Hinter der Geschichte: Wie ich als Reporter in Ruanda paranoid wurde

Knuffige Gorillas, nicht so knuffiger Repressionsstaat: Während Touristen von Ruanda schwärmen, ist das Land für Reporter schwieriges Terrain. Ein Erfahrungsbericht.

Es muss der schönste Sonnenuntergang meines Lebens sein: Ein blutorangener Kreis schiebt die Wolken zur Seite und versinkt langsam hinter einer saftigen Hügelkette. Vor mir platscht der Kivusee gegen das Ufer. Ein Dreiergespann an Fischerbooten, drahtig wie eine Libelle aus Holz, zieht durchs Wasser, begleitet von einem tieffliegenden Kormoran. Vögel in allen Farben singen ihr Abendlied, während ich auf der Veranda einer Lodge sitze, mir eine Zigarette anzünde und an einem Mojito nippe. So sieht Ruanda in Reiseführern aus. 

Zwei Tage später, die Hauptstadt Kigali, eine ruhige Seitenstraße. Die Haustür von Victoire Ingabire ist doppelt verriegelt, ihre Grundstücksmauern hat sie mit Stacheldraht bewehrt. Ich stehe im Garten einer Staatsfeindin. „Da drüben“, sagt die 55-Jährige und deutet auf eine Anhöhe hinter dem Haus, „parkt immer ein weißes Auto, das mich beobachtet.“ 

Enttarnt: Eine Frau des Geheimdienstes fotografiert stern-Reporter Huber, als er eine Oppositionelle besucht
© Fabian Huber

Ingabire, eine liberale Kritikerin des ruandischen Langzeitherrschers Paul Kagame, hat 16 Jahre ihres Lebens im Exil und acht Jahre in Gefangenschaft verbracht. Ihren Assistenten fand man eines Tages stranguliert in einem Wald, ihren politischen Koordinator erstochen an seinem Arbeitsplatz. Auch sie fürchtet um ihr Leben, kann nirgendwo mehr hingehen, ohne dass ihr Regierungsspitzel auf Rollern folgen. 

Beim Verlassen ihres Hauses werde ich vom Geheimdienst fotografiert. Er hat sich – kein Scherz – in Gestalt einer SIM-Karten-Verkäuferin getarnt. Als ich die Frau in pinken Schlappen zurückfilme, hält sie sich die Hand vors Gesicht. 

Für Weltreisende ist Ruanda ein ziemlich weit oben notierter Stichpunkt ihrer „Muss-man-gesehen-haben“-Liste. Knuffige Gorillas, mystische Vulkane, schönes Land der tausend Hügel, ein Touristentraum. Für Oppositionelle und Journalisten ist es ein Minenfeld. Ein Ort, an dem man sich auf Schritt und Tritt verfolgt fühlt. Selbst, wenn man wie ich nur zehn Tage dort verbringt. 

Einreise nach Ruanda? Für Reporter kompliziert

Wer unliebsam ist, kommt überhaupt erst nicht ins Land. Clémentine de Montjoye etwa, eine Mitarbeiterin von „Human Rights Watch„, der man vor wenigen Wochen am Flughafen Kigali die Einreise verweigerte mit der Begründung, sie sei „in Ruanda nicht willkommen“. Oder Sally Hayden, die erfahrene Afrika-Korrespondentin der „Irish Times“, die im April schon am Airport im äthiopischen Addis Abeba abgepasst und am Weiterflug nach Ruanda gehindert wurde. Ich hörte von vielen Kollegen, denen keine Medienakkreditierung bewilligt wurde, weil sie kritische Themen als Reisegrund angegeben hatten. 

STERN PAID 24_24 Abschiebung Ruanda

Ich selbst kam unter dem Vorwand einer Gorilla-Geschichte nach Ruanda. Nebenbei aber recherchierte ich zum umstrittenen Flüchtlingsdeal, den Kagame mit Großbritannien geschlossen hatte. Das sah dann zum Beispiel so aus: Im „Hope Hostel“, jenem Ort, an dem Ruanda aus Europa Abgeschobene beherbergen will, begrüßte mich nicht nur der freundlich lächelnde Hotelmanager, sondern auch eine namenlose Frau. Nach jeder meiner Fragen machte sie sich Notizen. Auch sie fotografierte mich in einem scheinbar unbeobachteten Moment. 

Auf meinem Handy geschahen verdächtige Dinge

Kigali selbst ist eine in vielen Belangen ziemlich unafrikanische Hauptstadt. Es gibt hier keine Slums, keine sichtbare Obdachlosigkeit, keine Prostitution. Präsident Kagame hat diese Dinge schlicht verboten. Er lässt Drogenabhängige, Alkoholiker, sogar Straßenhändler in Polizeitrucks abführen und sperrt sie unter anderem in das Rehabilitationszentrum Iwawa, eine Insel der Aussätzigen, irgendwo am Bilderbuchhorizont des Kivusees. 

Was nicht passt, wird nicht passend gemacht. Es wird einfach weggeschafft in dieser Welt. 

Mein britischer Fotograf Hugh und ich einigten uns deshalb auch auf eine Sicherheitsmaßnahme: Sprachen wir über allzu kritische, nicht gorilla-bezogene Dinge, schalteten wir meist unsere Handys aus oder hielten sie in den Fahrtwind. Das ruandische Regime hat nachweislich tausende Mobiltelefone von Aktivisten, Journalisten und Dissidenten mit einer Spionage-Software infiziert. Auch auf meinem Gerät geschahen plötzlich verdächtige Dinge: Eine Recruiterin aus Tansania rief mich an. Zweimal versuchten Fremde, sich in einen meiner Social-Media-Kanäle einzuloggen. 

Und dann war da ja noch unser einheimischer Kontaktmann. Nennen wir ihn Peter, sein echter Name sollte hier besser nicht stehen. Er erzählte Geschichten, die mir bekannt vorkamen. Aus Büchern über Ruanda, die Titel tragen wie: „Schlechte Nachrichten – Letzte Journalisten in einer Diktatur“. Peter war von der Regierung schon mehrfach verhaftet worden. Weil er über Korruption und Polizeigewalt berichtete. Oder öffentlich nach einer verschwundenen Freundin fragte, die dann erst nach einem Jahr Inhaftierung wieder auftauchte. Einer seiner Verwandten ist unter mysteriösen Umständen im Gefängnis gestorben. Immer wieder wird Peter, der uns vor Ort mit Zugängen, Hintergrundinformationen und Übersetzungen versorgte, von Mitarbeitern Kagames im Netz angefeindet. 

Jenseits der Hauptstadt, unbeobachtet: stern-Reporter Huber bei einem Interview im Norden Ruandas
© Hugh Kinsella Cunningham

Ich wurde mit fortschreitender Zeit, gelinde gesagt, ein wenig paranoid.

Als ich vom Termin mit der Oppositionellen Ingabire zurückkehrte, schaute ich mich im Rückspiegel immer wieder nach suspekten, sonnenbrillentragenden Mopedfahrern um, fuhr absichtlich dreimal durch einen Kreisverkehr, um sicher zu gehen: Niemand folgt mir.

Als ich mir, wie sich nachträglich herausstellte, die fieseste Magenverrenkung meines Lebens zuzog, mich schwitzend durch eine Hotelnacht in Kigali quälte, schoss mir für einen kurzen, vollkommen irrationalen Moment in den ohnehin dröhnenden Kopf: „Das war’s! Jetzt haben sie mich!“

Ich will wiederkommen. Wenn Ruanda mich lässt

Und als dann am Ende dieser Reise, nachdem schon auf der Zufahrt zum Flughafen mein Gepäck auf Herz, Nieren und vermutlich Sprengstoff überprüft worden war, vor mir am Ausreiseschalter auch noch Menschen abgewiesen wurden, wähnte ich mich schon in einem kargen Abhörraum, unter flackernden Neonröhren, vor einem düsteren Regimeschergen. 

Wenige Sekunden später sauste der Stempel des Grenzbeamten auf meinen Reisepass nieder. Sicher und irgendwann auch wieder bei klarem Verstand flog ich zurück nach Hause. Ich will wiederkommen. Vermutlich eher als Tourist. Wenn Ruanda mich noch lässt.