Am 13. Juni 1999 wurden die stern-Reporter Gabriel Grüner, Volker Krämer und ihr Übersetzer Senol Alit im Kosovo ermordet. Bei der Feierstunde vor Ort zeigt sich: Ihr Schicksal hallt nicht nur bei den Angehörigen und in der Redaktion des stern nach – sondern auch vor Ort.
Das Gedenken steht auf einem neuen Fundament. Hier am Dulje-Pass im Kosovo, wo an diesem Donnerstag vor 25 Jahren, am 13. Juni 1999, die beiden stern-Reporter Gabriel Grüner und Volker Krämer gemeinsam mit ihrem Übersetzer Senol Alit ermordet wurden, erinnert erst einmal kaum noch etwas an die brutale Tat von damals.
Lastwagen donnern vorbei, das Kosovo von heute mit seinen frisch geteerten Straßen und rasch hochgezogenen Neubauten hat nur noch wenig mit der kriegsgebeutelten Region von damals gemein.
STERN PAID Classic Mörder stern-Journalisten 12.27
Der Gedenkstein aber erinnert daran, und er wird es weiter tun. Gemeinsam mit der Deutschen Botschaft in Pristina ließ der stern die Gedenkstätte renovieren, darauf auch das Zitat von Bert Brecht:
Der Regen
kehrt nicht zurück nach oben
wenn die Wunde
nicht mehr schmerzt
schmerzt nicht die Narben
Ein neues Fundament für den Gedenkstein. Und im übertragenen Sinn eben auch: ein neues Fundament für das Gedenken.
Aus dem tragischen Ereignis ist eine Freundschaft erwachsen
25 Jahre nach der Tat kamen gemeinsam mit dem stern die Angehörigen der Ermordeten in den Kosovo: Wolfgang und Peter Grüner, die beiden Brüder von Gabriel Grüner, Jo Krämer, die Witwe von Volker Krämer und Lucie, seine Tochter. Sie legten Blumen nieder, Worte des Trostes und vor allem der Anerkennung wurden gesprochen, und einmal mehr wurde klar: Aus dem tragischen Ereignis ist etwas Positives erwachsen: eine tiefe Bindung der Angehörigen und Freunde zu den Menschen der Region.
Der Gedenkstein am Dulje-Pass auf neuem Sockel
© Uli Reinhardt
Das tragische Ereignis: Es war der erste Tag des Friedens nach dem Krieg im Kosovo. Die serbischen Truppen zogen ab, auch über den Dulje-Pass im Süden des Landes. Gabriel Grüner, Volker Krämer und Selon Alit fuhren mit ihrem Auto den Pass hoch, oben aber staute ein abziehender serbischer Konvoi den Verkehr.
Zuvor hatte dort auch ein russischer Söldner seinen eigenen Wagen zu Schrott gefahren. Er näherte sich dem von Alit, es kam zu einem Wortgefecht, dann schoss der Söldner mit seiner Kalaschnikow in den Wagen, aus Hass, Frustation, vielleicht auch schlicht, um dann mit deren Auto weiterfahren zu können.
Auch nach 25 Jahren ist der Schmerz noch immer da: Lucy und Jo Krämer, im Hintergrund im blauen Anzug Botschafter Jörn Rohde
© Uli Reinhardt
Krämer und Alit starben am Unglücksort, Grüner wenige Stunden später in einem britischen Militärlazarett. Über viele Monate hinweg recherchierte ein stern-Team den Tathergang. Das Oberlandesgericht Hamburg erließ daraufhin einen Haftbefehl gegen den mutmaßlichen Mörder aus Russland – doch die Justiz dort verweigerte die Zusammenarbeit. Zu einer Verurteilung kam es nie.
All das wurde an diesem Tag noch einmal vor Ort ins Bewusstsein gerufen. Aus Pristina war der deutsche Botschafter Jörn Rohde angereist. „Die Narben, die ihr Tod hinterlassen hat, bestehen bis heute und über den heutigen Tag hinaus“, sagte Rohde über die Ermordeten. „Das Gedenken ist zugleich Auftrag an uns im Hier und Jetzt und für die Zukunft: Gewalt gilt es stets zu verhindern.“
Stern-Auslandsressortleiter Marc Goergen bei der zentralen Feierstunde in der Bibliothek von Suha Reka
© Uli Reinhardt
Bei der Feierstunde in der nächstgelegenen Stadt Suha Reka wurde an diesem Tag dann klar: Dieses Gedenken geht weiter über die Angehörigen hinaus – die Menschen in Suha Reka fühlen bis heute mit, mehrere hundert kamen in die Bibliothek der Stadt. Seit vielen Jahren schon besteht eine Partnerschaft zwischen Suha Reka und der baden-württembergischen Stadt Fellbach. Gabriel Grüners Freund und Kollege Uli Reinhardt ist jedes Jahr zum Gedenken vor Ort – auch seinem Engagement ist die enge Bande zwischen der Region, dem stern und den Angehörigen zu verdanken.
Lucy und Jo Krämer, Peter Grüner und Uli Reinhardt am Dulje Pass
© Marc Goergen
„Für mich sind sie Helden des Kosovo“, sagt Bürgermeister Bali Muharremaj. Ihr Wille, Zeugnis zu geben, zu berichten, das sei für ihn gleichbedeutend mit dem Opfer jener, die gekämpft hätten.
Wer waren die drei, die hier starben?
Da ist Gabriel Grüner, der Reporter. Beatrix Gerstberger, seine Freundin, sie war im sechsten Monat schwanger, als er starb, schrieb vor einigen Jahren, dass Grüner, der immer wieder als Reporter in die Kriege zog, nie Kriegsreporter genannt werden wollte.
Gabriel Grüner wollte keinen Reporterruhm
Es sei ihm nicht ums Schreiben gegangen, sondern um die Menschen, über die er schrieb. Und es sei ihm nahe gegangen. „Du kommst als Reporter rein, schreibst einen Bericht, fliegst wieder raus, was die Menschen, über die Du berichtest, nicht können. Hier geht die Welt normal weiter, da ist mir bewusst geworden, wie zynisch und absurd diese Welt ist.“
Gabriel Grüner (l.), Reporter im stern-Auslandsressort und stern-Fotograf Volker Krämer
© Harald Schmitt
Da ist Volker Krämer, der Fotograf. Er war 56, als er starb, er hatte da schon 30 Jahre als Fotograf für den stern gearbeitet. Bekannt gemacht hatten ihn seine Bilder vom Ende des Prager Frühlings 1968. Eines seiner berührendsten Fotos zeigt junge Tschechen, die einen Lastwagen erklommen haben, man sieht Fahnen, einer hat Blut auf der Wange. Aber vor allem sieht man diesen Willen und die Freude in ihren Gesichtern, all die Hoffnung, die kurz darauf zunichte gemacht wird.
„Er war ein kleiner, quirliger Mann mit hellwachen Augen“, sagt stern-Reporter Joachim Rienhardt, der ihn kannte, „mit viel Witz und trotz der jahrzehntelangen Berufserfahrung kein Haudegen, sondern ein sensibler Mensch voller Reporter-Neugier und Mitgefühl für die Menschen, über die er berichtete.“
Fahrer Senol Alit
© Eligio Paoni
Und da ist Senol Alit, ihr Übersetzer. Er war erst 26, als er starb. In seinem Auto waren die drei unterwegs. Nach der Leiche von Senol Alit suchte man einen ganzen Tag lang. Man fand sie schließlich in der Nähe des Tatorts, auf dem Sattel des Dulje-Passes, auf einer Böschung.
„Überwältigende Intensität des Gedenkens“
Jo Krämer, die Witwe von Volker Krämer ist inzwischen 77. Sie war schon mehrere Mal zum Gedenken im Kosovo – doch jedes Mal, sagt sie, spüre sie hier etwas Besonderes, die „überwältigende Ernsthaftigkeit und Intensität des Gedenkens. Es berührt mich, dass die Menschen hier noch immer daran denken, an Reporter aus der Ferne, die sie nicht kannten. Das macht einen selbst sehr klein“