Im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Polizei verändere sich gerade etwas, schreibt der stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz. Bröckelt der Respekt?
Ich habe lange in den USA wohnen dürfen, und oft vermisse ich das Leben dort. Was ich nicht vermisse: das Gefühl, wenn man einem amerikanischen Ordnungshüter begegnete. Alle waren dann sehr angespannt: die Polizisten, meist hochgerüstet, zum Schutz gegen die vielen Waffen in privatem Besitz. Und ich, weil ich mich sorgte, mit vorgehaltener Pistole in Handschellen gelegt zu werden (was mir auch einmal widerfuhr, als ich mit dem Auto wie auf der Autobahn unterwegs war). Natürlich müssen andere deutlich stärker vor derlei Begegnungen zittern, etwa Angehörige von Minderheiten. Viele schwarze Amerikaner haben irgendwann „the talk“ mit ihren Kindern, wie man sich gegenüber der Polizei verhält, um nicht sein Leben zu riskieren.
Der Hintergrund des großen Polizei-Reports
Daher macht es mich froh, wie selbstverständlich in Deutschland Polizisten nicht als Bedrohung, sondern im besten Fall als Freunde und Helfer wahrgenommen werden. Gewiss, es gibt Ausnahmen, und „Nicht-Biodeutsche“ machen Erfahrungen, von denen ich verschont bleibe. Doch ich spürte immer eher gegenseitigen Respekt als Angst voreinander. Bröckelt dieser Respekt, wie Angriffe auf Polizisten zeigen, aber auch manche Reaktionen auf den Tod des Polizisten Rouven Laur in Mannheim? Auch der stern hat sich nicht mit Ruhm bekleckert. Wir veröffentlichten einen Kommentar, der nicht in der Absicht, aber in Zeitpunkt, Diktion und Argumentation schlicht unsensibel war, was uns leidtut.
Nicht deswegen haben wir aber einen Polizei-Report auf das Cover gehoben. Sondern weil sich gerade etwas verändert, wie unser Titelautor Stefan Schmitz schreibt: „In der Uniform steckt eben immer ein Mensch. Das klingt banal, ist es aber nicht. Denn der Polizeibeamte war in Deutschland lange vor allem Träger staatlicher Gewalt. Eine Amtsperson, in der nur aus rein praktischen Gründen Blut zirkulierte. So begegnete die Obrigkeit den Untertanen. Erst als die Bundesrepublik Ende der 60er-Jahre erwachsen wurde, hat sich das wirklich geändert. Und heute? Da ist die Polizei – über 350.000 Männer und Frauen – der Prellbock einer Gesellschaft, in der vom Nahostkonflikt bis zum Ukrainekrieg alles präsent ist, in der gesoffen und gepöbelt wird, in der Gewalt zum Alltag von sehr vielen Menschen gehört – und in der die Polizei ächzt: unter Überlastung, Überstunden, Spät- oder Frühdiensten.“
STERN PAID 26_24 Titel Polizei
Ein stern-Preis, der Diskussionen auslöst
Auch beim stern-Preis (ehemals Nannen Preis) 2024 gewann eine Arbeit über die Polizei die Auszeichnung in der Kategorie „Lokal“, sie ging an Thumilan Selvakumaran vom „Haller Tagblatt“. Eine Seniorin war tot in ihrer Wohnung gefunden worden, das Telefonkabel zerschnitten, es fehlte Geld. Trotz solcher Indizien ging die Polizei von einem Unfall aus. Wochen später wurde ein Serientäter gefasst, der alte Menschen als Opfer ausgewählt hatte, die Polizei erkannte ihren Fehler, doch schwieg dazu – bis die Recherchen das Schweigen unmöglich machten. Schließlich musste sich der Polizeipräsident öffentlich entschuldigen. Als Selvakumaran den Preis annahm, betonte er seinen Respekt vor Polizisten, die ihr Leben für unsere Sicherheit riskierten. Doch manche Beamte machten grobe Fehler, bewusst oder unbewusst: „Da müssen Journalisten genau hinschauen und berichten.“
Die Auszeichnung für die Recherche der „Süddeutschen Zeitung“ zur Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger als „Geschichte des Jahres“ löste Diskussionen aus. Nicht der stern verleiht diese Preise, sondern 40 Jurymitglieder. Über die „Geschichte des Jahres“ befindet der neunköpfige Beirat des Preises, mit Journalistinnen und Journalisten aus vielen Medien, auch vom stern. Nach langer und intensiver Diskussion kam der Beirat zu dem Schluss, es handle sich hier „um hervorragenden Journalismus, der Debatten auslöst und aufdeckt, worüber mächtige Politiker lieber schweigen möchten“. Darüber kann man streiten. Was nicht zu bestreiten ist: Beim stern-Preis gab es auch in diesem Jahr ausgezeichnete Kolleginnen und Kollegen zu feiern.