Nach einem Tipp auf ein Netzwerk von 100 deutschen Briefkastenfirmen warten Drogenfahnder schon, als eine von ihnen Fracht aus Südamerika erhält. Vergeblich. Doch bald wendet sich das Blatt.
Der bislang größte Schlag deutscher Ermittler gegen den organisierten Kokainhandel geht auf einen Tipp der kolumbianischen Behörden zurück. Kontaktbeamte in Kolumbien hätten auf ein Firmen-Netzwerk eines 43-jährigen deutschen Geschäftsmanns in Wachtberg im Rhein-Sieg-Kreis bei Köln hingewiesen, berichteten Vertreter von Staatsanwaltschaft, Zoll und Polizei am Montag in Düsseldorf. Insgesamt seien dadurch 35,5 Tonnen Kokain im Straßenverkaufswert von 2,6 Milliarden Euro beschlagnahmt worden.
Der Geschäftsmann soll 100 Scheinfirmen gegründet haben, um Drogenimporten eine legale Fassade zu verleihen. Die Ermittler der Zentralstelle für Organisierte Kriminalität bei der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft riefen das Ermittlungsverfahren „OP Plexus“ ins Leben, benannt nach dem medizinischen Begriff für Netzwerk.
Kernseife für Mannheim
Bald erwartet eine der Netzwerk-Firmen in Mannheim eine Lieferung Kernseife aus Südamerika. Die deutschen Drogenfahnder sind alarmiert. Doch der Container und viele weitere sind „sauber“, also nur mit legaler Fracht befüllt.
Die Drogenfahnder kennen das schon. Sie haben Geduld und nach den ersten Testballons, die die Drogenhändler schicken, ist es am 28. April 2023 so weit: 1,35 Tonnen Kokain werden aus einem Container im Hamburger Hafen geholt. Viele weitere Funde folgen. Insgesamt werden rund 90 Container kontrolliert. Allein im Hamburger Hafen landen die Fahnder sieben Treffer. Tino Igelmann, Leiter des Zollkriminalamtes des Bundes, bilanziert am Montag einen „nie da gewesenen Erfolg“.
Kinnhaken für Drogenbosse
„Den Ermittlern ist ein Coup gelungen. Das war ein präziser Kinnhaken, der den Drogenbossen wehtut“, sagt auch NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne). Er spricht sogar vom größten Kokainfund auf europäischem Boden.
Neun von zehn Seecontainern können gestoppt werden, berichten die Drogenfahnder. Nur bei einem kommen sie zu spät: „Die Fracht war bereits gelöscht“. Insgesamt kommen durch die Ermittlungen im Hamburger Hafen im vergangenen Jahr fast 25 Tonnen Kokain zusammen, in Rotterdam weitere acht Tonnen und in Ecuador fast drei Tonnen. Die Container kamen dabei nicht alle direkt aus Kolumbien, sondern aus Paraguay, Costa Rica, Suriname und Ecuador.
Vor wenigen Tagen schlagen die Ermittler dann zu: Bei Durchsuchungen in sieben Bundesländern kommt es zu sieben Festnahmen. In Nordrhein-Westfalen, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen und Niedersachsen waren Beamte zu der Razzia ausgeschwärmt.
Goldbarren beschlagnahmt
Die Ermittler beschlagnahmen dabei fünf Goldbarren, eine scharfe Pistole, eine Schreckschusswaffe, Mobiltelefone, Laptops, 23.000 Euro Bargeld und einen Sportwagen der Marke Porsche im Wert von 250.000 Euro.
Acht Verdächtige im Alter von 30 bis 54 Jahren sollen hinter dem Schmuggel stecken. Gegen sieben von ihnen werden Haftbefehle vollstreckt. Kopf der Gruppe soll ein Türke sein. Den Verdächtigen drohen nun bis zu 15 Jahre Haft.
GPS-Peilsender im Kokain versteckt
Das Kokain war da bereits längst aus Sicherheitsgründen in einer Müllverbrennungsanlage bei Stuttgart in Rauch aufgegangen: „Im Kokain sind GPS-Tracker versteckt. Die Schmuggler wissen, wo ihr Stoff ist“, verriet einer der Fahnder am Montag.
Dennoch: Die Sicherstellung der Rekordmenge habe sich in Deutschland auf den Straßenverkaufspreis nicht spürbar ausgewirkt und auch keine Versorgungslücken verursacht, sagen die Fahnder. Der deutsche Markt wird bereits seit einiger Zeit mit Kokain überschwemmt. Insgesamt habe sich die Menge des sichergestellten Rauschgifts zwischen 2018 und 2023 versiebenfacht, hatte das Bundeskriminalamt mitgeteilt.
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