Im Wahlkampf trat der ultraliberale Staatschef mit laufender Kettensäge auf. Zum Auftakt seines Deutschlandbesuches zeigt er sich in Hamburg eher zurückhaltend. Am Sonntag trifft er den Kanzler.
Der Exzentriker hält sich zurück: Zum Auftakt seines Besuches in Deutschland ist Argentiniens ultraliberaler Präsident Javier Milei in Hamburg mit einer Medaille der Friedrich August v. Hayek-Gesellschaft geehrt worden. Der für spontane und polemische Äußerungen bekannte Milei verzichtete in seiner Rede auf jeden Bezug zu Deutschland und schilderte in erster Linie sein Verständnis von Politik.
Seine rund 200 Zuhörer in Hamburg – darunter die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch und der Vorsitzende der rechtskonservativen Werteunion, Hans-Georg Maaßen – jubelten Milei zu. Immer wieder riefen sie in Sprechchören „Libertad“ (Freiheit). Am Sonntag wird der argentinische Präsident, der sich selbst als „Anarchokapitalisten“ bezeichnet, von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Berliner Kanzleramt empfangen.
Mit der Auszeichnung würdigte die Hayek-Gesellschaft das Programm Mileis, der Argentinien im Sinne Hayeks, des österreichischen Vordenkers des Neoliberalismus, reformieren will. „Sie bringen den Kapitalismus aus der Defensive“, sagte der Vorsitzende der Gesellschaft, Stefan Kooths, in seiner Laudatio. Er verglich Mileis Politik mit einer Chemotherapie. „Die Nebenwirkungen sind heftig“, sagte der Kieler Wirtschaftswissenschaftler. Aber ohne eine solche Therapie wäre Argentinien am Ende.
Kritiker werfen der Hayek-Gesellschaft vor, sich nicht eindeutig von rechtspopulistischen Strömungen abzugrenzen. So verlieh der Verein etwa 2023 seinen Netzwerkpreis an das Schweizer Webradio Kontrafunk und 2022 an den Blog „Achse des Guten“ – beide Medien werden im Spektrum der politischen Rechten verortet. Unabhängig von der Hayek-Gesellschaft agiert die 1999 auf Initiative des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog gegründete Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung, die sich am Freitag ausdrücklich von der Hayek-Gesellschaft abgrenzte.
„Nein zu Milei in Hamburg“
Vor dem Veranstaltungsort demonstrierten mehrere hundert Menschen unter dem Motto „Nein zu Milei in Hamburg“. Im Demonstrationsaufruf hieß es, Mileis Regierung privatisiere öffentliche Unternehmen wie den Ölkonzern YPF oder die Fluglinie Aerolíneas Argentinas. Er kürze die Ausgaben im Bildungsbereich, erleichtere die Entlassung von Arbeitern und schränke die Demonstrationsfreiheit ein. Unter den Demonstranten waren zahlreiche Lateinamerikaner.
Die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas steckt in einer Rezession und leidet unter einem aufgeblähten Staatsapparat, geringer Produktivität der Industrie und einer großen Schattenwirtschaft, die dem Staat viele Steuereinnahmen entzieht. Der ultraliberale Präsident will das Land mit einem radikalen Sparprogramm wieder auf Kurs bringen.
Milei verwies in seiner Rede auf erste Erfolge. Erstmals seit langem sei der argentinische Staatshaushalt ausgeglichen und die Inflation gehe deutlich zurück. Die Zahlen seien beeindruckend, doch die Entwicklung habe ihren Preis für die Menschen in seinem Land, so der Präsident. „Aber wir haben es den Leuten immer gesagt, wenn wir es (die Reform) machen, wird es gute Ergebnisse geben.“
Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 2,8 Prozent im laufenden Jahr. Nach Angaben der Katholischen Universität Argentiniens leben knapp 56 Prozent der Menschen in Argentinien unter der Armutsgrenze und rund 18 Prozent in extremer Armut.
„Ich war der einzige Gladiator“
Der Präsident beschrieb in seiner Rede seinen intellektuellen Werdegang zum Anhänger der sogenannten Österreichischen Schule, zu denen neben Hayek (1899-1992) auch Ludwig von Mises (1881-1973) zählt. Durch die Lehren des US-Ökonomen Murray Rothbard (1926-1995) sei er zum „Anarchokapitalisten“ geworden. Seinen Aufstieg zum erfolgreichen Politiker erklärte er mit seinem Mut, liberale Wirtschaftsideen als einziger in Medien und Fernsehtalkshows vertreten zu haben. „Ich war der einzige Gladiator.“ Milei war im November vergangenen Jahres im zweiten Wahlgang mit mehr als 55 Prozent der Stimmen gewählt worden.
Während der Corona-Pandemie, als die Maßnahmen die Bevölkerung seines Landes besonders hart trafen, hätten vor allem junge Leute angefangen, sich mit seinen Ideen zu beschäftigen, sagte Milei. Er habe Bücher in Videos vorgestellt und versucht, die Beiträge so attraktiv wie ein Rolling-Stones-Konzert zu machen. Zweimal erwähnte er lobend seine jüngere Schwester Karina Milei, die seine Generalsekretärin ist und ihn begleitete. Sie gilt als eigentliche Strippenzieherin der Regierung in Buenos Aires – Milei nennt sie „El Jefe“ (Boss).