Crypto-Markt: Jetzt verkauft Deutschland seine Bitcoin-Milliarden

Sächsische Behörden haben über drei Milliarden Euro in Bitcoins sichergestellt. Nun scheint der Verkauf der Crypto-Währung begonnen zu haben. Das hat auch Auswirkungen auf den Bitcoin-Kurs.

Seit Anfang dieses Jahres ist der deutsche Staat ein Wal. So nennen Crypto-Nerds Großbesitzer von Bitcoins. Deutschland ist einer der vermögendsten unter ihnen, seitdem sächsische Ermittler im Januar Bitcoins im Wert von über drei Milliarden Euro sicherstellten. Nun haben die Behörden damit begonnen, diese Bitcoins wieder zu verkaufen.

Die Metapher mit dem Wal geht so weiter: Wenn Wale sich bewegen, schlägt das hohe Wellen. Und so wird es wohl auch Wellen schlagen, wenn die deutschen Behörden nun Bitcoins in Milliardenhöhe auf den Markt werfen.

Auf dem Bitcoin-Konto des Bundeskriminalamts lassen sich die Transaktionen nachvollziehen: Am Montag flossen je 200 Bitcoins an die Crypto-Plattformen Coinbase und Kraken, vergangene Woche schon einmal 500 Bitcoins an deren Konkurrenten Bitstamp. Der Handel mit Bitcoins funktioniert in etwa wie der am Aktienmarkt: Die digitale Währung kann wie ein Wertpapier problemlos an einen neuen Besitzer weiterverkauft werden. Die Plattformen übernehmen dabei eine Vermittlerfunktion.

Bitcoins in Verfahren gegen illegale Streamer sichergestellt

Insgesamt liegen nun knapp 2700 Bitcoins weniger auf dem Konto der deutschen Behörde – aber dafür über 150 Millionen Euro mehr. Was steckt hinter den Überweisungen? Und wie kamen die deutschen Behörden überhaupt an ihr digitales Milliarden-Vermögen?

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Die Geschichte des deutschen Bitcoin-Reichtums beginnt in einer anderen Ära des Internets. Bevor Streamingdienste wie Netflix nach Deutschland kamen, schauten Millionen Deutsche Filme und Serien in illegalen Streams. Eine der erfolgreichsten Plattformen: Movie2k. Die Erlöse aus Werbung und Abofallen legte die Betreiber der Plattform damals in Bitcoin an.

Möglicher Deal mit der Staatsanwaltschaft: Bitcoins gegen Freiheit

Ende Mai 2023 gelingt Ermittlern des sächsischen Landeskriminalamts ein Coup: Der Hauptbetreiber der Plattform wird im Ausland festgenommen. Bis Mitte Januar sitzt er in Untersuchungshaft, dann wird der 40-Jährige plötzlich entlassen. Offenbar Ergebnis eines Deals mit der Generalstaatsanwaltschaft Dresden. Der Cyberkriminelle überweist den deutschen Behörden freiwillig sein Bitcoin-Vermögen. Heutiger Wert: Über 3 Milliarden Euro. Es war die bisher umfangreichste Sicherstellung von Bitcoins in Deutschland. Der Tauschhandel: Bitcoins gegen Freiheit. 

Freiheit zumindest bis zu einer Verurteilung: Im April erhob die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft Anklage gegen den Movie2k-Betreiber. Ihm werden 220.000 Urheberrechtsverstöße und Geldwäsche vorgeworfen. Das Verfahren hat noch nicht begonnen.

Schon in der Vergangenheit hatten die Dresdner Staatsanwälte Flexibilität gezeigt, wenn das der Sicherstellung von Bitcoins diente. Dem stern liegt ein Urteil aus dem Jahr 2022 gegen einen weiteren ehemaligen Betreiber von Movie2k vor. Auch er kam wenige Tage nach der Übergabe seiner Bitcoins im Wert von 25 Millionen Euro frei. Die Generalstaatsanwaltschaft setzte sich daraufhin vor Gericht für eine geringe Bewährungsstrafe ein.

Nun beginnt der Ausverkauf der deutschen Bitcoins

Auf ein mildes Urteil darf auch der Hauptbetreiber von Movie2k hoffen, nicht aber auf Rückgabe seiner Bitcoins. Offenbar werden diese gerade häppchenweise verkauft. Das Bundeskriminalamt teilte mit, die Entscheidung über Verkäufe treffe die zuständige Staatsanwaltschaft. Im Fall Movie2k ist das: die Generalstaatsanwaltschaft Dresden.

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Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft wollte sich auf Anfrage des sterns nicht äußern. Weder dazu, ob die Verkäufe gerichtlich angeordnet wurden, noch, in welchem Zeitrahmen die verbleibenden Bitcoins verkauft werden sollen. Dass die sächsische Behörde dazu schweigt, ist bemerkenswert: Schließlich geht es im Movie2k-Verfahren um Milliarden Euro, die womöglich der Staatskasse zufließen könnten.

Die Erlöse dürften nach Sachsen fließen

Vom Bundeskriminalamt heißt es, Erlöse sichergestellter Kryptowährung kämen grundsätzlich dem Fiskus jenes Bundeslandes zugute, in dem das verhandelnde Gericht seinen Sitz hat. Da die Staatsanwaltschaft vor dem Landgericht Leipzig Anklage erhoben hat, wäre das somit der Freistaat Sachsen.

Sollte der Verkauf der Bitcoins tatsächlich zu Erlösen von über drei Milliarden Euro führen, könnte Sachsen damit beispielsweise die Hälfte seiner Landesschulden tilgen. Damit hätte sich die Arbeit der sächsischen Ermittler für ihren Dienstherren wohl gelohnt.

Der Bitcoin-Markt reagiert auf die Verkäufe empfindlich

Für Bitcoin-Anleger dürften die Transaktionen aus Sachsen allerdings weniger erfreulich sein. Denn die würden schon jetzt den Kurs drücken, sagt Vincent Gramlich vom Fraunhofer Blockchain-Labor. 

Das liege zum einen an den bereits durchgeführten Transaktionen, durch die es ein erhöhtes Angebot auf dem Kryptomarkt gebe. Denn so funktioniert der Markt: Werden bei gleichbleibender Nachfrage mehr Bitcoins zum Verkauf angeboten, fällt der Preis. Zum anderen, und dieser Effekt sei stärker, hätten die Verkäufe eine Signalwirkung für andere Anleger. Die müssen davon ausgehen, dass bald Bitcoins im Wert von drei Milliarden Euro auf dem Markt landen und der Kurs somit weiter sinkt.

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Um sich vor Verlusten zu schützen, würden deshalb einige Investoren ihre Bitcoins schon jetzt abstoßen. „Der Bitcoinmarkt ist stärker emotionsgetrieben als Aktienmärkte“, sagt Gramlich, „und reagiert deshalb besonders sensibel auf Nachrichten wie die aus Sachsen.“

Natürlich ist der deutsche Staat kein Spekulant. Doch durch die Sicherstellung der Bitcoin-Milliarden ist er zu einem wichtigen Faktor am Crypto-Markt geworden, den Anleger derzeit genauestens beobachten. Von den Verkäufen profitiert aber am Ende voraussichtlich vor allem ein Akteur: der Freistaat Sachsen, der auf eine Finanzspritze hoffen darf.