Wähler in Deutschland und 20 weiteren EU-Staaten haben am Sonntag über die künftige Zusammensetzung des Europaparlaments abgestimmt. In Deutschland schließen die Wahllokale um 18.00 Uhr – danach werden erste Prognosen auf Grundlage von Nachwahlbefragungen erwartet. Insgesamt waren seit Donnerstag mehr als 360 Millionen Europäer zur Stimmabgabe aufgerufen, um 720 Mitglieder des Europäischen Parlaments zu bestimmen. Umfragen deuteten auf einen Rechtsruck hin. In Belgien und Bulgarien fanden am Sonntag außerdem Parlamentswahlen statt.
Die Europawahl hatte am Donnerstag in den Niederlanden begonnen, weitere Länder folgten am Freitag und Samstag. In den meisten EU-Staaten begann der Urnengang dann am Sonntag, darunter auch in Österreich und Frankreich, dem EU-Land mit der zweitgrößten Bevölkerung nach Deutschland. Ergebnisse für die gesamte EU werden erst am späten Abend veröffentlicht, wenn in allen EU-Staaten die Wahllokale geschlossen sind.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) gab ihre Stimme am Sonntag in Burgdorf bei Hannover ab. Im Anschluss rief sie nochmals zur Teilnahme an der Wahl auf. „Lassen Sie uns die Macht unserer Demokratie zeigen“, schrieb von der Leyen im Onlinedienst X. „Lassen Sie uns Europa, unser gemeinsames Zuhause, stärker machen als je zuvor.“
In Frankreich lag die Wahlbeteiligung am Sonntagmittag bei 19,81 Prozent. Nach Angaben des Meinungsforschungsinstituts Ipsos war dies der höchste Wert für eine EU-Wahl in dem Land. Präsident Emmanuel Macron gab seine Stimme im nordfranzösischen Le Touquet ab. In den Umfragen lag die rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN) deutlich in Führung. Sie kann demnach auf über 30 Prozent hoffen, während Macrons Renaissance bei 15 Prozent lag.
Die Wahl stand auch unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs. Der ungarische Regierungschef Viktor Orban sprach nach seiner Stimmabgabe in Budapest von einer „Pro-Friedens- oder Pro-Kriegs-Wahl“. Der Rechtspopulist, dessen Regierung ab Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, unterhält trotz des russischen Angriffskrieges in der Ukraine weiterhin enge Beziehungen zu Moskau.
Im künftigen EU-Parlament werden 96 EU-Abgeordnete aus Deutschland kommen, wo rund 65 Millionen Menschen wahlberechtigt sind. Mehr als 1400 Kandidatinnen und Kandidaten aus 35 Parteien und sonstigen Gruppierungen traten an. Erstmals dürfen auch Wählerinnen und Wähler im Alter von 16 und 17 Jahren an der Europawahl in Deutschland teilnehmen – dies betrifft laut Statistischem Bundesamt rund 1,4 Millionen Menschen.
Als erste hatten am Donnerstag bereits die Wahlberechtigten in den Niederlanden ihre Stimme abgegeben, am Freitag folgten Irland und Tschechien, am Samstag unter anderem Lettland und Malta. Auch in Italien begann am Samstag die Wahl, sie wurde am Sonntag fortgesetzt. In dem südlichen EU-Land ist der Urnengang erst um 23.00 Uhr vorbei. Ab 20.15 Uhr soll es von der EU aber erste Prognosen für das Europaparlament auf Basis von Nachwahlbefragungen und Teilergebnissen geben.
Umfragen deuteten auf einen Rechtsruck im Europäischen Parlament hin. Allerdings dürfte letzten Erhebungen zufolge die konservative Europäische Volkspartei (EVP), der auch CDU und CSU angehören, weiter die meisten Abgeordneten stellen. Laut einer Politico-Umfrage könnte sie 173 Sitze erringen, die Sozialdemokraten (S&D) könnten 143 Abgeordnete stellen und die Liberalen 75.
Die Rechtsaußen-Fraktion Europäische Konservative und Reformer (EKR) mit der Partei von Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni käme der Umfrage zufolge auf 76 Sitze, die kleinere Fraktion Identität und Demokratie (ID) um Frankreichs Rechtspopulistin Marine Le Pen auf 67 Abgeordnete.
Der Ausgang der Wahl hat auch entscheidenden Einfluss auf die Top-Posten in Brüssel, wo EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen auf eine zweite Amtszeit hofft.
Parallel zur Europawahl wurde am Sonntag in Belgien ein neues Parlament gewählt. Die amtierende Koalition unter Regierungschef Alexander De Croo könnte Umfragen zufolge ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus verlieren. Die flämische Rechtsaußen-Partei Vlaams Belang kann hingegen mit Zugewinnen rechnen.
Bei der vorgezogenen Parlamentswahl in Bulgarien könnte der ehemalige Regierungschef Bojko Borissow ein Comeback feiern. Im Wahlkampf hatte er die Bildung einer Koalition in Aussicht gestellt, mit der die jahrelange politische Instabilität in dem ärmsten Land der EU beendet werden soll.