Flugzeugbau: US-Politiker zerlegen Boeing-Chef bei Anhörung im Senat

Die Abstürze von zwei Maschinen des Typs 737 Max in den Jahren 2018 und 2019 verfolgen Boeing noch immer. Konzernchef Dave Calhoun bekommt das bei einer Anhörung zu spüren.

Boeing-Chef Dave Calhoun hat die Hinterbliebenen von Opfern der beiden Abstürze von Flugzeugen des Typs 737 Max in den Jahren 2018 und 2019 um Entschuldigung gebeten. Dies geschah bei einer Anhörung im US-Senat am Dienstag. Bei den Unglücken waren 346 Menschen ums Leben gekommen.

„Ich bitte um Entschuldigung für das Leid, das wir zugefügt haben“, sagte Calhoun an mehrere im Saal anwesende Hinterbliebene gewandt. Boeing lege im Gedenken an die Opfer einen verstärkten Fokus auf Sicherheit.

Die Unglücke mit Maschinen des Typs 737 Max 8 der indonesischen Lion Air und der Ethiopian Airlines wurden von Problemen mit einer Assistenzsoftware ausgelöst. Das System mit dem Namen MCAS sollte die Piloten bei der Steuerung des Flugzeugs in einigen Situationen unterstützen. In den beiden Fällen wurden diese jedoch von einem deutlichen und fehlerhaften Eingreifen der Software überrascht.

Boeing-Chef Calhoun: „Sind verantwortlich für diese Abstürze“

Boeing hatte seinerzeit eingeräumt, dass der Konzern die US-Luftfahrtaufsicht FAA nicht korrekt über das Ausmaß des benötigten Piloten-Trainings für den Betrieb der Software informiert hatte. Calhoun bekräftigte nun: „MCAS und Boeing sind verantwortlich für diese Abstürze.“ Nach dem zweiten Unglück blieben 737-Max-Flugzeuge fast zwei Jahre am Boden, bis Änderungen an dem System vorgenommen wurden.

Die Anhörung im Senats-Unterausschuss für Ermittlungen war einberufen worden, weil Boeing aktuell wieder unter akutem Druck steht, die Qualitätskontrollen zu verbessern. Auslöser war ein Beinahe-Unglück einer so gut wie neuen Maschine des Typs Boeing 737-9 Max Anfang Januar. STERN PAID Flugangst 14.33

Bei dem Flug der Fluggesellschaft Alaska Airlines mit mehr als 170 Menschen an Bord brach damals kurz nach dem Start ein Rumpfteil heraus. Die Unfallermittlungsbehörde NTSB geht davon aus, dass an dem herausgebrochenen Teil Befestigungsbolzen fehlten. Boeing konnte den Ermittlern keine Dokumentation zu Arbeiten an dem Fragment liefern.

Whistleblower wirft Boeing Produktionsfehler vor

„Alaska war ein Produktionsfehler“, sagte Calhoun dazu. Das sei aber auch der einzige ihm bekannte Fall unter den jüngsten Pannen in der US-Luftfahrt, der auf die Fertigung und nicht die spätere Wartung zurückgehe, betonte er. In den vergangenen Monaten waren Boeing-Maschinen verschiedener Fluggesellschaften in den Schlagzeilen. Eine verlor etwa ein Rad beim Start, eine andere landete mit einer abgerissenen Klappe am Rumpf.

In dem Unterausschuss hatte vor Kurzem unter anderem auch ein Boeing-Whistleblower ausgesagt, der dem Konzern Produktionsfehler bei dem Modell 787 Dreamliner vorwirft. Boeing weist die Vorwürfe zurück. Calhoun äußerte sich nicht zu einzelnen Kritikpunkten, sagte aber, dass nicht alle Warnungen sich als zutreffend erwiesen hätten.

Jumbojet Boeing 747 12.19

Berichte, wonach ein Whistleblower früher bei Boeing verfolgt worden sei, nannte der Manager „herzzerreißend“. Dies sei aber lange vor seiner Zeit gewesen. Calhoun steht seit Anfang 2020 an der Boeing-Spitze und verlässt den Posten zum Jahresende. Ein Nachfolger wurde bisher nicht vorgestellt.

Heftige Kritik von Senatoren an Boeing-Chef

So einfach aber wollte der US-Senat den Boeing-Chef nicht von der Leine lassen. „Sie verdienen 32,8 Millionen Dollar in diesem Jahr, 45 Prozent mehr als im Vorjahr. Wofür bekommen Sie das viele Geld eigentlich“, wollte Josh Hawley, republikanischer Senator aus Missouri, von Calhoun wissen. Dieser reagierte irritiert auf die Frage, antwortete nur, dass er der Chef von Boeing sei. Ob denn zu seinen Aufgaben auch die Themen Transparenz, Sicherheit und Qualität gehören, wollte Hawley wissen – um Calhoun nach dessen Antworten Fakten um die Ohren zu hauen. 

Mechaniker hätten Seife statt Schmiermittel genutzt; gegen Boeing würden mehrere Verfahren des Justizministeriums laufen; die Firma habe auch nicht die von der FAA vorgeschlagenen Sicherheitsvorkehrungen nach den beiden Abstürzen eingeführt; es gebe zudem immer weniger Sicherheitsinspektionen. „Ich glaube, Sie legen keinerlei Wert auf Transparenz, Sicherheit und Qualität“, warf Hawley dem Boeing-Chef vor. Calhouns Augenmerk liege auf dem, wofür er eingestellt wurde: Kosten zu sparen, Sicherheitsvorkehrungen zu minimieren, Stellen zu kürzen, um jeden möglichen „Penny als Profit aus dieser Firma zu ziehen“. 

Neue Ermittlungen bei Boeing 7:25

Boeing sei eine der größten amerikanischen Firmen, und er würde diese ausbeuten, erklärte Hawley. „Glauben Sie nicht, dass Ihre Prioritäten etwas verschoben sind?“, fragte Hawley provokativ. Es sei an der Zeit, wieder qualitativ hochwertige Flugzeuge zu bauen und die Arbeiter vernünftig zu bezahlen, forderte der Senator. „Das Unternehmen Boeing, das Sie so beschreiben, sehe ich nicht“, antwortete ein perplexer Calhoun – nur um sich die nächste Breitseite einzufangen. „Ist das Ihr Ernst? Sie sehen nicht die Boeing-Flieger, die vom Himmel fallen mit zwei Abstürzen und Teilen, die von Flugzeugen abbrechen?“, erwiderte Hawley. Die Realität sei, dass Boeing-Ingenieure, die teils als Whistleblower die Probleme des Konzern öffentlich gemacht hatten, nicht beachtet und stattdessen bedroht würden. 

Er sei stolz auf die Leistungen bei Boeing und die Sicherheitsmaßnahmen, die man treffen würde, entgegnete Boeing-Chef Calhoun. „Und das sagen Sie hier vor den Leuten, die ihre Geliebten verloren haben“, antwortete ein fassungsloser Hawley. Unmittelbar hinter dem Boeing-Chef hielten Angehörige die Bilder von Opfern der Boeing-Abstürze in die Höhe. „Es ist ein Hohn, dass Sie Ihren Job noch haben“, erklärte der US-Senator. 

Auch bei anderen Fragen machte Calhoun keine glückliche Figur. Gleich mehrere Fragen zu Schadensersatzzahlungen von Richard Blumenthal, dem demokratischen Vorsitzenden des Ausschusses, konnte Calhoun nicht beantworten. „Sie sagen als Chef des Unternehmens, dass Sie keine Ahnung davon haben. Finden Sie das okay?“, fragte Blumentahl rhetorisch. Die Antwort Calhouns ging in einem Nuscheln unter.