Die Europawahl ist zu Ende. Und es gibt eine klare Gewinnerin – geht es jetzt für Ursula von der Leyen ganz schnell?
Erste Hochrechnungen nach dem Schließen aller Wahllokale bestätigen einen Sieg des Mitte-Rechts-Bündnisses EVP bei der Europawahl. Die EVP-Spitzenkandidatin und CDU-Politikerin Ursula von der Leyen kann demnach trotz starker Zugewinne von Rechtsaußen-Parteien auf eine zweite Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission hoffen, wie aus den am frühen Montagmorgen vom Europäischen Parlament veröffentlichten Zahlen hervorgeht.
Ihr Mitte-Rechts-Bündnis mit den deutschen Parteien CDU und CSU kommt nach den jüngsten Zahlen auf 189 Sitze (zuletzt 176 von 705) und damit auf mehr als ein Viertel der künftig 720 Sitze. Es bleibt damit deutlich vor Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen sowie den bisherigen rechtsnationalistischen und rechtspopulistischen Allianzen.
Starker Zugewinn für rechte Parteien
Rechtsaußen-Parteien wie die AfD erzielten im Vergleich zur letzten Wahl vor fünf Jahren deutliche Gewinne. Insgesamt bleibt das klar proeuropäische Lager aber weiter das mit Abstand größte. Selbst wenn sich alle rechten Parteien zusammenschließen würden, kämen sie voraussichtlich auf weniger als 200 Sitze und wären damit von einer Mehrheit weit entfernt. Diese liegt bei 361 Sitzen.
Zweitstärkstes Lager hinter dem Mitte-Rechts-Bündnis EVP bleiben der Hochrechnung zufolge die Sozialdemokraten. Sie kommen demnach auf 135 Mandate (zuletzt 139). Danach folgen die Liberalen, die auf 83 Sitze abrutschen (zuletzt 102), sowie die zwei bisherigen rechtspopulistischen Parteienbündnisse EKR und ID, die teils deutlich gewinnen: EKR kommt auf 72 (zuletzt 69) Sitze, ID auf 58 (zuletzt 49).
Nicht hineingerechnet sind dabei die AfD-Abgeordneten. Die AfD wird zu den fraktionslosen Parteien gezählt, da sie kurz vor der Europawahl aus der ID-Fraktion ausgeschlossen worden war. Hintergrund waren unter anderem umstrittene Äußerungen des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah zur SS und eine China-Spionageaffäre um einen Mitarbeiter Krahs.
Ein großer Verlierer der ersten Europawahl nach der verheerenden Corona-Pandemie und dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind laut der Prognose die Grünen. Sie kommen demnach nur noch auf 53 Sitze (zuletzt 71).
Gespräche für den Machterhalt
Als wahrscheinlich gilt, dass das Mitte-Rechts-Bündnis EVP in den nächsten Tagen Gespräche mit Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen führen wird, um eine lose Zusammenarbeit zu vereinbaren, die dann auch eine Mehrheit für die Wahl von Ursula von der Leyen sichern könnte. Die EVP beanspruchte bereits den Kommissionsvorsitz: Der Gewinner der Wahl habe nun das Recht, den Kommissionspräsidenten zu stellen, sagte EVP-Chef Manfred Weber (CSU) am Sonntagabend in Brüssel.
Von der Leyen kündigte an, am Montag die Sozialdemokraten und die Liberalen wegen einer möglichen Zusammenarbeit im EU-Parlament anzusprechen. „Ich habe immer gesagt, dass ich eine breite Mehrheit für ein starkes Europa aufbauen möchte.“ Sie habe in ihrer ersten Amtszeit als Kommissionspräsidentin gezeigt, was ein starkes Europa erreichen könne. „Mein Ziel ist es, diesen Weg mit denjenigen fortzusetzen, die für Europa, für die Ukraine und für Rechtsstaatlichkeit sind.“
Vertreter von Grünen, Liberalen und Sozialdemokraten gaben am Sonntagabend die ersten positiven Signale. Die Spitzenkandidatin der Grünen, Terry Reintke, sagte, sie sei bereit, zu verhandeln. Die Liberalen und Sozialdemokraten äußerten sich ähnlich.
Theoretisch könnten zudem auch noch Kooperationsmöglichkeiten mit einzelnen rechten Parteien ausgelotet werden. So hat die EVP eine Zusammenarbeit mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni vor der Wahl nicht ausgeschlossen. Ihre rechtspopulistische Partei Fratelli d’Italia gehörte bislang zur rechtskonservativen EKR-Fraktion und erhielt in Italien die meisten Stimmen.
Mehrheitsfindung könnte schwieriger werden
Für die künftigen Machtverhältnisse im Parlament ist auch relevant, ob sich eventuell Parteien aus den bisherigen rechten Bündnissen EKR und ID zu einer neuen Allianz zusammentun. Die Französin Marine Le Pen hatte dafür zuletzt bei der italienischen Regierungschefin Meloni geworben. Le Pens rechtsnationale Partei Rassemblement National kam in Frankreich auf 31,5 bis 32,4 Prozent der Stimmen.
Ob die EU-Politik als Ganzes nun nach rechts rückt, hängt allerdings nicht nur von den Mehrheiten im neu gewählten Parlament ab. Entscheidend sind dabei auch die Kräfteverhältnisse im Rat der EU-Staaten. Eine wichtige Rolle dürfte dabei der Ausgang der Präsidentschaftswahl 2027 in Frankreich spielen.
Grundsätzlich könnte es so sein, dass die Mehrheitsfindung im Europäischen Parlament noch einmal schwieriger wird. Nach der Prognose wird es zum zweiten Mal nach 2019 so sein, dass das Mitte-Rechts-Bündnis EVP und der sozialdemokratische Verbund S&D zusammen nicht auf eine Mehrheit kommen. Nicht nur für Personalentscheidungen werden sich die beiden Lager deswegen mit anderen Parteien zusammentun müssen. Grundsätzlich ist das Parlament gemeinsam mit dem EU-Ministerrat dafür zuständig, EU-Gesetze und den EU-Haushalt zu beschließen.
Höhere Wahlbeteiligung
Einer ersten Schätzung zufolge liegt die Wahlbeteiligung bei der Europawahl EU-weit bei rund 51 Prozent. Das sei voraussichtlich etwas höher als die Beteiligung vor fünf Jahren, teilte das Parlament mit. 2019 lag die Beteiligung nach EU-Angaben bei 50,66 Prozent.
Das Europäische Parlament ist das einzige direkt gewählte Organ in der EU. Seine Abgeordneten werden seit 1979 von den Bürgerinnen und Bürgern der Mitgliedsländer gewählt.