Die AfD ist wieder da – und steht davor, Ostdeutschland zu erobern. Die Ausgangslage für die Landtagswahlen scheint eindeutig zu sein. Oder?
In den Umfragen zu Ostdeutschland war der Trend seit Langem zu erkennen – ganz unabhängig von Skandalen, Großdemonstrationen oder der neuen Konkurrenz durch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Dieser Trend wurde am Wahlsonntag eindrücklich bestätigt: Die AfD beherrscht fast das gesamte Land im Osten. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Wahlkarten blau eingefärbt.
Damit hat die Partei rund drei Monate vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ihre Favoritenposition gefestigt. Dies belegen auch die Ergebnisse der Kommunalwahlen, die fast flächendeckend in Ostdeutschland stattfanden. Nachdem die Partei schon vor zwei Wochen in Thüringen die Mehrzahl der Kreistage gewonnen hatte, war sie am Sonntag in Sachsen sogar noch erfolgreicher. Nur im Landkreis Zwickau stellt sie laut vorläufigen Ergebnissen nicht die größte Fraktion.
Ihr Rekordergebnis erreichte die AfD wieder einmal im Görlitzer Heimatkreis von AfD-Bundeschef Tino Chrupalla mit fast 36 Prozent. Bekanntlich wohnt dort auch Ministerpräsident Michael Kretschmer, der am 1. September für die CDU die Landtagswahl gewinnen will.
AfD bei Europawahl in Sachsen deutlich vor CDU
Dasselbe Bild bietet sich in Brandenburg. Mit Ausnahme von Potsdam und Umgebung liegt dort die AfD vorn; im Landkreis Spree-Neiße sogar mit knapp 40 Prozent.
Doch was bedeutet das alles für die Landtagswahlen im September? Abgesehen davon, dass dann andere Regeln und Umstände wirksam werden, erscheint die Stimmungslage klar genug.
Das ist zum Beispiel Sachsen. Hier kam die AfD bei der Europawahl auf 31,8 Prozent – und liegt damit zehn Prozentpunkte vor Kretschmers CDU. Ihre Koalitionspartner SPD und Grüne landeten bei 6,9 beziehungsweise 5,9 Prozent. Macht in Summe 34,6 Prozent für das wacklige Kenia-Bündnis.
Übersetzt für die Landtagswahl hieße dies: Um weiter regieren zu können, wäre die Koalition auf die Unterstützung von Sahra Wagenknechts Truppen angewiesen, das BSW ist von null auf 12,6 Prozent geschossen.
Europawahl Bundesländer Kreise Städte
In Thüringen bricht die Linke trotz Ramelow ein
Und dann ist da Thüringen, das Land, in dem 2020 erst ein Ministerpräsident mit Stimmen der AfD gewählt wurde, dann ein Linker ins Amt kam, der seitdem die einzige deutsche Minderheitsregierung anführt. Hier steigerte sich die AfD um gut acht Prozentpunkte auf 30,7 Prozent – und liegt damit ebenso deutlich auf Platz eins. Maximilian Krah Europa
Die CDU hingegen büßte gegen den Trend sogar noch Anteile ein und muss sich mit 23,2 Prozent bescheiden. Die Linke stürzte trotz ihres Ministerpräsidenten Bodo Ramelow auf mickrige 5,7 Prozent ab. Auch Grüne und FDP halbierten sich auf 4,4 beziehungsweise 2,0 Prozent – derweil das BSW sogar 15,0 Prozent erhielt. Auch die SPD erlitt Verluste und erreichte 8,2 Prozent.
Für den September bedeutet das: Eine Mehrheitsregierung aus CDU, BSW und SPD wäre rechnerisch möglich. Gleichzeitig ist wieder die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass die AfD zumindest in Sachsen und Thüringen sogenannte Sperrminoritäten erringt. Denn falls sie mehr als ein Drittel der Parlamentssitze gewinnt, kann sie unter anderem Richterwahlen und Verfassungsänderungen blockieren.
Wirken diesmal wieder die Amtsboni der Ministerpräsidenten?
Dennoch ist Vorsicht angebracht. Das Wahljahr 2019 hat gezeigt, wie viel in einem Sommer dank der Amtsboni der Ministerpräsidenten geschehen kann. In Sachsen etwa lag die CDU schon damals bei der Europawahl knapp hinter der AfD – und kämpfte sich in der Landtagswahl mit einem fulminanten Endspurt von Kretschmer zurück auf Platz eins.
Der Thüringer Linken gelang vor fünf Jahren unter Ramelow sogar ein noch eindrücklicheres Comeback: Nach 14 Prozent bei der Europawahl gewann sie die Landtagswahl mit 31 Prozent – damals allerdings noch ohne Konkurrenz vom BSW
So oder so zeigt insbesondere Thüringen, dass noch nichts entschieden ist. Denn nachdem die von Björn Höcke geführte Landes-AfD schon in der ersten Runde der Kommunalwahlen vor zwei Wochen keinen Landrats- oder Bürgermeister-Posten ergattern konnte, unterlag sie am Sonntag auch bei allen wichtigen Stichwahlen.
Übrigens: Auch Neonazi Tommy Frenck verlor im südthüringischen Landkreis Hildburghausen die Stichwahl für den Landrat. Dennoch kam er auf gut 30 Prozent. Das waren fast 2000 Stimmen mehr als im ersten Wahlgang.