Neue Staffel: Die Psychologie hinter dem Mega-Erfolg von „Bridgerton“

Netflix feiert Rekorde mit „Bridgerton“, am 13. Juni erscheint die dritte Staffel. Warum die Hit-Serie alle Rekorde sprengt und wir die süße Welt des britischen Adels gerade jetzt so dringend brauchen.

„Diese Szene ist alles“ oder „In den letzten fünf Tagen habe ich nichts anderes gemacht, als die carriage-scene endlos immer wieder anzuschauen“. In sozialen Medien wie Tiktok lesen sich die Kommentare der Fans der Netflix-Serie „Bridgerton“ wie Bekenntnisse von Abhängigen in einer Selbsthilfe-Gruppe. Das Historien-Spektakel aus der Feder von Shonda Rhimes ist schon jetzt eine der meistgestreamten Serien aller Zeiten auf Netflix. Laut dem Streamingdienst wurde die erste Hälfte der dritten Staffel bereits 82 Millionen Mal angeschaut und führt weiterhin die Charts an. Doch damit nicht genug, am 13. Juni folgt noch Teil zwei und damit die letzten vier Folgen der aktuellen Staffel. Der internationale Massen-Exodus in die schöne Welt der Londoner High-Society des 19. Jahrhunderts hält also an. Die Serie trifft den Nerv der Zeit. Aber warum?

Diese Knutsch-Szene in „Bridgerton“ begeistert die Fans

Könnte die letzte Szene der vierten Folge wie ein Song auf Spotify gerankt werden, sie würde die Hitliste anführen. Denn in dieser #carriagescene oder auf Deutsch „Kutschen-Szene“ finden die Hauptfiguren endlich geistig und körperlich zusammen, die Details werden von den Fans Sequenz für Sequenz besprochen, wie ein Mantra und so, als ob es nichts Wichtigeres in diesen Tagen gebe. Dabei sind die gesellschaftlichen Probleme offensichtlich. Vom Rechtsruck bei der Europa-Wahl über die schwächelnde deutsche Wirtschaft bis zum Klimawandel. Nichts von dem findet in der ästhetisierten Darstellung des Lebens in „Brigderton“ einen Widerhall. Und das ist der Punkt.

Bridgerton Staffel 3 FS 19:26

„Bridgerton ist bester Eskapismus, die Serie steht für Dramatik, aber auch für Sicherheit und Verlässlichkeit. Außerdem kennen die Zuschauer die Protagonisten der Serie inzwischen schon seit Jahren. Sie sind ihnen vertraut wie echte Freunde, die man am Abend wieder sieht“, erklärt die Psychologin Birgit Langebartels, Leiterin des Forschungsbereichs Gender und Generation am Rheingold-Institut. Als Eskapismus beschreibt man in der Medienpsychologie die Flucht vor der Realität in die Kunst, Literatur oder eben in Film- und Serienwelten. Bereits 1962 befanden die Forscher Elihu Katz und David Foulkes in einem Artikel über Massenmedien, dass die Nutzer mit ihrem Medienkonsum bestimmte Bedürfnisse befriedigen wollen und sie damit auf der Suche nach Lösungen für ihre Probleme sind. 

„Bridgerton wirkt wie eine Komplexitätsreduktion der realen Welt“

Je dichter ein Szenario, je schlüssiger die mediale Welt konzipiert ist, umso besser. Tatsächlich trifft dies auf „Bridgerton“ in geradezu idealerweise zu. Die Merkmale: eine bedeutungsschwere Garderobe aller Figuren der Serie, die zeitliche Begrenzung der Handlung durch die kurze Epoche Regency (1811 bis 1830), die starren gesellschaftlichen Regeln, bei denen es einzig darum geht, einen Partner fürs Leben zu finden und wenn man sie doch bricht, nicht dabei erwischt zu werden.

„Bridgerton wirkt wie eine Komplexitätsreduktion der realen Welt, alle Sorgen, die wir im echten Leben erleben, spielen dort keine Rolle. Es gibt keine Krisen, keine Kriege, keine wirtschaftlichen Sorgen, keinen Klimawandel und zudem finden wir eine diverse Gesellschaft vor“, so die Psychologin Langebartels. 

„Bridgerton“ zeigt Fans eine Utopie

Demnach hat ein Lord im Rollstuhl wie in Staffel 3 gleich große Chancen auf dem Heiratsmarkt wie seine körperlich makellosen Mitbewerber, seine Einschränkung wird nicht einmal thematisiert. Gleiches gilt für Hautfarben, Minderheiten, auch für den nicht schlanken Körper der Hauptfigur „Penelope Featherington“. Man erlebt eine diverse Gesellschaft, die in der Realität so nicht existiert, aber von vielen als Utopie erlebt wird.

STERN PAID 47_23 Kostümbildnerin Ellen Mirojnick

Bei Untersuchungen würde das Forschungsinstitut bei den Befragten neuerdings einen Rückzug ins „private Schneckenhaus“ verzeichnen, bei der die äußere Welt als Bedrohung wahrgenommen würde. „Vor der Pandemie lebten wir in dem Gefühl unser Leben selbst bestimmen zu können, diese Kontrolle haben wir verloren und damit die Sicherheit, selbst etwas ausrichten zu können“, so Langebartels. Durch die Serie können sich die Zuschauer von der realen Welt abtrennen. Und je mehr sie das tun, bestehe darin auch die Gefahr der Alltagsuntauglichkeit. Denn eskapistisches Verhalten hat laut Psychologen positive wie negative Seiten. Einige Menschen können darüber tatsächlich den Kontakt zur Realität verlieren. Die Wissenschaft hält folgende Anzeichen für problematisch: soziale Isolation, Vernachlässigung des Alltags und den Verlust des Realitätsbezugs. 

Weltflucht und Unterhaltung

Selbst wenn diese negativen Folgen von Eskapismus nur selten auftreten, stellt Langebartels in entsprechenden Studien eine „gewisse gesellschaftliche Lethargie“ fest. „Die Demonstrationen gegen rechts waren noch einmal ein Weckruf, doch die Bewegung ist schon wieder eingeschlafen.“

Letztlich ist der Erfolg von „Bridgerton“ wohl genauso zu erklären: Die Serie ist ideal, um zumindest für eine Zeit die gesellschaftlichen Bedrohungen zu vergessen. Und die vom realen Leben überforderte Gesellschaft legt sich in Scharen zur Erholung von der anstrengenden Realität auf die Couch bei den Bridgertons.