Bei der Europawahl hat sich der erwartete Rechtsruck bestätigt: Während in Deutschland die AfD mit 15,9 Prozent der Stimmen auf Rang zwei landete, sind rechtspopulistische Parteien bei der Europawahl in Frankreich, Italien und Österreich stärkste Kraft geworden. In Frankreich löste Präsident Emmanuel Macron am Sonntagabend nach der Niederlage seiner Partei die Nationalversammlung auf und rief Neuwahlen aus. Stärkste Kraft im EU-Parlament bleibt die Europäische Volkspartei (EVP) um CDU und CSU.
Auch in Griechenland und den Niederlanden erzielte das rechte Lager gute Ergebnisse. Die Anzahl der Mandate im Europaparlament des in zwei Gruppierungen – die Europäischen Konservativen und Reformern (EKR) und die Rechtsaußen-Fraktion Identität und Demokratie (ID) – unterteilten Rechtsaußen-Lagers könnte damit Schätzungen zufolge von 118 auf 131 ansteigen.
Größte Formation bleibt aber die EVP. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die als europäische Spitzenkandidatin für die Konservativen angetreten war, beanspruchte in Brüssel den Sieg für das bürgerliche Lager. „Wir werden ein Bollwerk gegen Links- und Rechtsextreme errichten“, sagte sie bei einem Auftritt mit EVP-Chef Manfred Weber (CSU).
Von der Leyen hofft nun auf eine zweite fünfjährige Amtszeit an der Kommissionsspitze. Dafür braucht sie eine absolute Mehrheit von mindestens 361 der 720 Abgeordneten.
In Frankreich erzielte die rechtspopulistische Partei RN (Rassemblement National) von Marine Le Pen über 31 Prozent der Stimmen, mehr als doppelt so viel wie Macrons Liste Renaissance, die auf 14,6 Prozent kam. In Österreich wurden die Rechtspopulisten der FPÖ mit 25,7 Prozent stärkste Kraft vor der konservativen Regierungspartei ÖVP.
Frankreichs Präsident Macron sprach von einer Niederlage für alle Pro-Europäer. Die Wahlergebnisse seien „nicht gut für die Parteien, die Europa verteidigen“, sagte er in einer Fernsehansprache. Für den 30. Juni kündigte er Parlamentsneuwahlen an. „Ich vertraue auf die Fähigkeit des französischen Wahlvolks, die beste Wahl für sich und für die künftigen Generationen zu treffen“, schrieb Macron am Montag im Onlinedienst X.
In Italien errang die postfaschistische Partei Fratelli d’Italia von Regierungschefin Giorgia Meloni nach Auszählung fast aller Stimmen 28,8 Punkte. Bei der Europawahl vor fünf Jahren hatte sie noch bei nur sechs Prozent der Stimmen gelegen. Meloni zeigte sich bei einem kurzen Auftritt in der Nacht „außerordentlich stolz“. Am Montag erklärte sie im Radio, Regierungsparteien hätten bei der EU-Wahl fast überall gelitten – „nur nicht hier“.
Laut vorläufigen Endergebnissen kommt die EVP auf 186 (bisher 176) der insgesamt 720 Sitze im neu gewählten Europaparlament. Zweitgrößte Fraktion sind demnach weiter die Sozialdemokraten mit 135 Sitzen (zuvor 139). Deutliche Verluste mussten Liberale und Grüne einstecken.
Die beiden Rechtsaußen-Fraktionen erzielten Zugewinne: Die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), in der unter anderem die Partei der italienischen Regierungschefin Meloni sitzt, kommt auf 73 (bislang 69) Sitze. Die zweite Rechtsaußen-Fraktion Identität und Demokratie (ID) wächst demnach von zuletzt 49 auf 58 Abgeordnete.
In der ID sitzen unter anderen Le Pens Rechtspopulisten und die österreichische FPÖ. Die AfD war nach verharmlosenden Aussagen des Spitzenkandidaten Maximilian Krah zur SS erst kürzlich aus der Fraktion ausgeschlossen worden. Zuletzt hatten Affären um Krah und den AfD-Listenzweiten Petr Bystron die Partei belastet. Gegen beide wird wegen Vorwürfen der Einflussnahme aus Russland ermittelt. Am Montag warfen die neu gewählten Europaabgeordneten der AfD Krah aus ihrer Delegation.
Die derzeit fraktionslose nationalkonservative Partei Fidesz des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban musste Verluste einstecken. Fidesz wurde mit 44 Prozent zwar stärkste Kraft, büßte jedoch gegenüber der Europawahl vor fünf Jahren klar an Stimmen ein. Damals hatte sie noch 52,5 Prozent erzielt. Die neue Tisza-Partei des Oppositionspolitikers Peter Magyar kam aus dem Stand auf rund 30 Prozent der Stimmen.
Insgesamt waren mehr als 360 Millionen Europäer zur Stimmabgabe aufgerufen. Die Wahlbeteiligung lag EU-weit nach ersten Schätzungen mit rund 51 Prozent etwa auf dem Niveau von 2019. In Deutschland war sie mit rund 65 Prozent deutlich höher.