Das japanische Kaiserpaar in Großbritannien: Zwei Monarchen in der Krise suchen die Nähe zueinander.
Ein Tennō auf Reisen, das galt lange Zeit als selten und ungewöhnlich. Das japanische Kaiserpaar Naruhito I. und Masako kommt nun innerhalb von nur zwei Jahren nach dem Begräbnis der Queen zum zweiten Mal nach Großbritannien.
Auf dem Programm stehen neben einem Empfang mit militärischen Ehren eine Kutschfahrt sowie Besuche in Museen und in einem biomedizinischen Forschungszentrum Londons, danach Staatsbankett mit offiziösen Reden. Am dritten Tag wird Kaiser Naruhito Schloss Windsor aufsuchen, um einen Kranz am Grab von Elizabeth II. niederzulegen und eine Würdigung vornehmen. Wie man hört, war dies sein ganz persönlicher Wunsch, viel mehr als bloß Protokoll.
Staatsbesuch der Japaner in Großbritannien als Ausdruck von Zuneigung und Solidarität
Das japanische Kaiserpaar begibt sich selten auf Staatsbesuche und hat seine Auslandsreisen nach der Corona-Pandemie dezent dosiert. Das liegt vielleicht auch an dem kuriosen Umstand, dass der Tennō nicht offiziell das Staatsoberhaupt ist, sondern vielmehr ein verfassungsmäßig anerkannter Staatsmythos. Der Besuch in Großbritannien ist erst der zweite offizielle seit seiner Thronbesteigung im Jahr 2019. Im vergangenen Jahr beehrte er immerhin Indonesien.
Nun zeigt sich der „Himmlische Herrscher“ von einer leutseligen Seite – was vermutlich weniger eine Nachricht an die britischen Gastgeber ist, als an die 9000 Kilometer entfernte japanische Bevölkerung, die immer weniger kaisertreu gelaunt ist. Naruhitos Vater Akihito war der allererste in seinem Amt, der überhaupt größere Auslandsreisen unternahm, 1972 als erster Kaiser nach Europa, 1975 folgte ein Besuch in den USA. Von politischer Bedeutung war vor allem die erste Reise nach China, das lange Zeit als Erbfeind galt und wo japanische Eroberer grauenvolle Massaker verübten. Dem britischen König haben die kaiserlichen Majestäten voraus, dass sie sich für die Verbrechen ihres Landes entschuldigt haben. Mehr als seinen „tiefen Kummer über die Untaten“ in der Ära des Kolonialismus lässt man Charles nicht sagen, obwohl er das gerne gewollt hätte.
Der Besuch in Großbritannien ist auch 2024 ein besonderer Akt, doch ganz anders: Als würde sich da eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen zwei recht unterschiedlichen konstitutionellen Herrscherhäusern anbahnen, die gleichzeitig einiges gemeinsam haben. Japan gilt als älteste Erbmonarchie der Welt, Kaiser Naruhito ist der 126. Monarch des südostasiatischen Inselreichs, als sein mythischer Vorfahr Jimmo 660 vor der Zeitenwende den Thron bestieg, siedelten auf den britischen Inseln gerade mal ein paar Keltenstämme, über die wir nur durch Aufzeichnungen griechischer Seefahrer wissen. Die Vorfahren des Königs Charles III. aus dem Haus der Welfen waren noch über 1000 Jahre von ihrer ersten urkundlichen Erwähnung entfernt. Englands Monarchie beginnt 1700 nach der japanischen mit dem normannischen William I, genannt dem Eroberer.
König Charles III. sitzt auf dem St. Edward’s Chair, auch bekannt als Krönungsstuhl, und wird vom Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, bei der Krönungszeremonie in der Westminster Abbey in London mit der St. Edward’s Crown gekrönt.
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Beide Monarchen sind nicht bloß oberste Repräsentanten zweier Industrienationen, in denen die Moderne auf teils merkwürdige Traditionen trifft, gleichzeitig walten sie als nominelle Anführer ihrer angestammten Religionen. Nahurito sitzt seit fünf Jahren auf dem Chrysanthementhron, Charles wurde vor anderthalb Jahren gekrönt. Beide stehen vor der schwierigen Aufgabe, ihre Systeme in die Postmoderne zu retten.
Komplizierte Vorfahren mit mieser Geschichte
Was sie eint, sind komplizierte Verwandtschaftsverhältnisse. Nahuritos Großvater war Herrscher im faschistischen Japan, hatte als schüchterner 20-Jähriger die Regentschaft übernommen und musste die Folgen eines dramatischen Erdbebens meistern, in dem 96.000 Gebäude zerstört und 99.000 Menschen getötet worden waren. Unter seiner Regentschaft beging Japan schreckliche Kriegsverbrechen, kämpfte an der Seite von Mussolinis Italien und Hitlers Deutschland im Weltkrieg, an dessen Ende die beiden Atombomben-Katastrophen standen. Es darf als Rätsel gelten, dass die Siegermächte den Tennō nicht zum Teufel jagten, sondern bloß seinen göttlichen Status einkassierten.
Krönungsfeierlichkeiten des japanischen Kaiserpaares sond mythisch aufgeladen und voller Symbolik: Über den Thron, des Kaisers Kostüm, die Haare der Kaiserin und freudige „Banzai“-Schreie.
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Die „Windsors“, wie sich das in Großbritannien regierende Haus der Hannovers seit 1917 aus bekannten Gründen nannte, gehört zu den brutalsten Kolonialmächten der Geschichte. Im zweiten Weltkrieg war man zwar auf der richtigen Seite der Geschichte gestanden, aber auch bloß aus Zufall. Der für knapp ein Jahr als König Edward VIII. amtierende Großonkel von Charles hatte mit den gar nicht mal so unbedeutenden Faschisten Englands angebandelt, flirtete mit Hitler, und heiratete nicht nur eine bürgerliche, sondern auch mit den Nationalsozialisten eng verstrickte Frau. Nach einer Abdankung träumte der Schandfleck des Hauses davon, nach einem etwaigen Sieg Hitlers, auf den Thron zurückzukehren.
Tradition und Volksnähe
Nahurito und Charles folgen beide auf historische Persönlichkeiten, die Kraft ihrer menschlichen Größe Maßstäbe gesetzt haben. Alt-Kaiser Akihito war es gelungen, seinem Amt eine neue Würde durch Bescheidenheit und Volksnähe zu verleihen, wofür gleichermaßen Königin Elisabeth II. stand. Trotz ihrer Volksnähe waren sich beide ihres Standes und ihrer jeweiligen Tradition wohlbewusst.
Die Söhne übernahmen ihr Amt in fortgeschrittenem Alter. Die Unterschiede sind dennoch groß: Charles ist offiziell Oberhaupt von Staat und anglikanischer Kirche, Nahurito nur Symbol, spirituell im Sinne des Shintoismus, wie auch für die Einheit der japanischen Staatlichkeit. Beider Vorfahren, nur ein Jahrhundert zuvor, herrschten noch kaiserlich ganz real über Weltreiche. So wie die 2022 verstorbene Queen hat der heute 90-jährige emeritierte Tennō im hohen Alter einen moralischen Status eingenommen, beide gelten als historische Persönlichkeiten, die aufgrund ihrer menschlichen Qualitäten den Übergang ihrer Institutionen in ein neues Zeitalter zu bewältigen wussten. Ihre jeweiligen Nachfolger profitieren davon, hadern gleichzeitig damit.
Eigenbrötlerei und Weltläufigkeit
Dass Nahurito nach Großbritannien strebt, hat biografische Gründe. Als erster Kaiser schloss er ein Studium ab, und dies in Oxford, wo er als Kronprinz gerne Radtouren unternahm und Pubs besuchte. Trotzdem eint beide, dass sie trotz aller demonstrativen, imperialen wie royalen Bodenständigkeit sowie professionell gepflegter Social Media-Auftritte und aufrichtiger Eigenbrötlerei mit dem Volkstümlichen fremdeln.
Beider Herrscher Ehegattinnen sind bürgerlich – und wurden lange Zeit von der Boulevardpresse malträtiert. Masako, die eingeheiratete Diplomatentochter, erkrankte darunter psychisch wie körperlich, Camilla, Tochter eines Offiziers und Kriegsveteranen, wurde als Gegenspielerin der romantisierten Prinzessin Diana öffentlich angefeindet.
Uralte Insignien, neue Intrigen
Wie grotesk zuweilen die Spannungen zwischen Tradition und Gegenwart ausfallen, bewiesen die Akte der Inthronisierungen beider. Hier der Salbungsakt von Charles hinter Paravents, wo der der Monarch nicht nur gelobt, sich an die Gesetze zu halten, Gerechtigkeit walten zu lassen, die protestantisch-reformierte Konfession zu bewahren und die Kirche von England als Institution zu schützen, sondern auch vom Himmel entsandt wird. Beim Tennō sind selbst die drei wichtigsten Herrschaftsinsignien geheim und von göttlicher Herkunft. Ob die Herren selbst daran glauben, ist ungewiss.
Der Tennō und seine Gattin kommen während des aktuellen britischen Wahlkampfs und der Fußball-Europameisterschaft angereist. Das Kaiserpaar trifft zudem auf einen krebskranken britischen König, sowie eine krebskranke Kronprinzessin. Es wurde spekuliert, ob der Staatsbesuch angesichts der Umstände verschoben werden könnte. Wird es nicht. Was bleibt ihnen auch, außer Kontinuität?