mixed Zone des Frankfurter Stadions schritt er wie ein Staatsmann. „Ich rede erst nach dem Finale“, rief er den Journalisten zu und ging dann gemessenen Schrittes Richtung Umkleidekabine. 

Ein erstaunlicher Satz für einen Ersatzspieler der deutschen Nationalmannschaft. Was steckte nicht alles in diesen wenigen Worten? Die Zuversicht, dass es die Deutschen bis ins EM-Endspiel in Berlin schaffen werden. Das 1:1 gegen die Schweiz am Sonntagabend hatte den Sieg in der Gruppe A gebracht. Es war ein mühsam erkämpftes Remis, für Schlotterbeck jedoch Anlass genug, groß zu denken. An den Titel nämlich.

„Ich rede erst nach dem Finale“, darin lag auch eine bemerkenswerte Gravitas verborgen. Ein Schlotterbeck spricht nur, wenn Geschichte geschrieben wird – so ließ sich der Satz auch deuten. Ein Vorrundenspiel ist ein paar Nummern zu klein, da sollen andere sprechen. Bitte um Verständnis.

Nico Schlotterbeck als Ersatzmann für gesperrten Tah 

Stolz und Selbstvertrauen sind nie ein Problem von Nico Schlotterbeck gewesen. Er wird viel davon gebrauchen können, denn am Samstag wird Schlotterbeck, 24, sehr wahrscheinlich in die erste Elf von Bundestrainer Julian Nagelsmann aufrücken. Schlotterbeck soll Jonathan Tah in der Abwehr ersetzen, der nach zwei Gelben Karten gesperrt ist. Zudem leidet Antonio Rüdiger, der zweite Innenverteidiger, unter einer Oberschenkelzerrung (zugezogen beim Jubel über das Ausgleichstor von Niclas Füllkrug gegen die Schweiz). 

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Einen der womöglich zwei frei werdenden Plätze in der Startaufstellung wird Schlotterbeck bekommen. Denn der Bundestrainer hatte in den zurückliegenden Wochen immer wieder betont, wie wichtig ihm das sogenannte Momentum eines Spielers ist. Also Tagesform, Erfolgserlebnisse, bestenfalls sogar Titelgewinne. 

Schlüsselspieler bei Borussia Dortmund

Schlotterbeck hat zwar keine Pokale oder Schalen in die Höhe stemmen können in der vergangenen Saison, wohl aber hat er überzeugende Statistiken zu bieten. Bei Borussia Dortmund ist er einer der Schlüsselspieler gewesen in der zweiten Saisonhälfte. Gemeinsam mit Mats Hummels bildete er eines der besten Innenverteidiger-Duos Europas. Dortmund zog ins Finale der Champions League ein, dominierte gegen Real Madrid eine Stunde lang die Partie und musste sich erst spät 0:2 geschlagen geben. 

Schlotterbecks bester Auftritt war jedoch nicht das Endspiel im Wembley, sondern das Halbfinale gegen Paris Saint-Germain. In beiden Spielen ließ Dortmund keinen Gegentreffer zu, obwohl Paris in Kylian Mbappé den wohl weltbesten Stürmer aufgeboten hatte. Eine Meisterleistung der Abwehrchefs Hummels und Schlotterbeck.
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Die entging auch Bundestrainer Julian Nagelsmann nicht. Im Mai berief Nagelsmann Schlotterbeck in den Kader für die Europameisterschaft; Hummels aber, den strategisch Begabteren, aber athletisch Schwächeren ließ er unberücksichtigt. 

Für Schlotterbeck bedeutet die EM-Teilnahme eine zweite Chance im Nationalteam. Erst im vergangenen Sommer war er ausgemustert worden. Sein letztes Spiel war auch das letzte von Hansi Flick als Bundestrainer. Nach der 1:4-Niederlage gegen Japan in Wolfsburg wurde Flick entlassen. Schlotterbeck hatte abermals enttäuscht und war nach einer Stunde ausgewechselt worden.

Schlotterbeck und die Nationalmannschaft – das ist bislang keine Glücksbeziehung gewesen. Im März 2022 debütierte er im Testspiel gegen Israel und verursachte gleich einen Elfmeter. Im November, im ersten WM-Gruppenspiel gegen Japan, ließ er in der 83. Minute den Stürmer Takuna Asano leichtfertig entwischen, der dann das Siegtor zum 2:1 erzielte. Diese Niederlage bedeutete für die Deutschen das WM-Aus bereits nach der Vorrunde. 

Bewährungschance im EM-Achtelfinale

Nun also bekommt Schlotterbeck im EM-Achtelfinale eine Bewährungschance. Die Partie findet in Dortmund statt, ein Heimspiel für Schlotterbeck, der vor zwei Jahren für 20 Millionen Euro vom SC Freiburg zum BVB gewechselt war. Womöglich wird Schlotterbeck am Samstag an der Seite von Waldemar Anton, 27, verteidigen, sollte Antonio Rüdiger ausfallen. Dies wäre die Premiere für das Duo Schlotterbeck/Anton, aber schon jetzt lässt sich sagen, dass dieses Doppel eine Zukunft haben wird im deutschen Fußball: Vor zwei Tagen wurde bekannt, dass Anton den VfB Stuttgart verlässt und zu Borussia Dortmund zu wechselt. 

Dort soll er Mats Hummels ersetzen.